Jour­nal — Aus­ter — Don Qui­jo­te — Appropriation

24.5.24, Frei­tag

End­lich den klei­nen Blog­ein­trag zu Paul Aus­ter. Inter­es­sant, wie ein Autor den ande­ren gibt: Über Aus­ters „City of Glass“ kom­me ich zu Cer­van­tes „Don Qui­chot­te“ (oder Qui­jo­te oder Qui­xo­te); Aus­ter erwähnt ihn im Gespräch Quinn-Aus­ter im Bezug auf Fra­gen der Autor­schaft,  Manu­skript­fik­ti­on etc. Suche nach die­sen Stel­len, neh­me die rote Reclam-Fremd­spra­chen­aus­ga­be aus dem Regal, dann das Gold­mann-Taschen­buch aus den 1960ern. 

Ehr­geiz, wie­der Spa­nisch zu lesen, mit Hil­fe der Wort­er­klä­run­gen und des deut­schen Tex­tes geht es eini­ger­ma­ßen; Ita­lie­nisch, Fran­zö­sisch hel­fen natür­lich, es feh­len aber die ca. 30 % an Wör­tern und For­men, die ich mir nicht erschlie­ßen kann. Trotz­dem, es macht Spaß, und die Geschich­ten sind amü­sant, etwa die Befrei­ung von Sträf­lin­gen, die sich dann gegen den „Wohl­tä­ter“ selbst kehrt.

Mer­ke, dass der Blei­stift, mit dem ich Anstrei­chun­gen und Noti­zen mache, mit den Far­ben rot-gelb gut zur spa­ni­schen Lek­tü­re passt. Und eine Par­al­le­le zur Lan­ze auf den Covern bildet. 

Und irgend­wie passt der Don Qui­chot­te auch als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur: Kampf gegen Fah­nen­mas­ten beim Denk­mal für die Fami­lie Mann am Sal­va­tor­platz; Aus­ein­an­der­set­zung mit Ver­wal­tung, die Illu­si­on, man sei in einer ganz pri­vi­le­gier­ten Lage; durch gut­ge­mein­te Ver­su­che macht man eine Sache nur noch schlimmer.

Wei­ter­le­sen in Don Qui­jo­te; drin­ge lang­sam in den Bereich vor, wo es erzähl­tech­nisch inter­es­sant wird, nach dem berühm­ten Kampf gegen die Wind­müh­len (moli­nas), schö­ne Umkeh­rung: Ein Zau­be­rer habe die Gigan­ten in Wind­müh­len ver­wan­delt, behaup­tet Don Q. Die nächs­te Geschich­te, Kap. 9, bringt einen span­nen­den Zwei­kampf, der mit­ten drin abge­bro­chen wird – vom Erzäh­ler, der her­vor­tritt und das Ende des ihm vor­lie­gen­den Manu­skripts ver­kün­det – dann im nächs­ten Kapi­tel den Rest sucht und findet.

Das ist die Stel­le, die ich so lan­ge gesucht hat­te, und auf die Aus­ter in „City of Glass“ ver­wie­sen hat­te. In der Gold­mann-Taschen­buch­aus­ga­be fehlt übri­gens die gan­ze Manu­skript-Geschich­te, der Zwei­kampf geht naht­los wei­ter. Offen­bar wur­de das als für den Leser zu kom­pli­ziert empfunden.

29.5.24, Mitt­woch

[…] Auf­wa­chen gegen 5, kann nicht mehr schla­fen, lese wei­ter in Aus­ters zwei­tem Band der NY-Tri­lo­gie, „Ghosts“. Eigent­lich ein­fa­che Struk­tur: Zwei Män­ner beob­ach­ten sich gegen­sei­tig, sind als Detek­ti­ve auf­ein­an­der ange­setzt, schrei­ben ihre Beob­ach­tun­gen auf. Sym­me­trie. Wie­der ist der Schreib­akt ganz wich­tig – und der Aspekt der Ein­sam­keit, Iso­la­ti­on als Fol­ge und Vor­aus­set­zung des Schreib­ak­tes zugleich. Damit tue ich mich etwas schwer; stel­le mir Aus­ter schon als sozia­len, gesell­schaft­lich akti­ven Typ vor. Viel­leicht ist es auch ein gewis­ser Neid auf so eine ein­sam-kon­zen­trier­te Situa­ti­on – wäh­rend ich den gan­zen Tag mit Ver­wal­tungs­ar­beit und Kom­mu­ni­ka­ti­on beschä­figt bin, manch­mal gar nicht zum Kunst­ma­chen kom­me – oder zum Schreiben.

Dann begin­ne ich mit dem 2. Teil des Don Qui­jo­te — wo es von den inter­tex­tu­el­len Bezü­gen noch inter­es­san­ter wird – und der ja 10 Jah­re nach dem 1. her­aus­kam: Das Buch selbst taucht aber­mals auf, dies­mal aber in fer­ti­ger Form, als Über­set­zung des Tex­tes eines einem arba­bi­schen Autors, Cid Ben­ga­li. wird dem Don Q. als bereits erschie­nen prä­sen­tiert, wird dis­ku­tiert, kri­ti­siert. Es taucht die Fra­ge auf, inwie­fern der Autor ver­trau­n­es­wür­dig sei, ob die Geschich­te der Wahr­heit ent­spre­che, tat­säch­lich sich so wie beschrie­ben zuge­tra­gen habe…

Mir fällt Bor­ges ein, mit der Kurz­ge­schich­te “Pierre Menard — autor del Don Qui­jo­te”, der den Roman im 20. Jahr­hun­dert noch ein­mal geschrie­ben hat — aber genau iden­tisch. Damit ver­bun­den die Fra­ge, ob er als Autor des Don Qui­jo­te gel­ten darf — was im Titel schon beant­wor­tet ist. Annet­te Gil­bert hat­te das damals, 2011, als Ein­stieg in ein Sym­po­si­um zum The­ma “Appro­pria­ti­on” ver­wen­det, “Wie­der­auf­ge­legt. Zur Appro­pria­ti­on von Tex­ten und Büchern in Büchern”. Dazu erschien ein schö­ner Band bei tran­skript. Ich hat­te einen Bei­trag zur Rei­he “Ex-Libris” des Salon Ver­lags gemacht.
Eigent­lich war das, im Zusam­men­hang mit der Dis­ser­ta­ti­on, mein Ein­stieg in die Welt der Kon­zept-Bücher, all­ge­mein der Künst­ler­bü­cher, damals hat­te ich auch Mich­a­lis Pich­ler ken­nen­ge­lernt, der über sei­ne künst­le­ri­sche Arbeit berich­tet hat­te und seit 2009 die Miss Read veranstaltet. 

Ich wer­de Annet­te dem­nächst, am 8.6. bei der Vor­stel­lung von “Books to Do” im Miss Read Space in Ber­lin treffen. 

Jour­nal — Paul Auster

Es ist schon ein paar Wochen her, aber es beschäf­tigt mich immer noch: Paul Aus­ter ist am 30.4. 24 gestor­ben.
Aus­ter hat mich lan­ge beglei­tet, zeit­wei­se war ich süch­tig nach sei­nen Texten.

Grei­fe ins Regal, wo eine gan­ze Rei­he sei­ner Bücher ste­hen, lese noch ein­mal Tex­te von ihm, ent­de­cke Aktu­el­les: in „Tal­king to Stran­gers“ hat­te er über Sal­man Rush­die geschrie­ben – und die täg­li­che Hoff­nung, er möch­te die nächs­ten 24 Stun­den über­le­ben. Der Text ist von 1993 und an den Rand notiert hat­te ich „2023“ – als Rush­die drei Jahr­zehn­te spä­ter tat­säch­lich Opfer eines Angriffs wur­de; sein Buch „Kni­ves“ über das Atten­tat liegt gera­de im Schlaf­zim­mer.

In “The Brook­lyn Fol­lies” ent­de­cke ich eine Wid­mung mei­nes inzwi­schen eben­falls ver­stor­be­nen Vaters von 2005 — ich hat­te das Buch mir aus­drück­lich gewünscht. 

Begon­nen hat­te die Aus­ter-Begeis­te­rung für mich, wie für vie­le, mit der „New York Tri­lo­gy“, mit „City of Glass“, vor fast 20 Jah­ren. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich auf ihn kam, ver­mut­lich nach mei­nem Auf­ent­halt in New York 2004; das rote Reclam­bänd­chen aus der Rei­he der Fremd­spra­chen­tex­te ist von 2005, eben­so der Rest der New York Tri­lo­gy in einem Pen­gu­in-Band (ich glau­be, von der Munich Rea­dery, Augustenstr./Ecke Schel­ling), vom Novem­ber, dann „Moon Palace“ vom Dezem­ber. Inter­es­sant, wie­viel eng­li­sche Wör­ter ich damals noch nicht wuss­te und unter­rin­gel­te — die für mich jetzt selbst­ver­ständ­lich sind. 

Was mich an Aus­ter fas­zi­nier­te (und dies wei­ter­hin tut): Er erzählt Geschich­ten, die sich zur Iden­ti­fi­ka­ti­on anbo­ten, in denen ich mich wie­der­fin­den konn­te.
Der jun­ge Mann etwa, der sich immer wei­ter ein­schränkt, auf Tele­fon, Hei­zung, am Ende auch Woh­nung ver­zich­tet, Näch­te im Cen­tral Park zubringt.
Es sind immer wie­der Sät­ze, die zu mei­ner Situa­ti­on pass­ten, z.B. „I lived in that apart­ment with over a thousand books“, die­sen Satz hat­te ich mir in „Moon Palace“ gleich auf Sei­te eins unter­stri­chen.
Häu­fig beschreibt er Sze­nen, die aus Arbei­ten der Kon­zept­kunst, aus Kunst­in­stal­la­tio­nen stam­men könn­ten; etwa die Zweck­ent­frem­dung von gefüll­ten Bücher­kis­ten als „ima­gi­na­ry fur­ni­tu­re“, als Möbel, als Bett­statt, Tisch, Stuhl etc. Das war schon nahe dran an den Buch­in­stal­la­tio­nen, die ich in den Jah­ren ab 2004 ent­wi­ckel­te. Und dann die Ver­bin­dung Bücher und Per­son, als der Erzäh­ler Stück für Stück sei­ne Bücher ver­kauft, sei­ne Woh­nung sich leert: „Pie­ce by pie­ce, I could watch mys­elf disappear“.

Die ima­gi­nä­ren Archi­ve, etwa die unter­ir­di­sche Samm­lung von Tele­phon­bü­chern von Städ­ten welt­weit in „Ora­cle Night“ – die dann ähn­lich, aber his­to­risch-kon­kret bei Karl Schlö­gel „Im Rau­me lesen wir die Zeit“ auftauchen.

Oder den Stadt­wan­de­rer, der in „City of Glass“ vir­tu­el­le Spu­ren durch Ablau­fen von Stra­ßen­zü­gen hin­ter­lässt, die sich dann, bei Blick von oben auf einen Stadt­plan, als Buch­sta­ben, als per­for­ma­tiv erzeug­te Mit­tei­lun­gen lesen las­sen – das könn­te man sich gut als tat­säch­li­ches Kon­zept einer Per­for­mance vorstellen. 

Das fas­zi­nie­ren­de The­ma Selbst­re­fe­renz: Sich selbst beim Schrei­ben zuzu­se­hen. Die Ebe­nen ver­schach­teln. Mit der eige­nen Iden­ti­tät und der Fik­ti­on  spie­len: „My name is Paul Aus­ter. This is not my real name” (City of Glass). Der Ver­fas­ser von Detek­tiv­ro­ma­nen, der selbst in eine Detek­tiv­ge­schich­te ver­wi­ckelt und mit dem Namen des Autors ange­spro­chen wird – wobei die Fra­ge im Hin­ter­grund steht: Wer ist der Autor? Als Höhe­punkt der Besuch des Erzäh­lers beim Autor Paul Aus­ter zu Hau­se. Erin­nert an Italo Cal­vi­no „Wenn ein Rei­sen­der in einer Winternacht“.

Das gefiel mir damals, das gefällt mir immer noch, auch wenn die Ver­fah­ren inzwi­schen bekannt sind. Die­ses Spiel mit Namen, die­se Selbst­re­fe­renz, das taucht ja auch in der Reche­re­che und den Instal­la­tio­nen „Wer ist Albert?“ auf.

Begin­ne “Moon Palace” noch ein­mal zu lesen, dann “City of Glass” …