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Albert Coers ist ein Sammler. Die Zeit ist es, die ihn interessiert: Sediment und Erosion. Dabei sucht er nicht etwa im Gestein, am Meeresgrund oder auf dem offenen Feld. Er ist also eigentlich kein Land-Artist, auch wenn das Stichwort manchmal fällt angesichts seiner Arbeiten: Schieferformationen, Dünen, brechende Wellen mag mancher assoziieren, und ganz verkehrt wäre das nicht. Elementare Fragen, oft lakonisch aufgelöst, stecken in einigen seiner Installationen: Wie hoch kann etwas steigen, wie weit sich neigen, wie viel Spannung braucht eine Masse?
Das Material dafür aber stammt aus den Etagen, Nischen, Spalten und Höhlen von Zivilisation und Kultur: In Bibliotheken, Speichern, Kellern, Abbruchhäusern geht Albert Coers auf seine Streifzüge. Es ist nicht das Ausgefallene, das zwanghaft Originelle, das ihn interessiert, sondern das Naheliegende.
Es kann sich zum Beispiel hinter einer Tür verbergen, die er im Keller der Münchner Kunstakademie eines Tages beiläufig öffnete. Was er fand, war eine vollständige Sammlung, über Jahrzehnte hinweg im Dunklen gewachsen: lebensgroße Abgüsse, Skulpturen und Plastiken, in denen nicht nur Züge, Falten, Muskeln und Gesten längst vergessener Modelle zurückgeblieben waren, sondern auch Handgriffe, Blicke, Fragen, Scheitern, Tasten ganzer Studentengenerationen. Sammlung und Schichtung hatte hier die Zeit besorgt, die Collezione Accademica stand bereits. Was zu tun blieb, war die Sichtung. Unterschiedliche Konstellationen erprobte Albert Coers, um die Figuren im Koloßsaal der Akademie wieder ans Tageslicht zu bringen: Zuerst zeigte er sie unregelmäßig gruppiert, fast defensiv in eine Ecke gedrängt, als scheuten sie das Licht oder den offenen Raum – und doch waren manche von ihnen von einer so unmittelbaren Präsenz, daß solche Personalisierungen gar nicht ausbleiben konnten. Wie einen skeptischen Kontrapunkt setzt Albert Coers dieser Schar der blinzelnden Zeitzeugen eine umgedrehte Halbfigur aus Holz entgegen: Diese Inversion, die Abweichung im Werkstoff werfen die Figuren augenblicklich auf ihren Objektcharakter zurück, auf ihre bloße Materialität. So ponderiert die Arbeit zwischen dem symbolisch Aufgeladenen und dem Formalen, trifft sich wieder mit seinen grundsätzlichen Fragestellungen. Umso klarer wird das, je weiter die auf Dynamik angelegte Installation fortschreitet: Plötzlich spannen die Figuren, bestimmt ins regelmäßige Raster gestellt, eine Fläche im Raum auf. Als würden sie auf den Einsatz warten, zu einer ausgefeilten Choreographie, zu einem Sprechchor, zum Marsch vielleicht. Doch in der Ausdruckskraft dieser Figuren steckt auch eine Gefahr für den Künstler, die durch einzelne Gesten der Skepsis nicht zu entkräften ist: Was, wenn sie ihm davonlaufen, wenn ihr Naturalismus sich seinem ordnenden Ansatz entzieht, ihn überspielt? Die Reaktion darauf ist eine Ausweitung der Suche. Wo sich ganze Figuren erhalten haben, da ist noch mehr Sediment zu finden: Fragmente, Werkzeuge, Holzstücke, Gußformen, zerbrochene Kreiden, Gummihandschuhe. Stück für Stück ersetzt er die Figuren gegen diese Relikte, fügt sie in ein an Größe und Formenverwandtschaft orientiertes Raster. Als Schritt vom Simulacrum zur Reliquie könnte man das deuten, aber das Zufällige, Fragile und Vergängliche ist diesmal deutlich zu spüren, die Gegenstände selbst sind leise und unspektakulär und bleiben es auch innerhalb der Inszenierung – sie lassen mehr Freiraum für den Künstler.
Vielleicht ist es also auch die Geschichte einer notwendigen Erosion, die Albert Coers hier erzählt, einer durch die Konfrontation vollzogenen Loslösung von künstlerischen Traditionen und Klassizismen.
Das Kleinteilige, Individuelle bildet eine Konstante in seinem Werk. Schon für seine erste Einzelausstellung schöpfte er aus dem Fundus einer außergewöhnlichen Sammlung. „Eine der größten Kunstsammlungen der Welt“ verspricht die Einladung. Und dann kommt alles ganz anders. Was Albert Coers tatsächlich in die Akademiegalerie verpflanzte, war der Inhalt eines privaten Kellerraumes, kaum größer als 10m2, collezione privata. Über Jahrzehnte hinweg hatte ein Kunsterzieher hier Reproduktionen von Kunstwerken gesammelt, zunächst säuberlich geordnet und beschriftet. „Stilleben“, „Fachwerkbauten“, „Arcimboldo“, liest man da zum Beispiel. Die Dynamik des Sammelns aber überholte irgendwann den Willen zur Ordnung, und diese Dynamik ist jenseits großer Namen das eigentliche Thema dieser Ausstellung: Der Bestand begann zu wuchern, und Albert Coers zelebriert diese Entropie – mit Freude an der Überspitzung, wie er offen zugibt. Er ist Bildhauer und Archäologe, und zwar in dieser Reihenfolge. Der Bedeutungsgehalt des Materials wird nicht geleugnet, aber darüber steht die die Lust am Schichten und Formen. Ein „moränenhaftes Geschiebe“ nannte Albert Hien das komplexe Environment. „Monet“, „Rembrandt“ und „Gaugin“ etwa stehen nebeneinander, als wollten sie verzweifelt Haltung bewahren, aber „Degas“ ist dicht daneben schon ins Rutschen geraten. Dazwischen mischen sich auch die Materialien des Kunstlehrers, Acrylfarben, Küchenkrepp, Packpapier, jeder Gegenstand Teil eines labilen Gefüges, in dem sich gezielte und unwillkürliche Wirkungen verschränken, ganz wörtlich verzahnen und verkeilen. Es geht dabei auch um Schrift und Sprache. Abgesehen von den Plakaten, mit denen Albert Coers die Glasscheiben der Galerie nach außen hin verkleidete, sind erstaunlich wenige Bilder zu sehen. Worte, Namen, Epochenbegriffe müssen sie ersetzen. Damit wird der Betrachter aktiviert: Was sind es für Bilder, die ihm einfallen, wenn er mit schräg gelegtem Kopf von den Rücken dreier schmaler Pakete abliest: „Murillo“ – „Kollwitz“ – „Manesse-Liederhandschrift“? Solche Schlagworte fragen nach dem jeweils persönlichen Bildervorrat– nach den mentalen Sammlungen individueller Biographien. Wie zur ironischen Brechung dieses Altmeisterverzeichnisses blitzen dann wieder ganz andere Begriffe auf: „Osram“ steht da, „Telex“ oder „Deutscher Eisbergsalat“. Was geradezu dadaistisch daherkommt, erklärt sich einfach aus der Wiederverwendung von Warenkartons. Wo einmal „6 x 0,75 Ltr.“ Platz hatten, da ist eben später „Van Gogh“ gut untergebracht. Doch steht hinter diesem einfachen Zusammenhang die ganze Poesie, die sich aus einem solchen Nebeneinander von Kunst und Leben ableiten läßt – in einer Spanne, die mindestens von heiter bis grotesk reicht.
Als Fallenbild eines Sammlerlebens könnte man diese Arbeit also bezeichnen, als riesenhafte Assemblage. Aber Albert Coers hat kein Interesse an Konservierung einer bestimmten Konstellation. Statt dessen setzt er im hinteren Drittel der Galerie der Entropie die Möglichkeit einer Ordnung entgegen, indem er eine Archivsituation inszeniert: Alles scheint genau am richtigen Platz zu sein, eindeutig eingeordnet und auffindbar, anstatt in Auflösung begriffen. Diese bewußte Kontrastierung zweier Optionen, von denen jedoch keine die Wirklichkeit abbildet, ist eine weitere Stellungnahme zur Unabhängigkeit des Künstlers – zur Gestaltungsfreiheit, mit der er die vorgefundenen Kräfte bündeln und streuen, legen und interpretieren kann.
Eva-Maria Troelenberg, geb. 1980. Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Kommunikationswissenschaft in München und Venedig. Stipendiatin der Bay. Begabtenförderung und der Ebert-Stiftung. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut in Florenz, freie Autorin u. Redakteurin u. a. für den ZEITverlag. Lyrik- und Prosaveröffentlichungen. Promotion zur Rezeption islamischer Kunst im frühen 20. Jh. 2011–2018 Leitung einer Max-Planck-Forschungsgruppe am Kunsthistorischen Institut in Florenz — Max-Planck Institut. Seit 2018 Professur für moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität Utrecht.
Sediment and erosion
Albert Coers is a collector. It’s time that interests him: sediment and erosion. However he’s not searching in the rocks, at the bottom of the ocean or in the field. He is not a Land-Artist, even if some may associate this title with him when you consider some of his works: shale formations, dunes, breaking waves. And they wouldn’t be completely wrong. Elementary questions, often laconically answered, can be seen in a number of his installations: How high can something climb, how far can it lean, how much tension does a mass need?
The material used originates from the stories, niches, crevices, and caves of civilisation and culture: Albert Coers goes searching in libraries, attics, cellars, abandoned houses. It’s not the extraordinary, the uniqueness that interests him but the obvious.
It can for example be hidden behind a door, which he incidentally opened one day in the cellar of the Munich art academy. What he found was a complete collection that had been growing in the dark for decades: Live sized castings and sculptures, which showed not only the expressions, wrinkles, muscles and gestures of long forgotten models but also the hand movements, looks, questions, failures, strivings of an entire student generations. Collection and stratification was provided here by time itself, the Collezione Accademica already existed. What remained to be done was the looking through. A number of different constellations were tried by Albert Coers, in order to reveal the figures in the great hall in the academy: first of all he showed them in an irregular group almost defensively backed in to the corners, as if they were afraid of the light or the open room – however some of them had such a presence that a personalisation of them couldn’t be ignored. Like a sceptical counterpoint to this blinking band of contemporary witnesses Albert Coers set an inversed half figure made of wood. This inversion, the variance of materials instantaneously throws the figures back to their object character, simply their materiality. The work thus balances between the symbolic filled and the formal, which coincides with his basic questions. Which becomes even clearer as the installation aimed to dynamic continues: suddenly the figures which are set in a regular grid span an area in the room. As if they are waiting for their cue for a perfect choreography, for a chanting choir, perhaps to march. However the strength of the expressions in these figures also hides a danger for the artist that can not be overruled by single sceptic gestures. What happens if they run from him, if their naturalism eludes his approach to put in order? The reaction to this is a widening of the search. Where whole figures are preserved you can find more sediment: fragments, tools, pieces of wood, casts, broken chalk, rubber gloves. Piece for piece the figures are replaced with these relicts, inserted in to a size and form related grid. One could construe this as a step from simulacrum to relic, however the coincidence, fragility and transience can be clearly felt, the objects themselves are quiet and unspectacular and remain so during the production, thus allowing the artist more freedom.
Perhaps it is also the story of necessary erosion, which Albert Coers tells here, through a confrontation a complete disassociation with artistic traditions and classicisms.
The individual small parts form a constant in his work. Even for his first exhibition he scooped out of the finds in an extraordinary collection. „One of the largest art collections in the world“ promised the invitation. Then it was completely different. That which Albert Coers actually planted in the academy gallery, was the contents of a private cellar barely more than 10m2 big, collezione privata. Over decades an art teacher had collected art reproductions initially correctly ordered and annotated. „Still life“, „framework constructions“, „Arcimboldo“, could be read as examples. At some point the dynamic of collecting overtook the will to order the collection. This dynamic regardless of great names is the actual subject of this exhibition. The inventory began to mushroom and Albert Coers celebrates this entropy – with a pleasure in exaggeration, which he frankly admits to. He is sculptor and archaeologist, in this order. The significance of the materials isn’t denied however delight in layering and forming outweighs this. A „moraine till“ is what Albert Hien called this complex environment. „Monet“, „Rembrandt“ and „Gaugin“ are standing beside each other as if they desperately wanted maintain their demeanour but „Degas“ who is very close by has already began to slide. The materials of the art teacher are mixed in between; acrylic paint, crêpe paper, packing paper, every object a part of a labile structure, in which the intended and the random entangle, literally interlocking and wedging. Writing and language are also a part of this. Apart from the placards with which Albert Coers covers the panes of glass in the gallery there are surprisingly few pictures to be seen. Words, names, epochal terms have to replace them. The observer is thus activated: which pictures occur to him when he looks at the back of three slim packets with his head cocked to one side and reads: „Murillo“ – „Kollwitz“ – „Manesse-Liederhandschrift“? Such keywords demand the personal reserve of pictures– according to the mental collections of individual biographies. Terms such as „Osram“, „Telex“ or „Deutscher Eisbergsalat“ strike as an ironic break to the directory of old masters. That which seems Dadaistic, is simply explained by the reuse of cartons. Where once there was place for „6 x 0.75 Ltr.“, later there is the good place for „Van Gogh“. The poetry is behind all of this simple coherence, which can be deduced from the proximity of art and life – in a scope which spans at least from cheerfulness to grotesque.
As a tableau-piège of a collectors life one could describe this work, as a mammoth assemblage. However Albert Coers has no interest in conserving a particular constellation. Instead of which, he proposes a possible order in the rear third of this entropy, in which he stages an archive situation. Everything appears to be in exactly the right place, correctly ordered and traceable, instead of in dissolution. This intentional contrast of two possible options, neither of which really displays reality, is a further comment on the independence of the artist – the freedom to bundle, scatter place and interpret the discovered powers.
Eva-Maria Troelenberg, born 1980. Studied History of Art, History and Science of Communication in Munich and Venice. Scholarships from the Bavarian State and the Ebert-Foundation. Research assistant at the Max Planck Institute in Florence, freelance author and editor for ZEITverlag, among others. Poetry and prose publications. Doctorate on the reception of Islamic art in the early 20th century 2011–2018. Head of a Max Planck research group at the Art History Institute in Florence — Max Planck Institute. Since 2018 chair for modern and contemporary art history, Utrecht University.