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Bevor Albert Coers an der Akademie der Bildenden Künste München ein Kunststudium absolvierte, studierte er Sprach- und Literaturwissenschaft – Disziplinen, in denen vor allem das geschriebene Wort der Vermittlung von Wissen, letztlich von Welt dient. Das Trägermedium dieses Wissens ist das Buch, und so verwundert es nicht, dass ausgerechnet Bücher das bevorzugte Arbeitsmaterial des Künstlers sind. Bücher reflektieren nicht nur die Welt, sie konstituieren ihrerseits ebenfalls Realität, wirken zurück in die Gesellschaft und vermögen gar den Lauf der Geschichte zu ändern – man denke etwa an ein 30 Seiten dünnes Büchlein, das 1847/48 von Marx und Engels verfasste Kommunistische Manifest, das eine Dynamik entfesselte, aus der heraus eine Weltmacht entstehen und wieder vergehen konnte.
Es ist einerseits diese potenzielle Wirkmacht des Buches, die in Coers’ Œuvre in codierter – und sicher auch abgemilderter – Form stets mitschwingt; viele seiner ortsspezifischen Arbeiten wie die Installation mit geliehenen Büchern aus dem Archiv des Nationalmuseums reflektieren architektonische Gegebenheiten und deren geistige Hintergründe gleichermaßen. Andererseits geht es Coers aber auch oft darum, sich gerade von dem blinden Vertrauen, das dem geschriebenen Wort oftmals entgegengebracht wird, in installativ-architektonischer Form zu distanzieren.
Mit der Installation Zettel’s Traum greift Coers zum Beispiel das unserer Gesellschaft zugrunde liegende wirtschaftliche Prinzip des Handels auf. Anhand von Kassenzetteln und Fotografien lässt sich ein Tauschhandel nachvollziehen, an dessen Beginn der Ankauf eines teuren Buches stand, Zettel’s Traum von Arno Schmidt. Das gewaltige, nicht zuletzt wegen seiner orthografischen Absonderlichkeiten nur schwer lesbare, 1334 Seiten umfassende Werk wurde von Coers für 348 Euro im Buchhandel erworben und stellte das Startkapital eines Umtauschprozesses dar, an dessen Ende 69 identische Exemplare von Wahrigs Wörterbuch Rechtschreibung der deutschen Sprache und, zur preislichen Aufrundung auf den Ausgangsbetrag, ein Reclamband Windmühlen von Arno Schmidt standen, die ihrerseits wieder in den ursprünglichen Geldbetrag in den Buchhandlungen zurückgetauscht wurden. Die frappierende Diskrepanz im Wertverhältnis zwischen einem und 70 Büchern, also einem vielfachen des gleichen Materials (Papier, Pappe, Gaze, Leim, Bezugsmaterial), stellt sich auf der rein materiellen Ebene als ökonomisches Rätsel dar. Zugleich findet mit der Verwandlung von Zettel’s Traum in 69 Wörterbücher eine strukturalistische Transformation des Schmidt’schen Epos statt: Die von Schmidt verwendeten Wörter finden sich nun im Wahrig alphabetisch sauber sortiert und in korrekter Schreibweise wieder.
Thomas Donga-Durach: Albert Coers: Zettel’s Traum. In: Katharina Keller/Gerhard Müller-Rischart (Hg.): Kunstrausch — 11. RischArt_Projekt, München 2011, S. 10.
Albert Coers: Zettel’s Traum
Before Albert Coers studied art at the Academy of Fine Arts in Munich, he studied linguistics and literature – disciplines in which the written word in particular serves to convey knowledge, ultimately the world. The carrier medium of this knowledge is the book, and so it is not surprising that books, of all things, are the artist’s preferred working material. Books not only reflect the world, they also constitute reality, have an effect on society, and are even capable of changing the course of history – one thinks, for example, of a 30-page booklet, the Communist Manifesto written by Marx and Engels in 1847/48, which unleashed a dynamic from which a world power could emerge and disappear again.
On the one hand, it is this potential power of the book that always resonates in Coers’ oeuvre in coded – and certainly mitigated – form; many of his site-specific works, such as the installation with borrowed books from the archives of the National Museum, reflect architectural circumstances and their intellectual backgrounds in equal measure. On the other hand, Coers is also often concerned with distancing himself precisely from the blind trust often placed in the written word in installation-architectural form. With the installation Zettel’s Traum, for example, Coers takes up the economic principle of commerce that underlies our society. On the basis of cash register receipts and photographs, a barter trade can be traced, at the beginning of which was the purchase of an expensive book, Zettel’s Traum [Bottom’s Dream] by Arno Schmidt. The enormous 1334-page work, which was difficult to read not least because of its orthographic peculiarities, was purchased by Coers for 348 euros in a bookstore and represented the starting capital of an exchange process, at the end of which there were 69 identical copies of Wahrigs Wörterbuch Rechtschreibung der deutschen Sprache [Wahrig’s Dictionary: Orthography of the German Language] and, to round up the price to the initial amount, a Reclam volume Windmühlen [Windmills] by Arno Schmidt, which in turn were exchanged back for the original amount of money in the bookstores. The striking discrepancy in the value ratio between one and 70 books, that is, many times the same material (paper, cardboard, gauze, glue, cover material), presents itself on the purely material level as an economic conundrum. At the same time, with the transformation of Zettel’s dream into 69 dictionaries, a structuralist transformation of Schmidt’s epic takes place: The words used by Schmidt are now found in the Wahrig neatly sorted alphabetically and in correct spelling.