“THE MAP IS MORE INTE­RES­T­ING THAN THE TERRITORY”

TER­RI­TO­RI­EN – die Aus­stel­lung hat hier in der Hal­le 50 kei­nen schlech­ten Ort gefun­den, auf dem Gelän­de einer ehe­ma­li­gen Kaser­nen und Künst­ler­ko­lo­nie. Im Nor­den Mün­chens gele­gen, schon an der Peri­phe­rie der Stadt, extra-ter­ri­to­ri­al sozu­sa­gen. In einem Offspace.

Urba­ne Ver­än­de­rungs­pro­zes­se, Ver­schie­bun­gen, Ver­än­de­run­gen las­sen sich hier gera­de­zu modell­haft stu­die­ren. Als ehe­ma­li­ger Bewoh­ner des „Domagkge­län­des“, wie es hieß, habe ich einen Abschnitt aus nächs­ter Nähe mit­ver­fol­gen können.

Auf einem Are­al, bis dato wenig erschlos­sen und bebaut, wie der Name der U‑Bahnstation „Alte Hei­de“ heu­te noch andeu­tet, bau­te der Staat in den 1930er Jah­ren Kaser­nen. Dies stand in Zusam­men­hang mit der Auf­rüs­tung Deutsch­lands als Vor­be­rei­tung für Eroberungskrieg.

Nach dem 2. Welt­krieg rich­te­te die US-Army hier ein Camp für Dis­pla­ced Per­sons ein, in den 50er Jah­ren über­nahm die Bun­des­wehr das Gelän­de. Ab den 90er Jah­ren wur­den die Häu­ser als Zwi­schen­nut­zung an klei­ne Fir­men, Gewer­be­trei­ben­de und vor allem Künst­ler ver­mie­tet, zeit­wei­se auch an die Kunst­aka­de­mie. Es grün­de­ten sich Kunst­ver­ei­ne, die Häu­ser in Eigen­re­gie ver­wal­te­ten und die legen­dä­ren „Domagk­ta­ge“ ver­an­stal­te­ten, also vor 25 Jah­ren das 1. Mal. Es ent­stand, was vie­le stolz als „Euro­pas größ­te Künst­ler­ko­lo­nie“ bezeich­ne­ten und was weit über die Gren­zen Mün­chens hin­aus bekannt wur­de. Ab Mit­te der 2000er Jah­re zeich­ne­te sich ab, dass das Are­al neu bebaut und zu einem Wohn­vier­tel wer­den würde.

Von den Kaser­nen-Künst­ler­häu­sern ist nur noch das Haus 50 übrig, das am Rand gele­gen, an die Auto­bahn grenzt, eine Art Lärm­schutz­wall bil­det. Auch des­halb war es für den Bau von Wohn­häu­sern wenig attrak­tiv – was auch zur Ent­schei­dung bei­getra­gen haben mag, es als Ate­lier­haus mit über 100 Ate­liers in städ­ti­scher Trä­ger­schaft zu erhalten.

In der Hal­le 50 fin­det die Aus­stel­lung statt. Hier wur­den ursprüng­lich Pan­zer gewar­tet. Daher rührt auch der Last­zug an der Decke. Pan­zer lösen die Asso­zia­ti­on mit Kampf­hand­lun­gen, mit Krie­gen aus, wo es um die Erobe­rung von Ter­ri­to­ri­en geht. Gera­de der Pan­zer steht sym­bo­lisch für das Sich-Ver­schan­zen in einem Schutz­raum, in sei­ner Mobi­li­tät aber gleich­zei­tig für Aggres­si­on, den Erobe­rungs­feld­zug, den Blitz­krieg, den raschen, moto­ri­sier­ten Vor­stoß. Man sieht die schwar­zen Pfei­le förm­lich vor sich, die auf Kar­ten Gelän­de­ge­win­ne bezeichnen.

Um Gelän­de­ge­win­ne geht es auch auf dem Ter­ri­to­ri­um selbst, hier aller­dings eher unter den Vor­zei­chen von Stadt­ent­wick­lung und stei­gen­den Boden­prei­sen. Begon­nen hat dies in den 2000er Jah­ren mit dem Bau von glä­ser­nen Tür­men und Büro­ge­bäu­den, die städ­te­bau­li­che Akzen­te set­zen soll­ten im Misch­ge­biet von Zubrin­gern der Stadt­au­to­bahn, Fried­hö­fen, Klein­gar­ten­an­la­gen und Gewer­be­ge­bie­ten mit Lager­hal­len, Auto­werk­stät­ten – sie­he die Munich High­light Towers von Murphy/Jahn (2004) oder gleich gegen­über der Hal­le 50, süd­lich der Domagk­stra­ße, das Osram-Bürogebäude.

Zu archi­tek­to­ni­schen Rah­mung und dem Anspruch der Neue­rung pass­te das Kon­zept der Namens­ge­bung für das neue Vier­tel: „Park­stadt Schwa­bing.“ Hier ver­such­te man, zwei eigent­lich gegen­sätz­li­che, aber bei­de glei­cher­ma­ßen attrak­ti­ve Gebie­te und Begrif­fe zu ver­knüp­fen, die Natur, das Grü­ne, den Park, mit dem Urba­nen und Zen­tra­len, der Stadt. „Schwa­bing“ gewis­ser­ma­ßen als Mar­ken­na­me und legen­dä­rer Münch­ner Sehn­suchts­ort kam dazu – obwohl das tra­di­tio­nel­le Schwa­bing wesent­lich wei­ter süd­lich sei­ne Gren­ze an der Münch­ner Frei­heit hat.

Das Gelän­de, auf dem wir uns befin­den, hieß bis 2015 schlicht „Funk­ka­ser­ne“, wur­de dann aber eben­falls mit dem Zusatz „Park“ ver­se­hen und so als „Domagkpark“ zugleich ent­mi­li­ta­ri­siert und bes­ser vermarktbar.

Die Benen­nung der Stra­ßen ist ein wei­te­rer Ver­such, das Gelän­de mög­lichst posi­tiv und zukunfts­froh zu bele­gen. Als Bezugs­punkt dien­te das Bau­haus – des­sen Grün­dung sich die­ses Jahr zum 100sten Mal jährt. Man fin­det auf der Kar­te z.B. Mies van der Rohe, Lyo­nel Fei­nin­ger, Anni Albers, Lil­ly Reich, Her­bert Bay­er, Alfred Arndt. Dabei sind auch Gestal­te­rin­nen berück­sich­tigt: Die Stra­ße zum Gelän­de und die nahe­lie­gen­de Bus­hal­te­stel­le ist benannt nach Ger­trud Gru­now, einer Musi­ke­rin am Bau­haus, und in deren Wei­ter­füh­rung die Stra­ße, an der der das Ate­lier­haus liegt, nach Mar­ga­re­te Schüt­te-Lihotz­ky: Sie war Archi­tek­tin, zunächst in Wien im sozia­len Woh­nungs­bau tätig, dann in Frank­furt, wo sie die bekann­te modern-funk­tio­na­le „Frank­fur­ter Küche“ mit ent­wi­ckel­te. Sie bau­te in der Sowjet­uni­on und der Tür­kei, enga­gier­te sich dar­über hin­aus im kom­mu­nis­ti­schen Widerstand.

Namen, Benen­nun­gen, Stra­ßen­na­men bestim­men ein also ein Gebiet mit, sind Bestand­teil der Kar­te, unter Rück­griff auf Ver­gan­ge­nes auch Pro­jek­tio­nen in die Zukunft.

Die Funk­ka­ser­nen sind inzwi­schen abge­ris­sen, und an ihrer Stel­le ste­hen Wohn­häu­ser, u.a. von Wohn­ge­nos­sen­schaf­ten betrie­ben. Im Haus 50 arbei­ten (und woh­nen) Künst­ler, auch in selbst aus­ge­bau­ten Ate­liers. Der Traum vom eige­nen Raum, vom Nest­bau nimmt also auf dem gan­zen Gelän­de Gestalt an, in unter­schied­li­chen For­men. Das Schaf­fen eines eige­nen Territoriums.

Schau­en wir uns nach den räum­li­chen Gege­ben­hei­ten der Aus­stel­lung die Betei­lig­ten an, und aus wel­chen geo­gra­phi­schen und sozia­len Räu­men sie kommen.

Mün­chen und Han­no­ver. Zwei Städ­te, die weit von­ein­an­der ent­fernt lie­gen (etwa 650 km), im Süden und im Nor­den Deutsch­lands, in unter­schied­li­chen Ter­ri­to­ri­en: Mün­chen, Haupt­stadt Bay­erns und spe­zi­ell Ober­bay­erns, Han­no­ver, Haupt­stadt Nie­der­sach­sens, zeit­wei­lig auch Bestand­teil Preu­ßens. Auch sprach­lich sind Berei­che abge­grenzt: Han­no­ver ist nicht nur die Haupt­stadt Nie­der­sach­sens, son­dern auch die Haupt­stadt des Hoch­deut­schen, Mün­chen dage­gen stell­ver­tre­tend für Bay­ern, für sei­nen Dia­lekt bekannt – kürz­lich erschien ein wei­te­rer Aste­rix-Band auf Münchnerisch.

Der Aus­tausch Mün­chen-Han­no­ver ist also eine Über­schrei­tung der Gren­zen, die in die­ser Kon­stel­la­ti­on auf eine bewuss­te Ent­schei­dung und Initia­ti­ve zurück­geht. Hier möch­te ich Patri­ci­ja Gily­te erwäh­nen, die als inter­na­tio­nal akti­ve Künst­le­rin die Idee dazu hat­te, unter­stützt von unter ande­rem Alex­an­der Steig, der schon län­ger als Grenz­gän­ger zwi­schen bei­den Gebie­ten unter­wegs ist.

Inter­es­sant ist, dass die­ser Aus­tausch im Rah­men von zwei Künst­ler­ver­bän­den statt­fin­det. Ähn­lich wie im Fall des Domagkge­län­des kann ich auf eige­ne Erfah­rung zurück­grei­fen: wenn auch nicht als Mit­glied der Neu­en Münch­ner, so des Künst­ler­ver­bunds, der Aus­stel­lun­gen im Haus der Kunst ver­an­stal­tet. Von daher rührt übri­gens auch die Bekannt­schaft mit Eva Ruh­land, der Vor­sit­zen­den der NM und Kura­to­rin von Ter­ri­to­ri­en.

Künst­ler­ver­bän­de sind, his­to­risch gese­hen, ja Grup­pen, die eher der Pfle­ge und Behaup­tung des Loka­len, Regio­na­len ver­pflich­tet waren. Hier ging es um Sicht­bar­keit, um Aus­stel­lungs- und Ver­kaufs­mög­lich­kei­ten. Und damit um kon­kre­te Räu­me: Gebäu­de, in denen man aus­stel­len und sich tref­fen kann. Die Künst­ler­ver­bän­de steck­ten ihre Ter­ri­to­ri­en ab. Und wur­den dabei von den ent­spre­chen­den poli­ti­schen Ein­hei­ten, den Lan­des­re­gie­run­gen und Kul­tur­äm­tern gefördert.

Gegen­über die­ser loka­len Fun­diert­heit set­zen die Ver­ei­ne heu­te aber auf die Erwei­te­rung, die Über­schrei­tung von Gren­zen: So hat die Neue Münch­ner den künst­le­ri­schen Aus­tausch sogar in ihrer Sat­zung fest­ge­schrie­ben, und eben­so stellt dies für den Kunst­ver­ein Kunst­hal­le Han­no­ver einen wich­ti­gen Bestand­teil der Akti­vi­tät dar.

Über­haupt ist die Kunst­welt stark ver­netzt und inter­na­tio­na­li­siert, so dass die Zuschrei­bung von Künst­lern zu geo­gra­fi­schen Her­kunfts­ge­bie­ten zuneh­mend frag­wür­dig wird. Gleich­zei­tig gibt es sicher auch eine Qua­li­tät des Loka­len, Eng­ma­schi­gen. Die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis des Loka­len, Par­ti­ku­la­ren zum Über­re­gio­na­len, Glo­ba­len steckt sicher auch in der  die­ser Ausstellung.

Zum Titel der Aus­stel­lung, Ter­ri­to­ri­en, fiel mir Michel Hou­el­le­becqs Roman Kar­te und Gebiet (2010) ein. Dar­in taucht ein Satz auf, der bei­de Begrif­fe in Ver­bin­dung setzt und zur Aus­stel­lung zu pas­sen scheint: „Die Kar­te ist inter­es­san­ter als das Gebiet.“

Im Roman macht ein – fik­ti­ver – Künst­ler Fotos von Stra­ßen­kar­ten. Die Kar­te wird als Bild gese­hen wird, nicht mehr als funk­tio­na­le Beschrei­bung. In der ers­ten Aus­stel­lung die­ser Fotos hängt am Ein­gang eine Gegen­über­stel­lung, ein Bild­ver­gleich: ein­mal eine Satel­li­ten­auf­nah­me, dane­ben das Bild einer Kar­te des­sel­ben Gelän­des: Wäh­rend das Satel­li­ten­fo­to nur ein ver­schwom­men-blas­ses, grün-bräun­li­ches Bild zeigt, ist das Kar­ten­bild ein inter­es­san­tes Geflecht aus Lini­en, klar, leuch­tend, ästhe­tisch attrak­tiv, bedient sich viel­fäl­ti­ger Zei­chen und Sym­bo­le und trans­por­tiert Sinn, indem es die Orte der Men­schen zeigt und benennt.

Der Bild­ver­gleich wird unter­stützt durch den Schrift­zug: „THE MAP IS MORE INTE­RES­T­ING THAN THE TER­RI­TO­RY“. Dies eine spie­le­ri­sche Bezug­nah­me auf die Fest­stel­lung „The map is not the ter­ri­to­ry“, die in Mathe­ma­tik und Geo­wis­sen­schaft im Dis­kurs um das Ver­hält­nis von Kar­te und Ter­ri­to­ri­um immer wie­der auftaucht.

Bei einer Kar­te han­delt es sich um ein Bild, ein Arte­fakt, eine Abs­trak­ti­on, ein Modell der Rea­li­tät, und dass die­se nicht deckungs­gleich sind, ist ein­leuch­tend – auch wenn wir im All­tag häu­fig von einer Ent­spre­chung aus­ge­hen. Dar­über hin­aus behaup­tet der Satz aber das grö­ße­re Inter­es­se, das eine Kar­te gegen­über dem abge­bil­de­ten Gebiet bean­spru­chen kann, gera­de weil sie ein eige­nes, gestal­te­tes Bild gibt.

Der Modus, das „Wie“ der Abbil­dung in abs­tra­hier­ter, kar­to­gra­phi­scher Form sagt viel aus über die Ver­fasst­heit des­je­ni­gen, der sie anfer­tigt, und über die Zeit und Umstän­de. Der His­to­ri­ker Karl Schlö­gel hebt den Eigen­wert von Kar­ten in sei­nem Buch Im Rau­me lesen wir die Zeit. Über Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schich­te und Geo­po­li­tik (2003) noch wei­ter her­vor: „Indes sind Kar­ten nicht nur pas­si­ves Abbild, Abdruck oder Aus­druck die­ser Zeit, son­dern auch Kon­struk­ti­on, Pro­jekt und Pro­jek­ti­on in die Zukunft“.

Was wird auf Kar­ten gezeigt? Was ein­ge­zeich­net? Wo lie­gen Schwer­punk­te, was liegt im Zen­trum? Hier sei nur ver­wie­sen auf die T‑Karten des Mit­tel­al­ters, die vol­ler Sym­bo­lik sind: Die drei Kon­ti­nen­te, Euro­pa, Afri­ka, Asi­en, ver­bin­den Lini­en, die sich in der Mit­te, in Jeru­sa­lem tref­fen. Sie bil­den ein Kreuz, das Zei­chen des Heils, an dem sich aber auch alles aus­rich­tet. Eine Kar­te ist ein Weltbild.

Den Eigen­wert von Kar­ten stel­len auch Deleuze/Guattari in Rhi­zom (1976) her­aus: Gegen­über der ein­fa­chen Abbild­haf­tig­keit eines Fotos beto­nen sie: „Macht Kar­ten, kei­ne Fotos […] (Medi­al ist das im Spie­gel von Kar­te und Gebiet inter­es­sant, da dort der Künst­ler ja gera­de dies tut: er macht Fotos, aller­dings von Kar­ten, als eine Art der Appro­pria­ti­on, auch gehen sei­ne Fotos über rei­ne Repro­duk­ti­on hin­aus). Deleuze/Guattari heben Offen­heit, Viel­sei­tig­keit, Fle­xi­bi­li­tät der Kar­te als Medi­um her­vor: „Die Kar­te ist offen, sie kann in allen ihren Dimen­sio­nen ver­bun­den, demon­tiert und umge­kehrt wer­den, sie ist stän­dig modi­fi­zier­bar. […] sie kann sich Mon­ta­gen aller Art anpas­sen; sie kann von einem Indi­vi­du­um, einer Grup­pe oder gesell­schaft­li­chen For­ma­ti­on ange­legt wer­den. Man kann sie auf Mau­ern zeich­nen, als Kunst­werk begrei­fen, als poli­ti­sche Akti­on oder als Medi­ta­ti­on konstruieren.“

Man könn­te den Satz „Die Kar­te ist inter­es­san­ter als das Gebiet“ auch auf die Aus­stel­lung Ter­ri­to­ri­en bezie­hen: Die Arbei­ten bil­den nicht 1:1 einen gesell­schaft­li­chen Dis­kurs ab, sie gehen ihrer­seits dar­über hin­aus. Sie illus­trie­ren nicht. Die Aus­stel­lung bezieht sich auf den gesell­schaft­li­chen Dis­kurs, aber sie bil­det ihn nicht ein­fach „foto­gra­fisch“ ab. Sie über­setzt, abs­tra­hiert, setzt Schwer­punk­te, legt einen Fokus, lässt man­ches weg. Sie bil­det eine Welt eige­nen Rechts. Inso­fern könn­te man auch hier sagen: Die Kar­te ist inter­es­san­ter als das Gebiet. Oder, um dem Gebiet gerecht zu wer­den: Das Gebiet ist schon inter­es­sant, aber inter­es­san­ter noch ist die Karte.

Im Fol­gen­den eini­ge Aspek­te, die Ter­ri­to­ri­en und ihre Arbei­ten mit einer Kar­te tei­len, und in denen sich die media­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen spie­geln. Zunächst fällt auf, wenn man die Aus­stel­lung betritt: Sie scheint tat­säch­lich wie eine Kar­te, im Sinn von Deleu­ze, rhi­zom­haft orga­ni­siert. Nicht nur an den Wän­den, son­dern in alle Rich­tun­gen brei­tet sie sich aus, in die Höhe, auf dem Boden mit Pro­jek­tio­nen, in den Ecken, den Gän­gen, mit sich kreu­zen­den und in den Raum aus­grei­fen­den Stell­wän­den in der Mit­te. Die Viel­falt der Flä­chen und Räu­men ver­schränkt sich mit der­je­ni­gen der Medi­en. Der Begriff „mul­ti­me­di­al“, oft über­stra­pa­ziert, ist hier wirk­lich zutref­fend, es gibt Skulp­tu­ren, Instal­la­tio­nen mit hap­tisch ein­la­den­den Fund­stü­cken, Fil­me, Pro­jek­tio­nen, male­risch bear­bei­te­te Fotos, Col­la­gen, kine­ti­sche Objekte…

Es macht Ver­gnü­gen, die Arbei­ten der Aus­stel­lung „kar­to­gra­fisch“ über Moti­ve und Her­an­ge­hens­wei­sen zu ver­knüp­fen, so dass sich immer neue Ver­bin­dun­gen erge­ben: So ist das Kreuz als Raum­ach­se, als Wind­ro­se prä­sent, aber auch als Sym­bol: Felix Wein­old lässt zwei leuch­ten­de Kreu­ze sich so gegen­ein­an­der dre­hen, dass sie als Schwer­ter gele­sen wer­den. Sie schei­nen sich zu berüh­ren, zu bekämp­fen, was an die Licht­schwer­ter aus Star Wars erin­nert, aber auch an die Kon­flik­te christ­li­cher Kon­fes­sio­nen – mit ihren impe­ri­al-ter­ri­to­ria­len Begleit­mäch­ten. Mit der mili­tä­ri­schen Kon­no­ta­ti­on spielt auch Max Elz­holz, in mehr­fa­cher Bre­chung: Er zeigt einen Lehr­film über den Zusam­men­bau einer sowje­ti­schen Kalasch­ni­kow – aller­dings vom US-Mili­tär pro­du­ziert, um die Waf­fen­tech­nik des Geg­ners zu ver­ste­hen. Der Künst­ler voll­zieht in einem spie­gel­bild­lich pro­ji­zier­ten Film die Hand­lun­gen nach, dabei nackt und damit denk­bar unmi­li­tä­risch. Auch Tho­mas Sterna bringt sei­ne eige­ne Per­son ins Spiel: Unter Bezug auf sowje­ti­sche Plas­ti­ken iden­ti­fi­ziert er sich bzw. den Typ des Künst­lers iro­nisch mit einer rekla­me­ar­ti­gen Leucht­schrift als Held des Kapi­ta­lis­mus. Dabei dreht sich die Figur um ihr eige­nes Ach­sen­kreuz, mit aus­ge­streck­tem Arm und Bein. Sie lotet so den – eng begrenz­ten – Spiel­raum aus, der der Figur, dem Künst­ler inner­halb des Koor­di­na­ten­sys­tems des Kunst­be­triebs bleibt.

Die Abs­trak­ti­on eines Gebiets spielt eine Rol­le bei Kers­tin Hen­schel male­risch über­ar­bei­te­ten Fotos von sich im Was­ser spie­geln­den Land­schaf­ten, die sich einer ein­fa­chen Les­bar­keit aber ver­wei­gern und zu auto­no­men Bil­dern wer­den. Patri­ci­ja Gily­te gestal­tet Reli­efs aus wür­fel­för­mi­gen Modu­len, die an Archi­tek­tur­mo­del­le und ortho­go­na­le urba­ne Struk­tu­ren den­ken las­sen – inter­es­san­ter­wei­se aus der per­sön­li­chen Erin­ne­rung an Orte oder Bewe­gun­gen mit Räu­men heraus.

Das per­sön­li­che Ter­ri­to­ri­um taucht immer wie­der auf: Esther Glück baut ein Nest aus Ästen an den Kran, macht dadurch die für mili­tä­ri­sche Zwe­cke gedach­te Maschi­ne funk­ti­ons­los, besetzt sie mit dem Inn­be­griff der natur­haf­ten schüt­zen­den Struk­tur. Einen pri­va­ten Bereich grenzt Marei­ke Poeh­ling durch ein über Stell­wän­de geleg­tes Kant­rohr ab, mit dem am Boden Hei­zungs­roh­re aus ihrer Woh­nung kor­re­spon­die­ren und wei­te­re bio­gra­fisch auf­ge­la­de­ne Fund­stü­cke. Ein vor­hang­ar­ti­ges Objekt weckt Asso­zia­tio­nen an Haut als Gren­ze des Kör­pers, der Intim­sphä­re. Der Inbe­griff des Zugangs zum Pri­va­ten, ein Schlüs­sel­loch, und der Abgren­zung eben­die­ses Rau­mes, eine Tür, sind Moti­ve bei Alex­an­der Steig, der sie räum­lich und fil­misch mit­ein­an­der ver­schal­tet und den Betrach­ter mit ein­be­zieht – wobei auch poli­ti­sche Gren­zen in den Blick rücken. Auf den Ein­zel­nen und sein Umfeld fokus­siert Ste­fa­nie Unruh, wenn sie in Film­auf­nah­men von Bau­stel­len, die urba­ne Ver­än­de­rungs­pro­zes­se spie­geln, immer wie­der Fotos von Per­so­nen an ihrem per­sön­li­chen Ort ein­blen­det. For­mal spie­geln sich die kon­struk­ti­ven For­men der Krä­ne im Film mit denen in der Hal­le 50.

Abs­tra­hier­te Reprä­sen­ta­tio­nen von räum­li­chen Bezie­hun­gen, Git­ter­net­ze und Kar­ten tau­chen auf bei Har­ro Schmidt mit den spie­le­risch-expe­ri­men­tel­len Over­head-Pro­jek­tio­nen von geo­me­tri­schen For­men, die Net­ze, ima­gi­nä­re Satel­li­ten und Him­mels­kör­per bil­den, aber auch archi­tek­to­ni­sche Struk­tu­ren. Eben­falls kar­to­gra­fi­sche Ele­men­te, Lini­en und Höhen­pro­fi­le struk­tu­rie­ren Ingo Lies Bil­der, die, kom­bi­niert und ver­schmol­zen mit Figu­ren, etwa Fischen, an Stern­bil­der, an Kar­to­gra­fien von Him­mels­räu­men den­ken las­sen und so eine erzäh­le­ri­sche Dimen­si­on bekom­men. Eva Ruh­land nutzt Kar­ten expli­zit, Wet­ter­kar­ten, trans­fe­riert sie aber in Kom­bi­na­ti­on mit wei­te­ren Bil­dern in einen ande­ren, sozia­len und poli­ti­schen Kon­text. Ein mit einem Tuch beleg­tes Schlauch­boot dient als Pro­jek­ti­ons­flä­che, weckt eben­falls Asso­zia­tio­nen an Migra­ti­on. Gleich­zei­tig mani­fes­tie­ren sich in den fal­ti­gen, gebirgs­ähn­li­chen Bor­den des Boots Grenzen.

Albert Coers: “THE MAP IS MORE INTE­RES­T­ING THAN THE TER­RI­TO­RY”. In: Alex­an­der Steig, Eva Ruh­land (Hg.): Ter­ri­to­ri­en – Raum und Grenz­fra­gen mul­ti­me­di­al, Kat. Ausst. Hal­le 50 München/Kunsthalle Faust, Han­no­ver, Mün­chen: Icon Ver­lag Hubert Kret­schmer 2019, S. 7–11.