Dia­na Ebs­ter: Der Berg ruft

Albert Coers’ Instal­la­ti­on Nell’ ombra del monte/Im Berg(Schatten) ist sein Bei­trag für die Aus­stel­lung Tanz auf dem Vul­kan, zu der er 2010 in die Kunst­ar­ka­den (Mün­chen) ein­ge­la­den wird. Ein etwas schwie­ri­ger Titel für eine Grup­pen­aus­stel­lung, scheint es mir. Wie nimmt man dar­auf Bezug ohne illus­tra­tiv zu argu­men­tie­ren und bleibt sei­ner Arbeit zugleich treu? Coers löst den Bezug zum Aus­stel­lungs­ti­tel ele­gant, exzer­piert für sich dar­aus den Begriff der Gefahr und das Motiv des Ber­ges, und macht sich dann mit sei­ner Idee unab­hän­gig an die Installation.

Nell’ ombra del mon­te ist eine eben­so schlicht gebau­te wie wir­kungs­vol­le Kon­struk­ti­on. Die offe­ne Insze­nie­rung der Mit­tel wird mit der Mys­tik des aus ihr ent­ste­hen­den Bil­des in eins gesetzt: Als Mate­ri­al die­nen Coers ein Tape­zier­tisch, Bücher, die er auf die­sem Tape­zier­tisch sta­pelt, und eine Schreib­tisch­lam­pe, die er davor mon­tiert. Das ist alles, was nötig ist, um das dunk­le Schat­ten­bild eines Berg­mas­sivs an die Gale­rie­wand zu zeich­nen, die­ses zugleich durch die Aus­wahl der ein­zel­nen Bücher mit Zeit- und Berg­stei­ger­ge­schich­te auf­zu­la­den und zudem auch einen ganz per­sön­li­chen Bezug zur eige­nen Künst­ler­ge­schich­te zu setzen.

Nell’ ombra del mon­te hat eine Vor­ge­schich­te: 2009 ist Albert Coers zu einer Ein­zel­aus­stel­lung ins Künst­ler­haus Mün­chen ein­ge­la­den. Es steht ihm frei, ein belie­bi­ges Pro­jekt zu ent­wer­fen, ein­zi­ge Vor­ga­be ist, daß er sich dabei auf den Ort selbst bezieht und eine spe­zi­fi­sche Arbeit ent­wi­ckelt. Coers, der seit vie­len Jah­ren mit Büchern als Mate­ri­al für sei­ne Instal­la­tio­nen arbei­tet, bit­tet die Orga­ni­sa­to­ren des Künst­ler­hau­ses um einen Hin­weis, ob es eine Biblio­thek gibt bzw. ob man ihm Bücher über­las­sen könn­te, die mit dem Haus in Bezie­hung ste­hen. So kommt es zur Emp­feh­lung der pri­va­ten Biblio­thek des ver­stor­be­nen Archi­tek­ten Karl­heinz Lieb, der nach dem Zwei­ten Welt­krieg beim Wie­der­auf­bau des Künst­ler­hau­ses mit­ge­wirkt hat­te. Sie exis­tiert noch in der ehe­ma­li­gen Woh­nung des Archi­tek­ten und wird von den Kura­to­ren betreut.

Auf­fal­lend an der Bücher­samm­lung von Lieb sind die zahl­rei­chen Berg­bü­cher, unter ande­rem Lite­ra­tur zu den gro­ßen Pamir-Expe­di­tio­nen, die der Deut­sche und Öster­rei­chi­sche Alpen­ver­ein seit 1913 unter­nom­men hat­te. Der Pamir ist ein Hoch­ge­bir­ge in Zen­tral­asi­en, das Kir­gi­stan, Chi­na, Afgha­ni­stan und Tadschi­ki­stan ver­bin­det. Abbil­dun­gen die­ses Berg­mas­sivs waren für Coers der Anstoß, aus der vor­ge­fun­de­nen Lite­ra­tur in den Fens­ter­ni­schen der Werk­statt für Litho­gra­phie ein Bücher­berg­mas­siv zu bau­en, das eine Fort­set­zung der auf­ge­schich­te­ten Druck­stei­ne insze­niert. Wäh­rend Coers an sei­nem Ein­griff zunächst vor allem das Motiv der Schich­tung inter­es­sier­te, war ein über­ra­schen­der Neben­ef­fekt, daß die Instal­la­ti­on ein Schat­ten­bild pro­du­zier­te, das dem Künst­ler ein weit „ber­gi­ge­res“ Bild eines Höhen­zu­ges auf den Boden zu zeich­nen schien, als es die Instal­la­ti­on selbst ver­mit­teln konnte.

Es war also eine zufäl­li­ge Ent­de­ckung, die das The­ma des Schat­ten­bil­des ab nun bewußt bei den Buch­in­stal­la­tio­nen prä­sent wer­den ließ. Bei der fol­gen­den Aus­stel­lung in den Kunst­ar­ka­den soll­te die Instal­la­ti­on nicht mehr pri­mär im Vor­der­grund ste­hen, son­dern selbst zum Medi­um der Bil­der­zeu­gung wer­den. Das Wech­sel­spiel zwi­schen Kon­struk­ti­on, Illu­si­on und Des­il­lu­sio­nie­rung stellt Coers dort erst­mals in einer eben­so pove­ren wie poin­tier­ten Wei­se vor.

Jeder kennt das Kin­der­spiel, bei dem man durch eine bestimm­te Hal­tung der Hand oder bei­der Hän­de Schat­ten­bil­der erzeu­gen kann, die einen Hasen, einen flie­gen­den Adler, einen Hun­de­kopf, Hirsch oder Schwan an die Wand wer­fen. Fas­zi­nie­rend dar­an ist eben die­ses Spiel des nicht iden­ti­schen Bil­des, denn wäh­rend man beim Maît­re des Illu­si­ons nichts als sei­ne Hän­de sieht, läßt deren Schat­ten eine gan­ze Bat­te­rie von wil­den Krea­tu­ren ent­ste­hen. Die absur­de Situa­ti­on, daß etwas sicht­bar ist und doch nicht exis­tent ist, ist ein unum­gäng­li­cher Reiz. Anders her­um bleibt die Illu­si­on immer zugleich transparent.

Und so beläßt auch Coers in der Aus­stel­lung alles so wie es eben ist: der schma­le Tape­zier­tisch biegt sich unter dem Gewicht der Bücher und die Schreib­tisch­lam­pe lagert unprä­ten­ti­ös vor den anein­an­der­ge­lehn­ten Publi­ka­tio­nen, die von dem glei­ßen­den Licht der Glüh­bir­ne getrof­fen wer­den. Hin­ter die­ser Sze­ne­rie aber thront ein dunk­les Gebir­ge, das das gan­ze Pathos sei­ner Sym­bo­lik, die Tra­gö­di­en und die Hel­den­er­zäh­lun­gen sei­ner Bezwin­gung in sich schwin­gen läßt. Ein wun­der­bar sur­rea­les Kunst-Stück.

Neben Nell’ ombra del mon­te insze­niert ein wei­te­res Werk, das Coers aus­stellt, die Anwe­sen­heit des Abwe­sen­den. Auch in der Serie I TITO­LI SOLI sind die Bil­der – oder bes­ser die Gra­phi­ken – nicht pri­mär iden­ti­sches Abbild, son­dern ver­wei­sen kunst­voll auf etwas, auf das Coers Bezug nimmt, das er in der Hand hat­te, mit dem er gear­bei­tet hat und das zurück­ge­kehrt ist in den Kon­text, aus dem er es für sei­ne künst­le­ri­sche Arbeit ent­lie­hen hatte.

In I TITO­LI SOLI fixiert Coers mit einer tra­di­tio­nell wis­sen­schaft­li­chen Metho­de der Doku­men­ta­ti­on den Ver­lust. Wie in der archäo­lo­gi­schen Frot­ta­ge­tech­nik vor­ex­er­ziert, reibt Coers gepräg­te Titel und Bil­der von Buch­de­ckeln und Buch­rü­cken durch auf­ge­leg­tes Papier ab, und kom­bi­niert die­se Abrie­be bei der Hän­gung so, daß sich aus ihren Bezie­hun­gen eine neue Erzäh­lung ent­wi­ckelt. Auf jede Vor­la­ge wird mit der pas­sen­den Schraf­fur­tech­nik reagiert, und auch die Wahl der Bücher ist kein Zufall. Mit den Prä­ge­dru­cken läßt sich ein spe­zi­fi­sches Zeit­ge­fühl ver­mit­teln, denn sie sind eine gestal­te­ri­sche Erschei­nung, die ihre Hoch­zeit vor allem zwi­schen den 1920er und 1950er Jah­ren hat­te. Auch in I TITO­LI SOLI spielt das Pathos der Titel und ihrer Bild­mo­ti­ve auf Exis­ten­ti­el­les an und nicht zuletzt auf eine Geschich­te, die das Pathos bis hin zu extrems­ten Ver­falls­er­schei­nun­gen getrie­ben hat.

Nur so viel noch: Albert Coers war und ist selbst ein begeis­ter­ter Berg­stei­ger, und eben die­ses Spiel zwi­schen Her­aus­for­de­rung und Gefahr, zwi­schen Bezwin­gung und Absturz, übt auch auf ihn einen magi­schen Reiz aus. In der Arbeit ist dies über­setzt in eine valen­tineske, aber eben­so sur­rea­le wie kri­ti­sche Ein­la­dung zu einer Wan­de­rung durch künst­li­ches Gebir­ge und des­sen Steil­wän­de, Abgrün­de und Ausprägungen.

in: Albert Coers: I SOLI­TI TITO­LI, Bie­le­feld 2011, S. 38 ff.

Dia­na Ebs­ter, *1966. Stu­di­um der Kunst­ge­schich­te, Geschich­te und Archäo­lo­gie in Eich­stätt und Bochum. Freie Mit­ar­beit u.a. bei hArt­wa­re pro­jek­te Dort­mund. Nach einem Volon­ta­ri­at an der Staat­li­chen Kunst­hal­le Baden-Baden freie Kura­to­rin u.a. des lothringer13_laden, der Osram Gal­lery und des ZKMax/Maximiliansforums in Mün­chen, seit 2007 Mit­ar­bei­te­rin des Kul­tur­re­fe­rats der Lan­des­haupt­stadt Mün­chen im Team Bil­den­de Kunst. 

Dia­na Ebs­ter: The Call of the Mountain

The instal­la­ti­on “Nell’ ombra del monte/In the Mountain(Shadow)” by Albert Coers is his con­tri­bu­ti­on to the exhi­bi­ti­on “Dancing on the Vol­ca­no” for which he was invi­ted 2010 in the Kunst­ar­ka­den, Munich. A somehow dif­fi­cult title for a group show as it seems to me: how one can pos­si­bly rela­te to wit­hout being illus­tra­ti­ve and be faithful to his work at the same time? Coers resol­ves the rela­ti­on to the title of the exhi­bi­ti­on ele­gant­ly, excerp­ts for hims­elf the con­cept of dan­ger and the moti­ve of the moun­tain, and then auto­no­mously sets out with his idea for the installation.

“Nell’ ombra del mon­te” is an instal­la­ti­on, as sim­ply con­s­truc­ted, as it is effec­ti­ve. The open sta­ging of its means is put in one with the magic of the emer­ging image: as mate­ri­al Coers uses a pas­ting table, book which he stap­les on this table, and a desk lamp, which he sets up in front. That is all what is neces­sa­ry to draw on wall of the gal­lery the dark shadow of a moun­tain ran­ge, to char­ge it by the sel­ec­tion of the sin­gle books with recent histo­ry and the histo­ry of alpi­nism. Moreo­ver, it con­nects it in a very per­so­nal way to the indi­vi­du­al histo­ry of an artist.

Nell’ ombra del mon­te has a back­ground: In 2009 Albert Coers is invi­ted for a sin­gle show in the Künst­ler­haus Munich. It is left to him to do a pro­ject whatsoe­ver, only demand is to refer to the place its­elf and to deve­lop a spe­ci­fic work. Coers, who sin­ce many years works with books as mate­ri­al for instal­la­ti­ons, asks the cura­tors for infor­ma­ti­on about a libra­ry respec­tively any books con­nec­ted to the house that could be han­ded over to him. They sug­gest the pri­va­te libra­ry of Karl­heinz Lieb, an archi­tect who had work­ed on the recon­s­truc­tion of the Künst­ler­haus after the Second World war. It still exists in the for­mer apart­ment of the recent­ly decea­sed archi­tect and is loo­ked after by the curators. 

What attracts the atten­ti­on in Lieb’s coll­ec­tion of books are the num­e­rous books on moun­ta­ins, among other lite­ra­tu­re on the big expe­di­ti­ons to the Pamir under­ta­ken by the Ger­man and Aus­tri­an Alpi­ne Asso­cia­ti­on sin­ce 1913. The Pamir is a moun­tain ran­ge in Cen­tral Asia, con­nec­ting Kyr­gyz­stan, Chi­na, Afgha­ni­stan and Taji­ki­stan. Images of this mas­sif were a moti­ve for Coers to build a mas­sif of books from the found lite­ra­tu­re loca­ted in the win­dow recess of the litho­gra­phic prin­ting office, sta­ging as a con­ti­nua­tion of the sta­cked prin­ting stones.  While Coers in his inter­ven­ti­on first was inte­res­ted in the visu­al the­me of stra­ti­fi­ca­ti­on, an sur­pri­sing side-effect came up when the instal­la­ti­on pro­du­ced a sil­hou­et­te which appeared to the artist to draw a far more “moun­tai­nous” image of a moun­tain ran­ge on the flo­or than the instal­la­ti­on its­elf could convey/portray.

Thus, it was a casu­al dis­co­very that let beco­me the the­me of the shadow image pre­va­lent, from now on con­scious­ly. In the fol­lo­wing exhi­bi­ti­on in the Kunst­ar­ka­den, the instal­la­ti­on should not be pri­ma­ri­ly prominent/in the spot­light, but ser­ve its­elf as a medi­um for crea­ting images.  The inter­play bet­ween con­s­truc­tion, illu­si­on and dis­il­lu­si­on Coers pres­ents the­re the first time, as simply/minimalist as to the point/precisely.   

Ever­y­bo­dy knows the child play, whe­re one can crea­te sil­hou­et­tes by a cer­tain posi­ti­on of one or both hands pro­jec­ting at the wall a hare, a fly­ing eagle, a dog’s head, a deer or a swan. What is fasci­na­ting about that is the play of the non-iden­ti­cal image, as while one sees not­hing but the hands of the Maît­re des Illu­si­ons, their shadow brings a who­le bunch/army of wild crea­tures to live.

The absurd situa­ti­on some­thing being visi­ble and non-exis­tent is an ine­vi­ta­ble appeal/attraction. The other way round the illu­si­on remains always trans­pa­rent at the same time. The­r­e­fo­re, Coers lea­ves ever­y­thing in the exhi­bi­ti­on as it just might be: the slen­der pas­ting table bows under the bur­den of the books and the desk lamp lays wit­hout pre­ten­si­on in front of the publi­ca­ti­ons lea­ning one against the other which are struck by the glis­tening light of the bulb. Nevert­hel­ess, behind this sce­n­ery thro­nes a dark ran­ge of moun­ta­ins that impli­ca­tes the enti­re pathos of its sym­bo­lism, the tra­ge­dies and epo­pees of its con­quest. A mar­vell­ous­ly sur­re­al pie­ce of art.

Bes­i­des „Nell’ ombra del monte“an other exhi­bi­ted work dis­plays the pre­sence of the absent. In the series „I tito­li soli“ the pic­tures –or bet­ter dra­wings- are not pri­ma­ri­ly an iden­ti­cal image but point artful­ly to some­thing Coers is refer­ring to,  which he had in hand,  he had work­ed with and which has retur­ned in the con­text from which he had loan­ed it for his artis­tic work. In „I tito­li soli“ Coers reta­ins the loss app­ly­ing a tra­di­tio­nal sci­en­ti­fic method of docu­men­ta­ti­on. As demons­tra­ted by the archaeo­lo­gi­cal tech­ni­que of frot­ta­ge, Coers rubs embos­sed titles and images of covers and spi­nes through paper he has appli­ed, and com­bi­nes the­se rub­bings on the presentation/hanging in order to deve­lop by their rela­ti­ons a new nar­ra­ti­ve. To every model, he responds with an ade­qua­te tech­ni­que of hat­ching, and the sel­ec­tion of books is not arbi­tra­ry, eit­her. The embos­sed prin­tings allow impar­ting a spe­ci­fic spi­rit of time for they appear as a mat­ter of design that had its heyday main­ly bet­ween the 1920’s and the 1950’s.  In „I tito­li soli“ the pathos of the titles and their motifs allu­des to some­thing exis­ten­ti­al and not least to a histo­ry that carried/took pathos to hea­viest sym­ptoms of decline.

Only one more point: Albert Coers has been and still is a pas­sio­na­te moun­tain clim­ber and it is exact­ly this play bet­ween chall­enge and dan­ger, con­quest and fall that holds for him a magic attrac­tion. In the pie­ce, it is trans­la­ted in a valen­tineske, but in the same way both sur­re­al and cri­tic invi­ta­ti­on to a hike through arti­fi­ci­al moun­ta­ins and their steep faces, abys­ses and peculiarities/shapes.


in: Albert Coers: I SOLI­TI TITO­LI, Bie­le­feld 2011, S. 38 ff.

Dia­na Ebs­ter, *1966. Stu­di­ed Histo­ry of Art, Histo­ry and Archaeo­lo­gy in Eich­stätt and Bochum. Free­lan­ce a.o. with hArt­wa­re pro­jects Dort­mund. After a trai­nee­ship at Staat­li­che Kunst­hal­le Baden-Baden free­lan­ce cura­tor a.o. of loth­rin­ger 13_laden, Osram Gal­lery and ZKMax Munich, sin­ce 2007 at the Depart­ment of Arts and Cul­tu­re ot the City of Munich.