Stra­ßen Namen Zeichen

Bild-Text. Das Inter­es­se und die Idee zum Projekt

Die Idee scheint ein­fach: Stra­ßen­na­men in Bil­der zu über­set­zen, in Gebärdensprache.

Doch wie kommt man als hören­der Künst­ler dazu?
Das Inter­es­se ent­stand bei mir früh und eher bei­läu­fig; ich erin­ne­re mich als Kind an Pre­dig­ten, die simul­tan gedol­metscht wur­den; der Reich­tum der Gebär­den fas­zi­nier­te mich, die Fähig­keit, auch abs­trak­te Begrif­fe und kom­ple­xe The­men auszudrücken.

Dar­auf kam ich 2014 zurück, als ich visu­el­les Mate­ri­al zu einer mir gänz­lich frem­den Spra­che such­te, Fin­nisch (Bil­der zwi­schen den Zei­len, II, Fin­ni­sches Kul­tur­in­sti­tut Ber­lin). Dabei stieß ich auf ein Wör­ter­buch der Gebär­den­spra­che, aus dem ich Bil­der in Kom­bi­na­ti­on mit Tex­ten in Col­la­gen ein­bau­te und Seri­en im öffent­li­chen Raum zeigte.Dabei spiel­te mein Inter­es­se für Spra­che und Über­set­zun­gen eine Rol­le (in der Tat war ich auch zeit­wei­se als Über­set­zer tätig, übri­gens auch als Stadtführer).

Die ers­te Idee für eine Über­set­zung von Münch­ner Stra­ßen­na­men war, sich aus einem „his­to­ri­schen“ Wör­ter­buch der Deut­schen Gebär­den­spra­che aus den 1980er Jah­ren zu bedie­nen, wie in vor­aus­ge­gan­ge­nen Pro­jek­ten (Län­der­kenn­zei­chen, Ber­lin 2016, Gar­ten­bil­der-Bil­der­gar­ten, Zug 2017). Doch schien es dies­mal inter­es­san­ter, aktu­el­ler und auch orts­spe­zi­fi­scher, Münch­ner Gehör­lo­se ein­zu­be­zie­hen, die Namen dar­stel­len zu las­sen und per Foto fest­zu­hal­ten, das Loka­le zu suchen, und dann die so ent­stan­de­nen Bil­der im Stadt­raum zu zei­gen. Die Per­so­nen brin­gen ihre eige­ne Geschich­te mit, mit ihren Gesich­tern, Fri­su­ren, Mimi­ken. Die­ser Per­so­na­li­sie­rung ent­spricht der Stadt­plan, auf dem über­setz­te Stra­ßen­na­men und Orte zusam­men­kom­men: Er war der ers­te, den ich mir besorg­te, als ich 1994 zum Stu­di­um nach Mün­chen kam.

Gebär­den, Zei­chen, Wörter?

Im Gespräch mit Gehör­lo­sen wur­den Begrif­fe hin­ter­fragt: so etwa auch „Zei­chen­spra­che“, was das kom­ple­xe Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­tem auf das Behelfs­mä­ßi­ge redu­ziert und außer Acht lässt, dass es sich um eine voll­wer­ti­ge natür­li­che Spra­che mit eige­ner Gram­ma­tik han­delt. Hier wur­de mir bewusst, dass Begriff­lich­kei­ten von der Spra­che der Hören­den geprägt wer­den, und eine Umkeh­rung aus der Sicht der Spre­cher, der Gehör­lo­sen, auch ande­re Sprach­bil­der mit sich bringt. Ande­rer­seits schien mir der Begriff des Zei­chens, all­ge­mein ver­stan­den als Bedeu­tungs­trä­ger, zur Beschrei­bung des Phä­no­mens der Gebär­den durch­aus geeig­net, wes­halb ich ihn in den Projekttitel„Straßen Namen Zei­chen“ auf­ge­nom­men hat­te. So ver­wen­de ich ihn wei­ter­hin, als Syn­onym jedoch auch „Wort“ der Gebär­den­spra­che. Alle­mal anre­gend ist dies, um sich Gedan­ken dar­über zu machen, was das eigent­lich ist: ein Zei­chen, ein Wort. Und wem „gehört“ eigent­lich Sprache?

„Münch­ner“ Gebär­den: Ortsbezug

Die Gebär­den­spra­che stellt man sich, da sie ja eine visu­el­le ist, als uni­ver­sal und über­all ver­ständ­lich vor, als eine Art Espe­ran­to. Doch ist sie das kei­nes­wegs, son­dern natio­nal und regio­nal sehr aus­dif­fe­ren­ziert: So gibt es eine nord- und süd­deut­sche Vari­an­te, aber auch orts­ty­pi­sche Aus­prä­gun­gen, älte­re und nicht mehr von allen ver­wen­de­te Wör­ter und jün­ge­re, popu­lä­re. Gebär­den­spra­che ist also eine leben­di­ge Spra­che, die sich ent­wi­ckelt, anpasst, verändert.

So etwa die Gebär­de für „Mari­en­platz“: eine sich öff­nen­de und schlie­ßen­de Bewe­gung von Zei­ge­fin­ger und Dau­men. Sie bezieht sich nicht auf die Namens­ge­be­rin, Maria, son­dern auf ein kon­kre­tes Cha­rak­te­ris­ti­kum des Plat­zes: Auf ihm gibt es vie­le Tau­ben; ihre Schna­bel­be­we­gung wird mit den Fin­gern aus­ge­drückt. Was den Mari­en­platz dann von ande­ren Plät­zen mit hoher Tau­ben­fre­quenz unter­schei­det, etwa dem Mar­kus­platz in Vene­dig? Es ist der Zusam­men­hang, in dem die Gebär­de ver­wen­det wird. Und der Mit­tei­lungs­ka­nal der Lip­pen­be­we­gung darf nicht ver­ges­sen werden.

Ähn­li­che Gebär­den mit star­kem Orts­be­zug fin­den sich am Ode­ons­platz: In der Hal­tung der Ober­ar­me mit nach unten gekrümm­ten Hän­den kann man unschwer das baye­ri­sche Wap­pen­tier erken­nen, einen lie­gen­den Löwen, wie er im Denk­mal in der Feld­her­ren­hal­le zu sehen ist. Wäh­rend die­se Gebär­de eine Figur, ein „Wahr­zei­chen“ als pars pro toto nach­ahmt (vgl. auch „Bay­er­stra­ße“ mit der Andeu­tung eines Löwen­fells, „Rin­der­markt“), bezie­hen sich ande­re auf die Gesamt­erschei­nung einer Stra­ße: So ist die lang­ge­zo­ge­ne, mit Gebäu­den ein­heit­li­cher Höhe ein­ge­fass­te Lud­wig­stra­ße aus­ge­drückt durch eine von den Augen aus­ge­hen­de Bewe­gung der klam­mer­ar­tig gekrümm­ten Dau­men und Zei­ge­fin­ger, die den Blick in die Fer­ne und die archi­tek­to­ni­sche Begren­zung der Stra­ße beschreibt (vgl. ähn­lich „Resi­denz­stra­ße“). Oft ist der Bezug so klar, dass eine nach­ah­men­de Gebär­de nicht im Detail exakt sein muss: So hat die Sta­tue der Bava­ria den lin­ken Arm mit dem Lor­beer­kranz sieg­haft erho­ben, wäh­rend es in der Gebär­de der rech­te Arm ist – denn ein­hän­di­ge Wör­ter wer­den mit der domi­nan­ten Hand (bei Rechts- bzw. Links­hän­dern) ausgeführt.

Eigen­na­men wer­den durch Über- und Spitz­amen ersetzt, die sich aus phy­si­schen Eigen­hei­ten oder auch Merk­ma­len der Klei­dung ablei­ten. So beschreibt bei „Goe­the­platz“ die Hand eine Bewe­gung auf Schei­tel­hö­he. Hier muss man sich Goe­the­por­träts ins Gedächt­nis rufen: Auf dem bekann­ten Gemäl­de „Goe­the in der Cam­pa­gna“ (Johann Hein­rich Wil­helm Tisch­bein, 1787) trägt der Dich­ter genau so einen breit­krem­pi­gen Hut, wie er durch die Gebär­de dar­ge­stellt wird.

Ver­all­ge­mei­ne­rung, Gene­ra­li­sie­rung ist ein Bestand­teil man­cher Gebär­den: So ist Mozart der Musi­ker schlecht­hin und wird mit der Musik sym­bo­li­sie­ren­den Diri­gier­be­we­gung dar­ge­stellt – anders als sei­ne Kol­le­gen Beet­ho­ven und Haydn, die in benach­bar­ten Stra­ßen­na­men auf­tau­chen, für die es jedoch kei­ne in Mün­chen ver­brei­te­ten Wör­ter gibt.

Inter­es­sant sind die regio­na­len Unter­schie­de und ihre Her­lei­tung auch, weil sie viel über sozia­le Kon­ven­tio­nen ver­ra­ten: So gibt es für „Frau“ meh­re­re Vari­an­ten. Das vor allem in Bay­ern aktu­ell ver­wen­de­te Zei­chen hat sich von sei­ner eins­ti­gen Bedeu­tung gelöst: Man dreht die Hand mit abge­spreiz­tem Dau­men und klei­nen Fin­ger an der Wan­ge – was Nicht­spre­chern zunächst kryp­tisch scheint. Es han­del­te sich aber ursprüng­lich um die bekann­te Gebär­de für „Tele­fo­nie­ren“. Frau­en ver­wen­de­ten sie häu­fig, so wird erzählt, um sich in einem Lokal beim Gang auf die Toi­let­te dezent zu ent­schul­di­gen … Das Zei­chen blieb, auch wenn sol­che Zuschrei­bun­gen längst pas­sé sind.

„His­to­risch“ ist auch die Gebär­de für die Stadt Mün­chen selbst: Fin­ger bil­den eine Kro­ne auf dem Kopf. Dies kommt aus der Zeit, in der Köni­ge wie Lud­wig I. und II. und die von ihnen initi­ier­te Archi­tek­tur reprä­sen­ta­tiv für die gan­ze Stadt stan­den. Das Wort für „Königs­platz“ ist das­sel­be (abge­se­hen von der Lippenbewegung).

„Karls­platz (Sta­chus)“ exis­tiert in Vari­an­ten: eine jün­ge­re hebt auf den Brun­nen und die Bewe­gung sei­ner bogen­för­mi­gen Was­ser­strah­len ab, eine älte­re formt auf der Hand­flä­che mit der ande­ren Hand einen ima­gi­nä­ren Raum, ein Zen­trum, begrenzt einen Platz. Dass sich Gebär­den immer wie­der ändern und durch neue ersetzt wer­den, ist ein Beleg für die Leben­dig­keit der Sprache.

Das Pro­jekt, der Plan

Die Gebär­den wer­den foto­gra­fisch auf­ge­nom­men und in den Stadt­raum zurück­ge­speist: „Karls­platz (Sta­chus)“ und „Königs­platz“ bzw. „Mün­chen“ sind für die Süd- und Nord­sei­te des 5 x 5 m gro­ßen Bill­board auf der Kunst-Insel am Len­bach­platz gewählt, da der Orts­be­zug hier nahe­liegt. Die Zei­chen ergän­zen sich wech­sel­sei­tig: „Mün­chen“ als Orts­an­ga­be zu „Sta­chus“; was all­ge­mei­ner auch „Platz, Markt“ bedeu­ten kann, als Ergän­zung zu „König“.

Wei­te­re Über­set­zun­gen von Stra­ßen­na­men sind auf dem Celi­bi­da­chefo­rum vor dem Gas­teig zu fin­den, mit­tels mobi­ler Auf­stel­ler, die an Ver­kehrs­zei­chen den­ken las­sen. Die Kom­bi­na­ti­on von Eigen­na­men und Gat­tungs­na­men („Stra­ße“, „Platz“ etc.) ist räum­lich über­setzt mit je einem grö­ße­ren Bild und einem klei­ne­ren dar­un­ter, was eine Gewich­tung erlaubt. Die Bild­stän­der sind in Anleh­nung an ihre Posi­ti­on in der Stadt plat­ziert, wie auf einem ima­gi­nä­ren groß­for­ma­ti­gen Stadt­plan. Anschlie­ßend wer­den die Schil­der in den wei­te­ren Stadt­raum trans­fe­riert, in die jewei­li­gen Stra­ßen. Um die Auf­stel­ler in fuß­läu­fi­ger Ent­fer­nung zu hal­ten, über­wie­gend im inner­städ­ti­schen Bereich.

Der beglei­ten­de Stadt­plan geht jedoch dar­über hin­aus und ver­zeich­net auch Stra­ßen­na­men, die nur „vir­tu­ell“ und dezen­tral auf­ge­stellt sind. Es ergibt sich ein über das Stadt­ge­biet ver­teil­tes Netz von Orten, die über den Namen und die Per­so­nen ver­bun­den sind. Neben dem Schwer­punkt auf Bild­haf­tig­keit der Gebär­den war bei der Aus­wahl inter­es­sant, wie Eigen­na­men oder abs­trak­te Begrif­fe umge­setzt sind. Die ein­zel­nen Wor­te las­sen sich auch lesen als Anre­gung zum Spra­chen­ler­nen, als Teil eines Sprach­kur­ses. Durch die öffent­li­che Auf­stel­lung der Bil­der wird eine Brü­cke zwi­schen Gebär­den­spra­che und Laut- bzw. Schrift­spra­che her­ge­stellt. Die Ver­wen­dung des Codes ist eine künst­le­risch-zweck­freie Ein­la­dung, über die Bedeu­tung von Zei­chen und Namen zu reflek­tie­ren, sich hin­ein­zu­den­ken in eine ande­re Sprachwelt.