Mit dem Begriff „Sprache“ wird fast zwangsläufig das Verbale assoziiert. Doch eine kleine aber durchaus sichtbare Minderheit unserer Gesellschaft macht deutlich, dass Kommunikation viel mehr bedeutet als nur Sprechen im Sinne von „Sprachlaute hervorbringen“ und Hören im Sinne von „akustisch wahrnehmen“. Denn 0,1 Prozent der deutschen Bevölkerung sind von Gehörlosigkeit betroffen.
Mit seinem Projekt Gasteig Encounters markiert Albert Coers 14 vorgefundene Situationen im Gebäude mit Bildern von Menschen, die geschickt ausgesuchten Wörter oder Begriffe mit den Händen in Gebärdensprache „aussprechen“. Die Bilder und gewählte Orte sind assoziativ kombiniert: z.B. „Wind“ bzw. „windig“ an einer der Glastüren am Haupteingang. Die hierfür verwendete Handbewegung ahmt in abstrahierter Form den Luftzug des Windes nach. Eigentlich logisch und leicht nachzuvollziehen. Dennoch bleibt die Gebärdensprache für die meisten von uns eine unverständliche Fremdsprache. Liegt es am Können oder am Wollen?
Eine weitere Metaebene erschließt sich, wenn man weiß, dass das Bildmaterial aus einem Lehrbuch der deutschen Gebärdensprache stammt, das 1985 in Ostberlin erschienen – das heißt im selben Jahr, als der Gasteig fertiggestellt und in Betrieb genommen wurde. Die Unterschiede zwischen Bildmaterial und Ausstellungsort könnten kaum größer sein – nicht nur im Sinne der eher nüchternen Ästhetik der schwarz-weißen Bilder mit neutralem Hintergrund und der farbenfrohen 80er-Jahre-Architektur des Gasteigs. Auch Unterschiede in der Kleidung und Haarmode der 80er Jahre und der Jetztzeit stechen klar hervor. Hinzu kommt, dass nach nunmehr 30 Jahren wiedervereintes Deutschland ist die Verständigung zwischen den Bürgern von Ost- und Westdeutschland häufig immer noch von Unverständnis geplagt ist. Auch hier stellt sich die Frage, ob Verständigung eine Frage des Könnens oder vielmehr des Wollens ist.
Andere von Coers markierten Situationen im Gebäudekomplex sind weniger offensichtlich auf dem ersten Blick. So beispielsweise bei der Pförtnerloge, bei der ein Bild von einer Frau angebracht ist, die mit Gebärdensprache das Wort „fertig“ zum Ausdruck bringt. Wieso „fertig“? Hierbei weist der Künstler implizit darauf hin, dass sowohl Zuhören als auch Verstehen aktive Prozesse sind. Man muss mitdenken. Sobald man die Aufschlüsselung bekommt, ist es mehr als logisch. Denn an der Pförtnerloge werden Schlüssel abgegeben, wenn Dozent*innen einen Unterrichtsraum verlassen haben. Darüber hinaus zeigt die Handbewegung der abgebildete Frau in Richtung Ausgang: fertig und raus!
in: Katharina Keller/Gerhard u. Magnus Müller-Rischart (Hg.): JAJA NEINNEIN VIELLEICHT — 15. RischArt_Projekt, München: Icon-Verlag 2020, S. 15.
Gérard A. Godrow: Gasteig Encounters
The term “language” is almost inevitably associated with the verbal. But a small but visible minority of our society makes it clear that communication means much more than just speaking in the sense of “producing speech sounds” and hearing in the sense of “perceiving acoustically”. This is because 0.1 percent of the German population is affected by deafness.
With his project Gasteig Encounters, Albert Coers marks 14 found situations in the building with pictures of people who “pronounce” cleverly chosen words or terms with their hands in sign language. The images and selected locations are combined associatively: e.g. “wind” or “windy” on one of the glass doors at the main entrance. The hand movement used for this imitates the draft of the wind in an abstract form. Actually logical and easy to understand. Nevertheless, sign language remains an incomprehensible foreign language for most of us. Is it because of the ability or the will?
Another meta-level is opened up when you know that the visual material is taken from a textbook of German sign language that was published in East Berlin in 1985 — that is, the same year that the Gasteig was completed and put into operation. The differences between the visual material and the exhibition venue could hardly be greater — not only in terms of the rather sober aesthetics of the black and white pictures with neutral background and the colorful 80s architecture of the Gasteig. Differences in clothing and hair fashion between the 80s and the present day also stand out clearly. In addition, after 30 years of reunited Germany, the understanding between the citizens of East and West Germany is still often plagued by a lack of understanding. Here, too, the question arises whether understanding is a question of ability or rather of will.
Other situations marked by Coers in the building complex are less obvious at first glance. For example, in the porter’s lodge, where a picture of a woman is attached, who uses sign language to express the word “finished”. Why “finished”? Here the artist implicitly points out that both listening and understanding are active processes. You have to think along with them. Once you get the breakdown, it is more than logical. Because keys are handed in at the porter’s lodge when instructors have left a classroom. In addition, the hand movement of the woman in the picture points towards the exit: ready and out.
in: Katharina Keller/Gerhard & Magnus Müller-Rischart (Eds.): JAJA NEINNEIN VIELLEICHT [YESYES NONO MAYBE] – 15th RischArt_Project, Munich: Icon 2020, p. 15.