20.11.2025–31.1.2026 , Boutwell Schabrowsky, München
„Albert Coers/Isabelle Dyckerhoff: Bilder lesen, Worte malen, Boutwell Schabrowsky“ weiterlesenJournal — Auster — Don Quijote — Appropriation
24.5.24, Freitag
Endlich den kleinen Blogeintrag zu Paul Auster. Interessant, wie ein Autor den anderen gibt: Über Austers „City of Glass“ komme ich zu Cervantes „Don Quichotte“ (oder Quijote oder Quixote); Auster erwähnt ihn im Gespräch Quinn-Auster im Bezug auf Fragen der Autorschaft, Manuskriptfiktion etc. Suche nach diesen Stellen, nehme die rote Reclam-Fremdsprachenausgabe aus dem Regal, dann das Goldmann-Taschenbuch aus den 1960ern.
Ehrgeiz, wieder Spanisch zu lesen, mit Hilfe der Worterklärungen und des deutschen Textes geht es einigermaßen; Italienisch, Französisch helfen natürlich, es fehlen aber die ca. 30 % an Wörtern und Formen, die ich mir nicht erschließen kann. Trotzdem, es macht Spaß, und die Geschichten sind amüsant, etwa die Befreiung von Sträflingen, die sich dann gegen den „Wohltäter“ selbst kehrt.
Merke, dass der Bleistift, mit dem ich Anstreichungen und Notizen mache, mit den Farben rot-gelb gut zur spanischen Lektüre passt. Und eine Parallele zur Lanze auf den Covern bildet.

Und irgendwie passt der Don Quichotte auch als Identifikationsfigur: Kampf gegen Fahnenmasten beim Denkmal für die Familie Mann am Salvatorplatz; Auseinandersetzung mit Verwaltung, die Illusion, man sei in einer ganz privilegierten Lage; durch gutgemeinte Versuche macht man eine Sache nur noch schlimmer.
Weiterlesen in Don Quijote; dringe langsam in den Bereich vor, wo es erzähltechnisch interessant wird, nach dem berühmten Kampf gegen die Windmühlen (molinas), schöne Umkehrung: Ein Zauberer habe die Giganten in Windmühlen verwandelt, behauptet Don Q. Die nächste Geschichte, Kap. 9, bringt einen spannenden Zweikampf, der mitten drin abgebrochen wird – vom Erzähler, der hervortritt und das Ende des ihm vorliegenden Manuskripts verkündet – dann im nächsten Kapitel den Rest sucht und findet.
Das ist die Stelle, die ich so lange gesucht hatte, und auf die Auster in „City of Glass“ verwiesen hatte. In der Goldmann-Taschenbuchausgabe fehlt übrigens die ganze Manuskript-Geschichte, der Zweikampf geht nahtlos weiter. Offenbar wurde das als für den Leser zu kompliziert empfunden.
29.5.24, Mittwoch
[…] Aufwachen gegen 5, kann nicht mehr schlafen, lese weiter in Austers zweitem Band der NY-Trilogie, „Ghosts“. Eigentlich einfache Struktur: Zwei Männer beobachten sich gegenseitig, sind als Detektive aufeinander angesetzt, schreiben ihre Beobachtungen auf. Symmetrie. Wieder ist der Schreibakt ganz wichtig – und der Aspekt der Einsamkeit, Isolation als Folge und Voraussetzung des Schreibaktes zugleich. Damit tue ich mich etwas schwer; stelle mir Auster schon als sozialen, gesellschaftlich aktiven Typ vor. Vielleicht ist es auch ein gewisser Neid auf so eine einsam-konzentrierte Situation – während ich den ganzen Tag mit Verwaltungsarbeit und Kommunikation beschäfigt bin, manchmal gar nicht zum Kunstmachen komme – oder zum Schreiben.
Dann beginne ich mit dem 2. Teil des Don Quijote — wo es von den intertextuellen Bezügen noch interessanter wird – und der ja 10 Jahre nach dem 1. herauskam: Das Buch selbst taucht abermals auf, diesmal aber in fertiger Form, als Übersetzung des Textes eines einem arbabischen Autors, Cid Bengali. wird dem Don Q. als bereits erschienen präsentiert, wird diskutiert, kritisiert. Es taucht die Frage auf, inwiefern der Autor vertrauneswürdig sei, ob die Geschichte der Wahrheit entspreche, tatsächlich sich so wie beschrieben zugetragen habe…
Mir fällt Borges ein, mit der Kurzgeschichte “Pierre Menard — autor del Don Quijote”, der den Roman im 20. Jahrhundert noch einmal geschrieben hat — aber genau identisch. Damit verbunden die Frage, ob er als Autor des Don Quijote gelten darf — was im Titel schon beantwortet ist. Annette Gilbert hatte das damals, 2011, als Einstieg in ein Symposium zum Thema “Appropriation” verwendet, “Wiederaufgelegt. Zur Appropriation von Texten und Büchern in Büchern”. Dazu erschien ein schöner Band bei transkript. Ich hatte einen Beitrag zur Reihe “Ex-Libris” des Salon Verlags gemacht.
Eigentlich war das, im Zusammenhang mit der Dissertation, mein Einstieg in die Welt der Konzept-Bücher, allgemein der Künstlerbücher, damals hatte ich auch Michalis Pichler kennengelernt, der über seine künstlerische Arbeit berichtet hatte und seit 2009 die Miss Read veranstaltet.
Ich werde Annette demnächst, am 8.6. bei der Vorstellung von “Books to Do” im Miss Read Space in Berlin treffen.
Journal — Paul Auster
Es ist schon ein paar Wochen her, aber es beschäftigt mich immer noch: Paul Auster ist am 30.4. 24 gestorben.
Auster hat mich lange begleitet, zeitweise war ich süchtig nach seinen Texten.
Greife ins Regal, wo eine ganze Reihe seiner Bücher stehen, lese noch einmal Texte von ihm, entdecke Aktuelles: in „Talking to Strangers“ hatte er über Salman Rushdie geschrieben – und die tägliche Hoffnung, er möchte die nächsten 24 Stunden überleben. Der Text ist von 1993 und an den Rand notiert hatte ich „2023“ – als Rushdie drei Jahrzehnte später tatsächlich Opfer eines Angriffs wurde; sein Buch „Knives“ über das Attentat liegt gerade im Schlafzimmer.
In “The Brooklyn Follies” entdecke ich eine Widmung meines inzwischen ebenfalls verstorbenen Vaters von 2005 — ich hatte das Buch mir ausdrücklich gewünscht.
Begonnen hatte die Auster-Begeisterung für mich, wie für viele, mit der „New York Trilogy“, mit „City of Glass“, vor fast 20 Jahren. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich auf ihn kam, vermutlich nach meinem Aufenthalt in New York 2004; das rote Reclambändchen aus der Reihe der Fremdsprachentexte ist von 2005, ebenso der Rest der New York Trilogy in einem Penguin-Band (ich glaube, von der Munich Readery, Augustenstr./Ecke Schelling), vom November, dann „Moon Palace“ vom Dezember. Interessant, wieviel englische Wörter ich damals noch nicht wusste und unterringelte — die für mich jetzt selbstverständlich sind.
Was mich an Auster faszinierte (und dies weiterhin tut): Er erzählt Geschichten, die sich zur Identifikation anboten, in denen ich mich wiederfinden konnte.
Der junge Mann etwa, der sich immer weiter einschränkt, auf Telefon, Heizung, am Ende auch Wohnung verzichtet, Nächte im Central Park zubringt.
Es sind immer wieder Sätze, die zu meiner Situation passten, z.B. „I lived in that apartment with over a thousand books“, diesen Satz hatte ich mir in „Moon Palace“ gleich auf Seite eins unterstrichen.
Häufig beschreibt er Szenen, die aus Arbeiten der Konzeptkunst, aus Kunstinstallationen stammen könnten; etwa die Zweckentfremdung von gefüllten Bücherkisten als „imaginary furniture“, als Möbel, als Bettstatt, Tisch, Stuhl etc. Das war schon nahe dran an den Buchinstallationen, die ich in den Jahren ab 2004 entwickelte. Und dann die Verbindung Bücher und Person, als der Erzähler Stück für Stück seine Bücher verkauft, seine Wohnung sich leert: „Piece by piece, I could watch myself disappear“.
Die imaginären Archive, etwa die unterirdische Sammlung von Telephonbüchern von Städten weltweit in „Oracle Night“ – die dann ähnlich, aber historisch-konkret bei Karl Schlögel „Im Raume lesen wir die Zeit“ auftauchen.
Oder den Stadtwanderer, der in „City of Glass“ virtuelle Spuren durch Ablaufen von Straßenzügen hinterlässt, die sich dann, bei Blick von oben auf einen Stadtplan, als Buchstaben, als performativ erzeugte Mitteilungen lesen lassen – das könnte man sich gut als tatsächliches Konzept einer Performance vorstellen.
Das faszinierende Thema Selbstreferenz: Sich selbst beim Schreiben zuzusehen. Die Ebenen verschachteln. Mit der eigenen Identität und der Fiktion spielen: „My name is Paul Auster. This is not my real name” (City of Glass). Der Verfasser von Detektivromanen, der selbst in eine Detektivgeschichte verwickelt und mit dem Namen des Autors angesprochen wird – wobei die Frage im Hintergrund steht: Wer ist der Autor? Als Höhepunkt der Besuch des Erzählers beim Autor Paul Auster zu Hause. Erinnert an Italo Calvino „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“.
Das gefiel mir damals, das gefällt mir immer noch, auch wenn die Verfahren inzwischen bekannt sind. Dieses Spiel mit Namen, diese Selbstreferenz, das taucht ja auch in der Rechereche und den Installationen „Wer ist Albert?“ auf.
Beginne “Moon Palace” noch einmal zu lesen, dann “City of Glass” …
