7.2. ‑12.2 Jour­nal — Venedig

7.2., Frei­tag Venedig-Nachtrag

Bevor die Erin­ne­rung ver­schwin­det, ein Rück­blick auf die Fahrt nach Venedig:

In aller früh ste­hen wir dafür auf, bereits um 6 Uhr. Dies­mal schaf­fen wir es, im Gegen­satz zur letz­ten Ita­li­en­fahrt, nach Rom, wo der Zug in Inns­bruck ste­hen­blieb. Ankunft nach­mit­tags, gegen 15 Uhr, in Mest­re – der Zug fährt aus wel­chen Grün­den immer, nur bis hier­her. Mit einem Regio­nal­zug wei­ter, über die Lagu­ne. Der Him­mel verhangen.

Gleich nach der Ankunft in der Libre­ria dei Mira­co­li, mit waag­recht gesta­pel­ten Bän­den, jedes Buch in eine Foli­en­ta­sche ein­ge­packt. Wer­de auf Eng­lisch ange­spro­chen, was mich stört. Aber klar, mit Ruck­sack, dann der Phä­no­typ…
Kau­fe einen Pape­ri­no-Comic und ein Buch über Vene­dig, „Report. Vene­zia sull’orizzonte degli even­ti“, von Rena­to Pestri­nie­ro.

Zur Unter­kunft, ein Air BNB in Canareggio;Calle Cor­ren­te, Nähe der Stra­da Nuo­va;  typisch vene­zia­nisch, Erd­ge­schoss, nied­rig, mit dicken Bal­ken an der Decke, und, pro­mi­nent, mit einer Säu­le im Raum. Links vom Ein­gang eine Abtren­nung aus Glas, in Metall­rah­men, Art-Deco. Der Ter­razzo­bo­den ist kühl, des­halb lege ich Bücher über Vene­dig, Foto­bän­de, Füh­rer etc. als Tritt­stei­ne dar­auf. So kommt man vom Tisch zum Kühl­schrank und zum Herd. Eine spon­ta­ne Installation.

Wir ent­de­cken „Ale­xa“, die Kon­ver­sa­ti­ons­part­ne­rin und Hel­fe­rin. Ita­lie­ni­sche Schla­ger  von Fabri­zio de André etc. las­sen wir sie abspie­len. Sie macht dann ein­fach wei­ter und spielt ähn­li­ches. „Ale­xa, bas­ta!“ muss ich irgend­wann deut­lich sagen, damit sie wie­der auf­hört. Die Geschich­te vom Zau­ber­lehr­ling fällt mir ein.

8.2., Sams­tag

Zum nahe­ge­le­ge­nen Palaz­zo Gior­gio Fran­chet­ti. Spek­ta­ku­lä­rer Innen­hof mit Stein-Intar­si­en am Boden. Das ist so ein Moment, wo ich mich kaum fas­sen kann vor Begeis­te­rung. Stendhal-Syn­drom. Dann das Muse­um mit viel mit­tel­al­ter­li­cher Male­rei und dem Bal­kon, von dem man auf den Cana­le Gran­de hin­aus­sieht. Ein ganz beson­de­rer Ort.

Über­fahrt zum Fried­hof von S. Miche­le. Kur­zer, aber inten­si­ver Auf­ent­halt. Die Aus­deh­nung noch nie so deut­lich gespürt. Im Kreuz­gang, der ziem­lich leer und wenig besucht ist.

Nach eini­gem Suchen und an der Mau­er Umher­ge­hen das Grab von Joseph Brod­sky. Inter­es­sant der „Brief­kas­ten“, in dem Bot­schaf­ten an die Ver­stor­be­nen abge­legt sind, meist an Brod­sky, dar­un­ter auch viel in kyril­li­scher Schrift.
Kau­fe sein Buch über Vene­dig spä­ter in der Libre­ria Acqua Alta.

Um die­se Jah­res­zeit kei­ne Mos­qui­tos, die uns beim letz­ten Besuch im Som­mer fast auf­ge­fres­sen haben. Jetzt aber auch im „moder­nen“ Teil, den David Chip­per­field saniert hat. Stren­ge graue Beton­wän­de- und Stre­ben, erin­nert an japa­ni­sche Kies­gär­ten. Die lan­gen Urnen­zei­len wie Appar­te­ments in Hoch­häu­sern. Auf jeder Urne ein Pho­to – was in Deutsch­land viel weni­ger ver­brei­tet ist. Erstaun­lich der infor­mel­le Cha­rak­ter vie­ler Bil­der, die doch für den Toten das letz­te, reprä­sen­ta­ti­ve, blei­ben­de sind, zumin­dest hier auf dem Fried­hof: teils unscharf, dann in frei­zeit­li­chen Situa­tio­nen, z.B. mit Wein­glas, dem Betrach­ter gleich­sam zupros­tend; Das wirkt teils skur­ril, teils aber auch sym­pa­thisch. Mache eini­ge Pho­tos; den­ke auch an eine grö­ßer ange­leg­te Serie und an ein Buch aus die­sen Bil­dern. Man könn­te sich auf einen Bild­typ kon­zen­trie­ren, viel­leicht den der unschar­fen Bilder ….

Abends Film im Cine­ma Gari­bal­di: „The Bru­ta­list“. Her­vor­ra­gen­der Adri­en Bro­dy, der alle Stim­mungs­schwan­kun­gen des Prot­ago­nis­ten sehr glaub­haft spielt. Doch ins­ge­samt prä­ten­ti­ös, pathe­tisch. Das Kreuz, das durch Nega­tiv­raum gebil­det wird – das Licht, das in den Raum fällt. Das wäre rich­ti­gen Bau­häus­lern alles zu viel gewe­sen, glau­be ich. Und es wird eigent­lich nicht rich­tig über Archi­tek­tur dis­ku­tiert. Außer manch­mal über Raum­hö­hen von 15 Meter – und die Ein­wän­de der Inge­nieu­re, die auf Ein­spa­run­gen drän­gen.
Die sym­bo­lis­tisch rau­nen­den Sze­nen in den Ber­gen und Stein­brü­chen von Car­ra­ra – gro­ße Bil­der, Freu­de des Wie­der­erken­nens – aber dann wie­der pein­li­ches Pathos, auch in der Schlus­se­quenz, beim Ren­nen durch den Bau.

In „Report“, im Kapi­tel “Mess­ag­gi”, über Schrif­ten im öffent­li­chen Raum, offi­zi­el­le und nicht-offi­zi­el­le. Inter­es­san­ter­wei­se auch über Stra­ßen­na­men, die häu­fig in einer Mischung aus Hoch­i­ta­lie­nisch und Dia­lekt geschrie­ben sind.

Mario Ste­fa­ni: „La soli­tu­di­ne non è esse­re soli, è ama­re gli altri inu­tilm­en­te”, was anony­me Hän­de an meh­rern Stel­len in Vene­dig an Bau­zäu­ne schrie­ben – eine schö­ne Ver­brei­tung von Poesie.

Mahler­klän­ge von Ale­xa beim Einschlummern. 

9.2., Sonn­tag

Zum Ca’ Pesa­ro, Wun­der­kam­mer-Aus­stel­lung im Palaz­zo Gri­ma­ni. Hier hat­te ich die Aus­stel­lung von Base­litz gese­hen. Sei­ne Bil­der in den Flä­chen zwi­schen den Fens­tern sind noch da.

10.2., Mon­tag

Spät auf, füh­le mich etwas krank; im Bett Lek­tü­re, Josephs Brod­skys Ankunft in Vene­dig, im Win­ter „mol­te lune fa“. Der Geruch von Algen bei Tem­pe­ra­tu­ren unter Null für ihn ein Glücks­er­leb­nis. Kann ich nachvollziehen.

In die libre­ria Dam­o­cle, nicht weit vom Rial­to. War schon dort, aber das Wie­der­fin­den in der Cal­le del Per­don nicht so ein­fach. Das ers­te Mal im Laden. Schö­ne Aus­wahl an zwei- und mehr­spra­chi­gen Tex­ten: Poes „The Raven“ in meh­re­ren Spra­chen, ein Gedicht von Leo­par­di („nauf­ra­gio…“), u.a. von Ril­ke und Heyse über­setzt.
Kau­fe drei klei­ne Bücher, ein Mani­fest zur futu­ris­ti­schen Spra­che von Mari­net­ti, Brie­fe von Italo Sve­vo an sei­ne Frau, eine Erzäh­lung der Brü­der Gon­court aus Vene­dig, bei der ein Gemäl­de geraubt wird.

Gute Unter­hal­tung mit Pier­pao­lo Pregno­la­ti über sei­ne Akti­vi­tä­ten, u.a. als Typo­graph. Er hat sich rus­si­sche Let­tern aus Litau­en schi­cken las­sen, wo man sie ger­ne los­ge­wor­den ist, und hat dar­aus eini­ge Wör­ter gedruckt, die in der rus­si­schen Lite­ra­tur spe­zi­fisch vor­kom­men, etwa bei Dostojewski.

In den neu­en Teil Vene­digs, zur Uni­ver­si­tät, wo auch die Archi­tek­tur­fa­kul­tät unter­ge­bracht ist. E. hat sich dort Plä­ne und Unter­la­gen des Archi­tek­ten Euge­nio Mioz­zi vor­le­gen las­sen, der in den 50er/60er Jah­ren viel für Vene­dig geplant hat – unter ande­rem die auto­ri­mes­sa Sant’Andrea am Piaz­z­ale Roma, die­ses Park­haus im Bau­haus-Stil. Die Pon­te del­la Liber­tà, par­al­lel zur Eisen­bahn­brü­cke geht auf ihn zurück, eben­so ande­re Brü­cken in Vene­dig, z.B. die pon­te degli Scal­zi, gegen­über vom Bahn­hof, und die Holz­brü­cke del­la Acca­de­mia. Er hat­te auch vor­ge­schla­gen, Vene­dig an das Auto­bahn­netz anzu­schlie­ßen, mit einem Tun­nel­ring unter dem Meer – was zum Glück nie ver­wirk­licht wur­de, damals aber als Schritt Vene­digs her­aus aus sei­ner Iso­la­ti­on und Anschluss an die Moder­ne gese­hen wur­de.
Lau­fe durch den Cam­pus; die umge­bau­ten alten Lager­hal­len und Werf­ten. Sieht alles sehr funk­tio­nal aus, aber auch anonym. Wie­der an Autos vor­bei­zu­ge­hen, ist ein Schritt der Rück­kehr zum Fest­land. In ein Gebäu­de von inter­na­tio­na­len Sti­pen­dia­ten, auf der Suche nach einem Ort, wo ich mich hin­set­zen und etwas lesen kann. Die Biblio­thek, auf die ein Schild viel­ver­spre­chend ver­weist. aber nur mit Schlüs­sel zugäng­lich. Fens­ter­lo­se Flu­re und Trep­pen­häu­ser. Schließ­lich zum app­un­ta­men­to mit E. in der Cafe­te­ria. Wir füh­len uns wie­der ganz stu­den­tisch.
Zum Piaz­z­ale Roma; das Park­haus sehr beein­dru­ckend; E. erzählt, dass eine Kol­lo­na­de geplant war, den Platz umfas­send, dem Neoklassizismus/Faschismus der 1930er Jah­re geschul­det. Erstaun­lich, was alles (zum Glück aus heu­ti­ger Sicht) nicht gebaut wur­de in Venedig.

Das Park­haus mit der ele­gant-mini­ma­lis­ti­schen Schrau­ben­ram­pe beein­dru­ckend. Aufs Dach, mit gutem Blick auf die Stadt. Möwen lan­den neben uns auf der Mauer.

Ins Café der auto­ri­mes­sa im Sou­ter­rain. Dun­kel, die Zeit scheint in den 50er/60ern stehengeblieben.

Noch ein­mal Essen­ge­hen; in ein Lokal in der Nähe der Stra­da Nuo­va. Man zahlt etwas mehr, aber dafür ange­neh­me Atmo­sphä­re, Mischung aus ita­lie­ni­schen Gäs­ten und Tou­ris­ten. Auch hier Ein­rich­tung über Jahr­zehn­te hin unver­än­dert; Auf Bor­den spar­sam eini­ge Bild­bän­de; umlau­fen­de Metall­stan­ge.
Noch ein Spa­zier­gang, auch, um unse­re weni­gen Abfäl­le zu ent­sor­gen; ver­geb­li­che Such nach dem Müll­bot, das wir im Plan der Unter­kunft ein­ge­zeich­net fin­den. Schließ­lich las­sen wir den klei­nen Sack in einem der weni­gen öffent­li­chen Müll­ei­mer, am Cam­po dei Gesui­ti, gegen­über der Polizeistation.

12.2., Mitt­woch

Nachts wenig Schlaf, Hus­ten, Schwit­zen; dazu Lärm aus der Woh­nung über uns. Ganz gerä­dert, als der Wecker läu­tet. Dann, ein­mal auf­ge­stan­den, geht es. Musik dies­mal Dvo­rak; Ale­xa ver­steht „Dwor­schak“ erst­mal nicht. Post­kar­ten an Micha­el Dax, Car­la u. Josef Mayerhofer.

Ins­ge­samt ange­neh­me Fahrt im Zug der ÖBB. Wäh­rend der Fahrt Arbeit an den Bil­dern für den Ord­ner für die Archiv-Aus­stel­lung im ZI.

Vie­les, was sich unmit­tel­bar gar nicht ver­wer­ten lässt – aber viel Zeit braucht und wovon man einen stei­fen Nacken bekommt. Wie ich gerade.

15.2., Sams­tag

Anmeldung/Bewerbung für die Miss Read. Brief­wahl – die ich dann auch zum Brief­kas­ten brin­ge.
Ent­wurf für den Wiki­pe­dia-Arti­kel über Albert Weis – schi­cke ihn ihm end­lich. Die Beschrei­bung sei­ner Arbei­ten scheint mir nicht sehr inspi­riert, zusam­men­ko­piert aus ande­ren Tex­ten – aber eine gute Grund­la­ge. Ich wer­de sie noch ein­mal überarbeiten.

16.2., Sonn­tag

Von Olek­siy Koval kommt auf face­book eine Replik zum Post über den Cimi­tero San Miche­le und Brod­skys Grab dort – ein kri­ti­scher Arti­kel über den Schrift­stel­ler und sei­ne zwei­fel­haf­te poli­ti­sche Hal­tung, inklu­si­ve abfäl­li­ger Äuße­run­gen gegen­über der Ukrai­ne. Das nimmt aber nichts von sei­nem Werk, fin­de ich.

In Brod­skys Vene­dig-Buch. Über die Löwen, die geflü­gel­ten, als Emblem Vene­digs – und sei­ne Umdeu­tung als Pegasus.

Ange­nehm, so unter der Bett­de­cke, wäh­rend es drau­ßen schneit. 

Abends in die Vil­la Stuck, Hank op de Beek führt durch die Aus­stel­lung. Immer noch sehr wit­zig, die Bil­der. Zum Vor­trag über Male­witsch blei­be ich dann aber doch nicht.

13.–16.1. — Jour­nal, Paris

13.1.25, Mon­tag, Paris

Ber­lin-Mann­heim. Selt­sa­mer Traum, der so gar nichts mit der Situa­ti­on im Zug zu tun hat: kaue­re mit ande­ren in einer Höh­le, wir sin­gen ein Lied mit schö­ner, ver­trau­ter Melo­die zur Gitar­re  „Und am Abend zie­hen Gauk­ler durch den Wald …. Weht der Wind mild und leis ….“

Die Nacht ziem­lich hart: Unru­he (Leu­te tele­fo­nie­ren, unter­hal­ten sich) trotz der spä­ten Stun­de, dann die dau­ern­den Hal­te und Durch­sa­gen (Stend­al, Han­no­ver, Göt­tin­gen (3 Uhr!), Frank­furt, Mann­heim), der Kampf mit den Sit­zen und dem Krib­beln in den Bei­nen, das erst bes­ser wird, als ich mich auf einem Vie­rer­sitz aus­brei­te, die Füße hoch­le­gen kann; die Anspan­nung und der häu­fi­ge Blick aufs Smart­phone, ob der Anschluss in Mann­heim gegen 7 Uhr  erreicht wird… Wird er, doch ste­he ich auf dem zugi­gen Bahn­steig. Jetzt geht es flot­ter, auf der TGV-Tras­se kann der ICE sei­ne Geschwin­dig­keit ausfahren.

Gegen 10 Uhr Ankunft. War lan­ge nicht mehr hier, zuletzt vor gut 10 Jah­ren, 2013? Und schon wie­der begeis­tert, als sich die glas­ge­deck­ten Stre­ben über mir wöl­ben: das ist ein Bahn­hof! – nicht die ewi­gen Bau­stel­len und Nach­kriegs­kon­struk­tio­nen in Deutsch­land. Dage­gen die Stren­ge des Sys­tems öffent­li­cher Ver­kehrs­mit­tel. Gar nicht so ein­fach, sich eine Fahr­kar­te für die Metro zu besor­gen. Durch Gän­ge und Tun­nels, wesent­lich aus­ge­dehn­ter als in Berlin.

Unter­kunft Nähe Sully/Morland, im Peo­p­le Marais. Dort im 7. Stock, mit guter Aus­sicht auf die Umge­bung und weit in die Stadt. Das Zim­mer mini­ma­lis­tisch, mit Anklän­gen an die 60er Jah­re, Le Cor­bu­si­er etc, Decke Sicht­be­ton, Boden dunk­ler Estrich.

Tref­fe in einem Café am Place d’Étoile Chris­ti­ne Demi­as, die ich von “Calen­dar 2025” im ein​Buch​.haus her ken­ne, wo sie den März gestal­tet hat, und auf den Call mit einem wei­te­ren geant­wor­tet hat, zu einer Aus­stel­lung, und die Ein­la­dung dazu als Bei­trag abge­druckt. und die ein Über Buch­pro­jek­te, und über das ABC (Artist’s Books Coope­ra­ti­ve), eine Grup­pe von Leu­ten, die gemein­sam auf Mes­sen etc. auf­tre­ten. Da könn­te ich mich bewerben/beitreten. Über Gale­rien und Buch­lä­den, sie emp­fiehlt Ivon Lambert.

E. kommt an. Gang am Sei­ne-Ufer. Sehe bei den Buch­stän­den einen Bla­ke & Mor­ti­mer-Comic, den ich noch nicht habe, „Les 3 for­mu­les du Prof. Sato“, der letz­te, den Jacobs noch selbst gezeich­net hat. Kau­fe ihn. Fühlt sich gut an, ein Buch gleich nach der Ankunft erwor­ben zu haben.

Nôt­re Dame, vor kur­zem wie­der­eröff­net. Auf dem Bau­zaun Dar­stel­lung der ver­schie­de­nen Gewer­ke, die Repa­ra­tur des Dach­stuhls, die Stein­metz­ar­bei­ten. Als wir hin­ein­ge­hen und ich das neue Gewöl­be sehe, bin ich so bewegt, dass es mich selbst über­rascht, habe Trä­nen in den Augen. Den­ke an die Feu­er­wehr­leu­te, die beim Brand 2019 ums Leben gekom­men sind, die Bil­der von der Ver­wüs­tung, vom ein­ge­stürz­ten Gewöl­be der Vie­rung. Und jetzt die­se Leis­tung, etwas wie­der heil zu machen – unab­hän­gig vom Glau­ben. Dass eine Gesell­schaft so etwas noch zu Stan­de bringt, in nur fünf Jahren.

Ins Cent­re Pom­pi­dou. Heu­te letz­ter Tag der Sur­rea­lis­ten-Aus­stel­lung, zu voll. Aber die stän­di­ge Samm­lung ist auch beein­dru­ckend, und es gibt vie­les, das ich nicht ken­ne bzw. mich nicht erin­nern kann, dass ich es schon ein­mal gese­hen hät­te: Eine gro­ße Instal­la­ti­on von Beuys, ein Raum mit Filz­rol­len an den Wän­den, iso­liert, Geräu­sche gedämpft, in der Mit­te ein Flü­gel. Schif­fe von Anselm Kie­fer, als Objek­te beein­dru­ckend, die Kom­bi­na­ti­on mit Schrift/Zitaten bzw. Daten der Welt­ge­schich­te (See­schlach­ten) lädt sie zu stark mit Bedeu­tung auf.
Aber auch bei der Male­rei eini­ges zu ent­de­cken: Bil­der von Derain, 2 Boo­te, dia­go­nal ins Bild gesetzt und ange­schnit­ten; inter­es­sant-rät­sel­haf­te Titel, fast lite­ra­risch: “L’hom­me indif­fe­rent” von Geor­ges Rib­e­mont, erin­nert an Musils “Mann ohne Eigen­schaf­ten”. Pica­bia — wuss­te nicht mehr, dass der auch sehr gut malen konn­te. Geor­ges Renault mit sei­nen dunk­len, schwarz umris­se­nen Figu­ren. Duch­amp nicht nur mit einer schwe­ben­den Schnee­schau­fel, die so auf­ge­hängt eine beson­de­re Prä­senz bekommt, an ein Flug­zeug oder auch ein Fall­bei erin­nert, son­dern auch mit einer schö­nen, fili­gra­nen auf­wen­di­gen Metall-Glas-Arbeit, er hat eben nicht nur Rea­dy­ma­des gemacht. Klee, Male­ri­sche Pla­kat-Abreiß­ar­bei­ten von Ray­mond Hains …

Gegen 9 schließt das Haus; zu den Schließ­fä­chern, die als Design-Glas­ku­ben gestal­tet sind und je nach Bele­gung rot oder grün leuch­ten; sind etwas war­tungs­in­ten­siv, vie­le sind außer Betrieb, leuch­ten gar nicht; Über­haupt scheint es nicht ein­fach, so ein gro­ßes Haus, so eine gro­ße Maschi­ne am Lau­fen zu hal­ten.

Rich­tung Sei­ne, Rue de Temp­le. Neu­gie­rig, was sich hin­ter “temp­le” ver­birgt: eine evang. Kir­che; Im Café Sul­ly Imbiss.

14.1., Diens­tag

Zum Louvre/Palais Roya­le, wo E. in der Nähe, am INHA in der Rue Col­bert, das Semi­nar hat. Gang durch Innen­hö­fe. Instal­la­ti­on von Dani­el Buren mit Säu­len in ver­schie­de­nen Höhen und mit Gän­gen auf zwei Ebe­ne, erschließt sich mir nicht gleich. In der Biblio­te­que Natio­na­le. Der legen­dä­re ova­le Lese­saal mit dem Glas­dach — als für alle offe­ner Saal ein­ge­rich­tet, mit einem “Best of” in den Rega­len, zu Kunst, Thea­ter, Film — und einem ein­fas­sen­den Kreis von Ban­des Des­si­nées. Als Bücher/Medien, mit denen sich in Frank­reich fast alle iden­ti­fi­zie­ren kön­nen.
Der Saal Lab­rous­te dage­gen als spe­zia­li­sier­ter Lese­saal für Kunst­his­to­ri­ker. Hier hat u.a. Ben­ja­min gear­bei­tet. Immer­hin kann man als Besu­cher ein­tre­ten und sich die mit Pflan­zen und Blät­tern aus­ge­mal­ten Gewöl­be ansehen. 

Am spä­ten Nach­mit­tag, nach dem Semi­nar von E., ins Musée d’Or­say. Gute Inter­ven­tio­nen von Elmgreen/Dragset, die rea­lis­ti­sche Figu­ren in die Skulp­tu­ren- und Bil­der­samm­lung des 19. Jahr­hun­derts ein­ge­schleust haben. Ein Jun­ge kniet auf dem Boden vor den “Die Römer der Dèca­dence” und zeich­net. Hoch oben steht einer ande­rer auf einem Sprung­turm, ein wei­te­rer auf der Gale­rie, mit einem Foto­ap­pa­rat.
Van Goghs Kir­che in Oise: die­se Ent­schie­den­heit, mit der die Umris­se gezo­gen sind; hat auch etwas mit Tap­fer­keit zu tun, sich nicht Unter­krie­gen las­sen. Und dann leuch­ten die Fens­ter in Blau…

15.1. Mitt­woch

Im Musée des Arts et Métiers. Von außen mit der goti­schen Kir­che als Bestand­teil bereits viel­ver­spre­chend. Zunächst Aus­stel­lung über Car­bo­nic Foot­print bzw. Emprun­te du Car­bon. Gut gemacht, bes­ser als in Rom, wo wir ja im Museo del­la Sto­ria Natu­ra­le waren, etwa ver­gleich­bar. Doch die his­to­ri­schen Säle schon beein­dru­cken­der, mit den Sex­tan­ten, Mess­in­stru­men­ten, mit der Lavoi­sir-Maschi­ne zur Zusam­men­füh­rung von Was­ser­stoff und Sau­er­stoff, den Waagen …

Das Bes­te am Schluss : Das Fou­cault­sche Pen­del in der Égli­se St Martin.

Zu Lau­rence Dumaine Cal­le, gleich neben St Sulpi­ce. “Sacred Distancing” liegt auf ihrem Tisch, der grü­ne Punkt auf ihrer Kaf­fee­tas­se passt gut zum Sti­cker auf dem Cover. Zei­ge ihr auch “Wer ist / Chi è … Albert”.
Dann zeigt sie mir ihre Samm­lung bzw. die ihres Man­nes, die sie weiterführt. 

Da sind Inku­n­ablen, von Hans Peter Feld­mann, Bol­tan­ski, z.T. von Bob Cal­le her­aus­ge­ge­ben, Gil­bert u. Geor­ge, Sol Lewitt, Pen­no­ne etc. Aber auch neue­res, ein Buch von Sus­an Hil­ler mit Fotos von Stra­ßen­schil­dern, die auf die Prä­senz von Juden in Deutsch­land ver­wei­sen, The J.Street Pro­ject. Das passt auch zum Denkmal-Projekt. 

Zu Fuß nach St Ger­main, auf Emp­feh­lung von Lau­rence dort in eine Buch­hand­lung, die auf Künst­ler­bü­cher spe­zia­li­siert ist, in der Rue de l’ab­baye, Del­pi­re & co. Zei­ge dort “Sacred Distancing” und “Län­der­kenn­zei­chen” dem Inha­ber, Thé­o­phi­le Calot; wir ver­ein­ba­ren, dass ich Exem­pla­re vorbeibringe/schicke.

16.1. Don­ners­tag

Rück­fahrt nach Deutsch­land. Geht deut­lich bes­ser als die Hin­fahrt, da tagsüber. 

Tref­fe in der Mit­tel­hal­le im Haus der Kunst Vic­tor Stern­wei­ler, zusam­men mit Benia­mi­no Foschi­ni, der an der Thea­ter­aka­de­mie Ästhe­tik unter­rich­tet. Mit ihnen in die Aus­stel­lung von Pus­sy Riot, im Kel­ler-Unter­ge­schoss. Sehr laut, bunt, inten­siv. Gut! Hut ab vor dem Kampf gegen die Staats­macht und Polizeigewalt.

Jour­nal 15.3.24 — Vater, Bil­der, ABC. “What is life?“

Heu­te ist es ein Jahr her, seit mein Vater gestor­ben ist. Es fühlt sich nicht solan­ge an. „Schon ein Jahr“ möch­te man sagen, und ist überrascht.

Sehe mir Fotos vom März letz­ten Jah­res auf dem Smart­phone an. Schon eine distan­zie­ren­de Ober­flä­che. Und selt­sam ernüch­ternd, was mit den Bil­dern des Toten und von der Beer­di­gung pas­siert, wenn sie im Mini-For­mat, neben allen mög­li­chen ande­ren Fotos auftauchen.

Ver­su­che, Fotos zu ord­nen. Beim Ver­bin­den des Smart­phones mit dem Lap­top, beim Mar­kie­ren von Fotos, um sie sie chro­no­lo­gisch in Ord­ner auf die Fest­plat­te zu ver­schie­ben, setzt sich der Vor­gang fort und lässt sich nicht mehr stop­pen – Kolon­nen von Bil­dern wan­dern auf dem Bild­schirm ruckelnd nach unten, bekom­men einen blau-trans­pa­ren­ten Schat­ten, der Zei­le für Zei­le vor­rückt. Der Rech­ner hängt sich auf, die Daten­men­gen waren wohl zu groß. 

Kli­cke mich teils durch die Ord­ner – es müs­sen über 70 sein – die mit „West­end­str.“ beschrif­tet sind. Es sind tau­sen­de von Fotos, die ich gemacht habe, vom Haus, von Objek­ten, von Schrift­stü­cken – und von Instal­la­tio­nen. Ich wer­de nur einen Bruch­teil davon je ver­öf­fent­li­chen können.

Suche nach einem, das zum heu­ti­gen Tag pas­sen könn­te, um es auf Insta­gram zu pos­ten. Da ist die Instal­la­ti­on mit alten Kof­fern, die ich vom Dach­bo­den aus abseil­te. Der Vater ist verreist …?

Da sind die Fotos aus dem Kel­ler­gang, wo er Kunst­dru­cke in einem Regal lager­te, und die Anfangs­buch­sta­ben der Künst­ler an die Wand schrieb, mit oran­ge­far­be­ner Krei­de. Jetzt, nach­dem das Regal leer­ge­räumt und abge­baut ist, tau­chen die Buch­sta­ben wie­der auf. Sys­te­ma­ti­sie­rungs­ver­su­che, die durch das Sam­meln und das Mate­ri­al selbst ver­deckt wurden.

Wei­ter kom­me ich, im Ord­ner „Diver­se“, wo ich alle abge­spei­chert habe, die zu sor­tie­ren ich noch kei­ne Zeit hat­te, auf die vie­len Fotos von den Ver­su­chen, noch wäh­rend des Aus­sor­tie­rens Bücher zu doku­men­tie­ren, u.a. die mit sei­nem Namen im Vorsatz/Titel. Das erscheint mir jetzt am bes­ten. Ich wer­de das mor­gen machen. 

Abends auf der Eröffnung/Einweihung von Albert Hiens Kunst-am-Bau-Arbeit “CAR­PE DIEM” im Oskar-von-Mil­ler-Gym­na­si­um in Mün­chen. Im gro­ßen Trep­pen­haus eines Uhren­turms am ver­klei­de­ten Gelän­der: Buch­sta­ben, Wör­ter lau­fen von oben nach unten, über­la­gern und wie­der­ho­len sich, Latei­ni­sche Sprü­che, die mit Zeit zu tun haben (TEM­PUS FUGIT, VITA BRE­VIS, ARS LON­GA, CAR­PE DIEM, wie es als Mosa­ik unten am Ein­gang auf­taucht …). Die­ses eph­eme­re Auf­leuch­ten passt schon sehr gut zum The­ma Zeit und zum Raum. Und Licht­in­stal­la­tio­nen sind unglaub­lich foto­gen. Viel­leicht, weil Foto­gra­fie ja selbst auf Licht­ein­fall reagiert.

Anschlie­ßend zur Finis­sa­ge der Aus­stel­lung “What is life” von Sebas­ti­an Pöll­mann in der Arto­thek. Sebas­ti­an ken­ne ich schon über 20 Jah­re, in den let­zen Jah­ren haben wir uns etwas aus den Augen ver­lo­ren, zwi­schen Ber­lin und Mün­chen, und dar­um freut es mich, noch sei­ne Arbei­ten zu sehen. Zeich­nun­gen, schnell, spon­tan, wit­zig. Dann digi­ta­li­siert und als Laser­cuts aus­ge­schnit­ten, auf­ge­hängt, als sich dre­hen­de Schat­ten­spie­le an die Wand pro­ji­ziert, was Über­la­ge­run­gen, Ver­zer­run­gen, neue Bil­der ergibt. All­tags­si­tua­tio­nen, War­ten, Rad­fah­ren, sich lie­ben. Lust­be­tont. “What is life“ als Titel. Ja, das fra­ge ich mich auch oft.