In „How to Book in Berlin“, einem kürzlich erschienenen Handbuch zum Bereich „Artist’s Book“ schreibt Andreas Bülhoff, dass man bei einer Künstlerbuchmesse keine zu großen Erwartungen an den Verkauf hegen, statt dessen soviel wie möglich tauschen solle.
Und das eingenommene Geld gleich wieder reinvestieren, in andere Bücher. Diesen Rat lese ich erst am Ende der Miss Read 2023, doch habe ich ihn instinktiv befolgt – auch, weil ich schon einige Jahre auf Messen solcher Art unterwegs bin: Ich habe nicht nur Bücher gezeigt und verkauft, verschenkt, sondern, nach dem freigewordenen und wiederbefüllten Volumen im Koffer zu urteilen, etwa dieselbe Menge gekauft, getauscht, mitgenommen, geschenkt bekommen.
Das beginnt mit Brad Downey, der dort ebenfalls einen Tisch hat, und mir großzügig seine Bücher schenkt, darunter „L’uso dei libri“, in dem es ein für mich spannendes Thema geht, den (zweckentfremdenden) Gebrauch von Büchern in Aktionen und Installationen, meist im öffentlichen Raum, dann „Slapstick Formalism“, von Possible Books in Zusammenarbeit mit Hatje Cantz 2020 neu aufgelegt. Dem gewichtigen, skulpturalen Band war ich das erste Mal auf der Messe Friends with Books 2017 begegnet – und auf das großformatige Werk auch etwas neidisch gewesen. Jetzt habe ich mit „Books to Do“ zumindest etwas Vergleichbares, was ich ihm im Gegenzug geben kann. Dass ebenfalls Hatje Cantz beteiligt ist, gibt Anlass zu Gespräch über die Zusammenarbeit mit dem Verlag und die Schwierigkeiten, die der Buchhandel mit Vertrieb und Lagerung hat, u.a. verstärkt durch die Corona-Krise.
Am Stand des permanent-Verlags treffe ich Andreas Koch und Peter K. Koch. Mir fällt der Band „Brasilia Bangkok Berlin“ auf, der Fotos aus diesen drei Städten von Stephanie Kloss, Heidi Specker und Florian Braun beinhaltet, kombiniert mit kurzen Zitaten von Stadtmarketing-Webseiten, die mit den Fotos kontrastieren. Ich kaufe ihn, zufällig kommt auch Heidi Specker gerade an den Tisch und kann das Exemplar signieren.
Bei multinational enterprises (Svein Fannar Johannson) sehe ich schöne Fotobücher und ‑hefte. Für nur 5 € erwerbe ich „Splitting“: Es zeigt wortwörtlich Schnitte durch ein Haus, das auf einem von zwei Parteien beanspruchten Grundstück liegt. Das gefundene Bildmaterial ist nicht einfach abgedruckt, sondern subtil verändert, selbst aufgesplittet, auf die zwei Hälften einer Doppelseite verteilt.
Ich kaufe ein weiteres konzeptionelles Fotobuch, Jerusalemmodellen 1:800 von Carl Johan Erikson, dokumentarische Fotografien eines von einem Laien gebauten großen Modells der Stadt Jerusalem – zur Zeit der Antike. Die religiösen und politischen Konnotationen liegen nahe, werden jedoch nicht offen ausgesprochen, sondern sind implizit vorhanden.
Sehr freut mich der Besuch von Ingo Gerken an meinem Stand. Wir kennen uns über unsere Bücher, sind uns aber noch nie persönlich begegnet. Ich gebe ihm „Books to Do“, im Gegenzug bekomme ich ein Exemplar von „Offenes Buch“, veröffentlicht bei Hatje Cantz. Ich hatte es 2022 in einem Buchladen in Venedig entdeckt. Die Idee ist fantastisch: Dreidimensionale Objekte mit Büchern bzw. mit Abbildungen in ihnen in Kontakt zu bringen, daraus skulpturale Situationen zu entwickeln („Bibliosculptures“), diese im Foto festzuhalten und wieder ins Buchmedium zurückzuspeisen. Dass es sich um Bücher über Kunst handelt, macht die Sache noch spannender. Am liebsten hätte ich so etwas selbst gemacht.
Fast schon Tradition ist es, dass ich mit Ayumi Rahn tausche, die ebenfalls einen Stand hier auf der Messe hat. Sie macht seit mehreren Jahren die Reihe „Interviews“, A‑4-Hefte in kleiner Auflage, in denen sie Texte veröffentlicht, die keine Interviews im gewohnt-journalistischen Sinn sind, sondern das Konzept „Interview“ selbst ausdehnen. Entgegen der Erwartung sind sie sind fiktiv, häufig im Gespräch mit sich selbst verfasst, manchmal auch in Zusammenarbeit mit andern Autorinnen und Autoren. Kombiniert sind die Texte assoziativ mit Bildern. Das aktuelle, sehr anregende Heft Nr. 15 „Die widerspenstigen Dinge“ besteht u.a. aus einem Gespräch, in dem verschiedene Müll-Materialien, etwa Kunststoff, Schlacke, Beton zu Wort kommen.
Publikationen zum Thema Sprache interessieren mich besonders, daher freut es mich, als ich den Band „Unübersetzbar“ am Stand der Akademie Schloss Solitude geschenkt bekomme, da ich mich doch länger darin vertieft habe.
Auf „The Book of Notebooks“ von Dan Perjovschi hatte ich schon früher ein Auge geworfen. Jetzt, kurz vor 19 Uhr, als schon alle zusammenräumen, schlage ich am Stand von P+4 Publications zu. Mich interessieren die witzig-ironischen, mit Sprache und Zeichen spielenden Zeichnungen, aber auch die Art, wie Bücher abgebildet werden, siehe „Books to Do“. Es ist ein Meta-Buch über die Notizbücher, chronologisch rückläufig, von 2017 bis 1994. Die aufgeschlagenen Bücher sind in einem Raster angeordnet, immer 16 auf einer Doppelseite, manchmal eines größer auf einer. Eine Fundgrube!
Am Ende der Messe, als sich die Hallen schon leeren, komme ich bei Michalis Pichler vorbei, dem Mitbegründer der Miss Read. Er schenkt mir seine erste Monografie „Thirteen Years: The materialization of ideas from 2002 to 2015“, mit dem von oben springenden „Superduck“ auf dem Cover.
Draußen treffe ich wiederum Brad Downey, diesmal mit Matthias Hübner von possible Books. Der kauft noch ein Exemplar von “Books to Do” — das letzte Buch, das ich auf der Miss Read verkaufe — und gibt mir eine von ihm gestaltete und verlegte Publikation: Kat Dogtok: Verehrtes Phantom, eine Recherche nach einem, ja, wonach eigentlich? Nach einer Zickzag-Linie, einem Schriftzug, ähnlich einem Graffiti-tag oder einem Logo, das die Autorin im öffentlichen Raum gefunden hatte, im Wald. Der Umschlag mit Folienprägung lässt es haptisch erlebbar werden.
Ich verstaue das Buch im Koffer – und ziehe mit Brad und Matthias zum Bahnhof, um in den Wedding zu fahren – hochzufrieden.
80 Antworten auf „Bücher über Bücher — Miss Read 2023 — Nachlese“
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