(for English version: please scroll down)
Albert Coers zeigt collezione privata
So steht es auf der Einladungskarte – so lockt es uns an, macht uns neugierig. Wenn Coers diesen Titel für seine Installation wählt, so hebt er auf einen Typus der Kunstsammlung ab, der populär neben den zum Sammeln verpflichteten und mit Steuergeldern ausgestatteten öffentlichen Museen und Bibliotheken steht. In letzter Zeit sind öffentlich gezeigte Privatsammlungen zum festen Bestandteil, ja oft zu den Highlights des Kunstbetriebs geworden. Natürlich legen mittlerweile auch große Banken und Versicherungen Kunstsammlungen an, die aber wie die staatlichen von professionellen Kunsthistorikern zusammengestellt und nach wissenschaftlichen Kriterien systematisch erweitert werden.
Die Privatsammlung hingegen spiegelt in erster Linie den Geschmack und Instinkt des subjektiv sammelnden Individuums. Hat eine Collezione Privata ein gewisses Gewicht erreicht, so wird sie öffentlich gemacht und an öffentlichen Kunstschauplätzen präsentiert. Oft folgt als nächster Schritt die Schaffung eines eigenen architektonischen Rahmens: was klein und bescheiden begann, steht schließlich als veritables Museum auf einer Ebene mit Pinakotheken und Reichsmuseum. Der mäzenatische Sammler schafft sich so schon zu Lebzeiten ein Monument, das seinen Nachruhm sichern soll. Man denke nur an Lothar Günther Buchheim und sein Museum der Phantasie, die Sammlung Götz, das Museum, das für die Sammlung Burda gerade in Baden-Baden neben der ehrwürdigen Kunsthalle errichtet wird, die Sammlung des Ehepaars Ludwig in Köln oder das vor einem Jahr in Schwäbisch-Hall eröffnete Museum des Schraubenhändlers Würth.
Albert Coers war sich wohl dieses baulich rahmenden Aspektes bewußt, und so hat er den Ausstellungsort sogleich mit einer Hülle versehen, die ausgewählte Objekte der Sammlung bereits dem vorbeilaufenden Passanten in den Blick rammen.
Wie ein programmatisches Destillat hängen hier kreuz und quer Plakate und Kunstdrucke an der Glasfront der Galerie, wo man normalerweise schnödes Packpapier oder alte Zeitungen erwartet, zum Zwecke neugierige Blicke auf Renovierungs- und Umbauarbeiten abzuwehren.
Manet neben Kirchner, der Fußboden des Domes von Siena neben der schwarzen Madonna von Tschenstochau… Caravaggio grüßt Barlach und Chagall… Hieronymus Bosch und Defregger sind Nachbarn, Brasilianische Ethnografika über einem Luftbild von Assisi, wo bleibt Giotto? denkt man sich ‑aber der Blick wandert weiter zu Vasarely, Ravenatischen Mosaiken, einem Fotoposter von galoppierenden Rossen, gleitet zurück zu Marcs Turm der Blauen Pferde. Schließlich ein Bild von Arik Bauer, darunter in großen Lettern: „Ein buntes Angebot“. „Umgang mit Geld eine zeitlose Kunst“…
Solchermaßen eingestimmt betritt man den Innenraum. Ein feiner Geruch von altem Papier umspült die Nase, nicht nach Moder, nicht nach Schimmel riecht es, eher ein bißchen nach Sakristei — durchaus ehrwürdig, respekteinflößend.
Aber was bietet sich dem Auge dar: ein wuchernder Komposthaufen, ein moränenhaftes Geschiebe, das zwischen den Pfeilern des Raumes zum Stillstand kam??
Haben wir uns so diese Collezione Privata vorgestellt? Eine der größten Kunstsammlungen der Welt, wie es im Pressetext prahlerisch heißt? Durften wir nicht mindestens ein geordnetes Archiv erwarten, wenigstens Ansätze von Ordnung, Sortierung, Systematik, Katalogisierung, Verzeichnis …? Aber was hier abgelagert sich vor uns türmt, gleicht einem wucherndem Sperrmüllhaufen, dem von der Ladefläche gekippten Volumen einer Entrümpelungsaktion!
Will uns der Künstler also nur auf den Arm nehme? Ist es seine Intention, die bei uns geweckten Erwartungen zu enttäuschen? Will er uns den Appetit auf Bilder, auf Augenschmaus und Kunstgenuß verderben? Um zu erkennen, daß mit dieser Installation keineswegs eine so platte Strategie verfolgt wird, ist vielleicht ein wenig Hintergrundinformation hilfreich. Da ich die Entstehung dieses Projektes streckenweise mitverfolgt habe, will ich mein Insiderwissen jetzt auch an sie weitergeben.
2. Die Sammlung und ihr Ort
In einem Kellerraum der DHH in Dillingen entsteht über Jahrzehnte auf einer Fläche von ca. 10 m² diese Sammlung. Der Sammler ist ursprünglich besessen von der Idee, ein umfassendes Archiv von Anschauungsmaterial und Bildvorlagen für seinen Kunstunterricht anzulegen. Vorwiegend sammelt er Ausstellungsplakate und Reproduktionen von Kunstwerken, die er zum Beispiel aus Jahreskalendern und Zeitschriften ausschneidet und anfangs noch in Mappen nach kunstgeschichtlichen Epochen oder Künstlerpersönlichkeiten ordnet. Dieser erste „ideale“ Zustand ist auch hier noch in Ansätzen zu erkennen.
Im Lauf der Jahre scheint jedoch bei ungebremstem Sammeleifer für die Aufbereitung und Einsortierung der Bilddokumente immer weniger Zeit zur Verfügung gestanden zu haben. Auch ergaben sich aus der Absicht, Ordnung zu schaffen, neue Erweiterungen des Sammlungsgebietes. Da die Schwester des Sammlers in einem Geldinstitut tätig war, hat sie ihren Bruder mit Umschlägen, Ordnern und Schnellheftern aus deren Fundus versorgt. Und so wurden die Hilfsmaterialien, die die beabsichtigte Enzyklopädie der Kunst hätten organisieren sollen, selbst vom Sog der Sammlung erfaßt und verschluckt.
Nicht anders erging es den Arbeitsmaterialien des Grafikers, Künstlers und Werklehrers. Überall kann man Farbtuben, Schreib- und Zeichenmaterial, Stoffmuster, Teppichreste, leere Marmeladengläser u. ä. sehen. Ungeklärt ist bis heute, wie auch noch der komplette Nachlaß eines katholischen Pfarrers Eingang in diese Wunderkammer fand. Jedenfalls kann man sich gut vorstellen, daß irgendwann der Platz im ursprünglichen Raum zu eng wurde und die Sammlung wie bei einem Dammbruch über die alten Grenzen hinwegschwappte.
3. Der Künstler
Albert Coers kennt diese Sammlung seit vielen Jahren, er ist sozusagen mit ihr aufgewachsen. Der Anblick des überquellenden Raumes, die Unerreichbarkeit der unter ihrer Last gebogenen Regale, die überwucherten Schränke, diese ganze chaotische Struktur haben ihn immer wieder fasziniert und manchmal auch geärgert. Irgendwann faßte er schließlich den Entschluß, den gesamten Inhalt des Raumes hierher in die Akademiegalerie zu verfrachten.
Welche Form aber sollte das umfangreiche Material am neuen Ort erhalten?
Eine Möglichkeit wäre gewesen quasi archäologisch, spurensichernd vorzugehen und eine penible Rekonstruktion vorzunehmend. Eine andere Variante schien noch verlockender: endlich die ersehnte Ordnung und Systematik herzustellen und diese Organisation auch plastisch anschaulich werden zu lassen.
Schließlich siegte bei Albert Coers aber doch der Bildhauerinstinkt über alle konzeptuelle Einengung. Für ihn sind die Gegenstände der Sammlung zuallererst faszinierendes, mit Bedeutung aufgeladenes Material. Ideales Baumaterial für eine Skulptur, die den fragilen Zustand zwischen Ordnung und Chaos ausbalanciert.
Albert Hien
Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung collezione privata, Akademiegalerie München, 8.10.2002
Albert Hien: Albert Coers shows collezione privata
Albert Coers shows collezione privata
This is what it says on the invitation card – this is how it attracts us, makes us curious. When Coers chooses this title for his installation, he is referring to a type of art collection that is popularly placed next to public museums and libraries that are obliged to collect and are equipped with tax money. In recent times, publicly displayed private collections have become an integral part, indeed often the highlights of the art business. Of course, large banks and insurance companies are now also establishing art collections, but like the state collections, these are compiled by professional art historians and systematically expanded according to scientific criteria.
The private collection, on the other hand, primarily reflects the taste and instinct of the subjectively collecting individual. Once a Collezione Privata has reached a certain weight, it is made public and presented at public art venues. Often the next step is to create its own architectural framework: what began small and modestly is now a veritable museum on the same level as the Pinakothek and Reichsmuseum. The patronage collector thus creates a monument for himself during his lifetime that is intended to secure his fame. Just think of Lothar Günther Buchheim and his Museum of Imagination, the Götz Collection, the museum that is currently being built for the Burda Collection in Baden-Baden next to the venerable Kunsthalle, the collection of the Ludwigs in Cologne, or the museum of the screw dealer Würth, which opened a year ago in Schwäbisch-Hall.
Albert Coers was well aware of this architectural aspect, and so he immediately covered the exhibition space with a shell, which makes selected objects from the collection visible to passers-by.
Like a programmatic distillate, posters and art prints hang criss-crossing on the glass front of the gallery, where one would normally expect to find disdainful wrapping paper or old newspapers, in order to ward off curious glances at renovation and conversion work.
Manet next to Kirchner, the floor of the cathedral of Siena next to the black Madonna of Czestochowa… Caravaggio greets Barlach and Chagall… Hieronymus Bosch and Defregger are neighbors, Brazilian ethnographics above an aerial view of Assisi, where is Giotto? one thinks – but the gaze wanders on to Vasarely, Ravenatic mosaics, a photo poster of galloping steeds, glides back to Franz Marc’s Tower of the Blue Horses. Finally, a picture by Arik Bauer, below in large letters: “A colorful offer”. “Dealing with money a timeless art”…
In such a state of mind you enter the interior. A fine smell of old paper washes around the nose, not of mold, not of mildew, but rather a bit like a sacristy — quite venerable, respectful.
But what is there for the eye to see: a rampant heap of compost, a moraine-like debris that came to a halt between the pillars of the room?
Is this how we imagined this Collezione Privata? One of the largest art collections in the world, as the press release boasts? Shouldn’t we expect at least one orderly archive, at least some sort of order, sorting, systematics, cataloguing, indexing …? But what is piled up in front of us here is like a proliferating heap of bulky waste, the volume of a clearing out operation tipped from the loading area!
So is the artist just pulling our leg? Is it his intention to disappoint the expectations raised in us? Does he want to spoil our appetite for pictures, for eye candy and enjoyment of art? In order to recognize that this installation is by no means pursuing such a flat strategy, a little background information might be helpful. Since I have followed the development of this project in parts, I want to pass on my insider knowledge to you now.
2. The Collection and its Location
In a basement room of the DHH in Dillingen this collection is being built over decades on an area of approx. 10 m². The collector is originally obsessed with the idea of creating a comprehensive archive of illustrative material and images for his art lessons. He mainly collects exhibition posters and reproductions of works of art, which he cuts out from annual calendars and magazines, for example, and initially arranges in folders according to art historical epochs or artist personalities. This first “ideal” state can still be seen in some beginnings.
Over the years, however, with unchecked collecting zeal, it seems that less and less time was available for the preparation and sorting of the image documents. The intention to create order also led to new extensions of the collection area. Since the collector’s sister worked in a financial institution, she provided her brother with envelopes, folders and folders from their collection. And so the auxiliary materials that should have organized the intended Encyclopedia of Art were themselves caught and swallowed by the pull of the collection.
The same happened to the working materials of the graphic artist, artist and teacher. Everywhere one can see paint tubes, writing and drawing materials, fabric samples, carpet remnants, empty jam jars, and the like. To this day it is still unclear how the complete estate of a Catholic priest found its way into this Wunderkammer. In any case, one can well imagine that at some point the space in the original room became too cramped and the collection sloshed across the old boundaries like a dam bursting.
3. The Artist
Albert Coers has known this collection for many years, he grew up with it, so to speak. The sight of the overflowing space, the inaccessibility of the shelves bent under its weight, the overgrown cupboards, this whole chaotic structure has always fascinated and sometimes annoyed him. At some point he finally decided to move the entire contents of the room here to the Academy Gallery.
But what form should the extensive material take in the new location?
One possibility would have been to proceed in a quasi archaeological way, securing traces and carrying out a meticulous reconstruction. Another variant seemed even more tempting: to finally establish the longed-for order and system and to make this organization vividly visible.
In the end, however, Albert Coers’ sculptural instinct triumphed over all conceptual limitations. For him, the objects in the collection are first and foremost fascinating material charged with meaning. Ideal building material for a sculpture that balances the fragile state between order and chaos.
Address at the opening of the exhibition collezione privata, Akademiegalerie Munich, 8.10.2002