Jour­nal 13.–17.6.25 — Miss Read 2025 — Nachlese

13.6. Frei­tag

Bast­le an Hef­ten, um sie noch aus­zu­dru­cken: an dem 75er-Heft, das ich zum Geburts­tag von Hubert Kret­schmer gemacht hat­te; füge neue Bil­der hin­zu…, das BREDA-Heft. 

Im Copy-Pla­net in der Brun­nen­str. Die Aus­dru­cke sind unbe­frie­di­gend, die in Schwarz­weiß gehen so, aber die in Far­be brin­gen es nicht.

Naja, habe so auch genü­gend Mate­ri­al für die Miss Read. Direkt vom Copy­shop dort­hin, mit U‑Bahn und Bus.

Mei­ne Nach­barn: Danie­la Coma­ni, mit der ich mich ver­ab­re­det hat­te, und auf der ande­ren Sei­te der per­ma­nent Ver­lag, mit Andre­as Koch! Freut mich. Wir haben alle drei ähn­li­ches Out­fit, Schwar­ze Base­ball-Kap­pen, Bril­len, Hemden/T‑Shirts. Danie­la schlägt ein Grup­pen­fo­to vor – Cars­ten Lis­e­cki macht es, der auch vor­bei­kommt und lan­ge am Stand verweilt.

Es kom­men vie­le: Käthe Kru­se, die Danie­la gut kennt, Mat­thi­as Seidl und Chris­ti­ne Bail von Dr. Juli­us, Bet­ti­na Hut­schek, Annet­te Gilbert …

Die Ver­käu­fe lau­fen nicht so beson­ders, ein Books to Do … es ist ruhi­ger als letz­tes Jahr – das hängt wohl mit der zeit­glei­chen Eröff­nung der Ber­lin Bien­na­le zusam­men, und dass der Ter­min jetzt im Juni noch nicht so eta­bliert ist.

Noch etwas plau­dern mit Win­nes Win­nes Rader­mä­chers von Fel­der Books.

14.6., Sams­tag

Pos­te eini­ge der Bil­der von ges­tern.
In die Han­sa-Büche­rei, Ingo Ger­ken hat dort bis mor­gen sei­ne Aus­stel­lung der Buch-Objek­te und Fotos. Zur Mes­se. Heu­te läuft es öko­no­misch bes­ser. Max Par­nell kommt, kauft gleich sechs Hef­te der Rei­he mit Gebär­den­spra­che, um sie in einem Radio­sen­der im Wed­ding wei­ter­zu­ver­kau­fen. Die Zeit ver­geht ziem­lich schnell.

Kau­fe eini­ge Klei­nig­kei­ten, ein Heft „von Hun­dert“, mit dem The­men­schwer­punkt Tod; was mich in Zusam­men­hang mit mei­nem Vater immer noch beschäf­tigt. Ein Buch von Miche­al O’Connell aka Mock­sim mit Kas­sen­zet­teln aus bri­ti­schen Super­märk­ten, die immer die Sum­me „0“ auf­wei­sen. Nicht-Kauf, Nicht-Kon­sum – fin­de ich eine schö­ne Idee. Dann ein Rea­der mit Tex­ten ukrai­ni­scher Kura­to­rin­nen und Kul­tur­schaf­fen­der „We who have chan­ged“, der sich mit den Ver­än­de­run­gen befasst, die der Krieg Russ­lands gegen die Ukrai­ne mit sich gebracht hat.

15.6., Sonn­tag

Noch ein­mal in die Han­sa-Büche­rei, dort ist gera­de Andre­as Koch, auch vor dem Beginn des heu­ti­gen Mes­se­tags. Gute Unter­hal­tung über Archi­tek­tur des Han­sa­vier­tels und künst­le­ri­sche Ver­ar­bei­tung der klas­sisch moder­nen Archi­tek­tur; Andre­as hat z.B. ein Seg­ment aus dem Dach der Natio­nal­ga­le­rie im Maß­stab 1:1 nach­ge­baut und als Tisch gezeigt. Mit ihm per Rad zum Haus der Kul­tu­ren der Welt.

Cor­ne­li­us Bränd­le von der Künst­ler­buch – und Klein­pres­sen­mes­se in Ber­lin kommt vor­bei. Etwas ande­res Kon­zept, als die Miss Read, er aber sehr sym­pa­thisch. Kauft ein „Wer ist Albert?“-Heft.
Neh­me eini­ges ein, ins­ge­samt wird es sich auf etwa 270 Euro belau­fen – was wohl etwas weni­ger ist als letz­tes Jahr und weni­ger als mei­ne Nach­barn – aber immer noch ganz ordent­lich für mei­ne Ver­hält­nis­se. Da kann man schon einen Teil re-inves­tie­ren in Bücher.

Suche nach den Tischen von „Mul­ti­na­tio­nal Enter­pri­ses“ ali­as Sveinn Fan­nar Johanns­son und Eric Stein­bre­cher – sie haben Tische neben­ein­an­der, wie schön! Bei ers­te­rem „Ten Exhi­bits“ (2018), ein Buch mit einer Samm­lung von 10 gesam­mel­ten und foto­gra­fier­ten Stü­cken Toi­let­ten­pa­pier, von Eröff­nun­gen in Gale­rien, zur Unter­strei­chung der Muse­ums­qua­li­tät mit einem Farb­keil abge­lich­tet und zusam­men mit einem Zitat aus dem Pres­se­text der jewei­li­gen Aus­stel­lung – muss ich haben. Die Idee einer Samm­lung von WC-Papier(rollen) ver­fol­ge ich ja auch seit eini­ger Zeit, hier ist sie jetzt kon­se­quent umge­setzt. Die Begren­zung des Pro­jekts auf 10 Sta­tio­nen ist ver­nünf­tig, denn sonst könn­te es ewig so wei­ter­ge­hen, wie bei mir, mit den Rol­len (und Glä­sern). Bis ins Detail lie­be­voll gemacht, bis auf die Haa­re, die sich auf den Papier­stü­cken fin­den, — und das letz­te Stück sieht so plas­tisch aus, dass ich es berüh­re – es ist tat­säch­lich ein Ori­gi­nal, ein­ge­klebt, von Svein­ns eige­ner Aus­stel­lung, als Abschluss.

Aus den Büchern von Eric Stein­bre­cher wäh­le ich eins, „Schmier­pa­pier“, auf rotem dün­nen Papier, das, wie mir Eric erklärt, von der Pro­duk­ti­on eines ande­ren Buches übrig­ge­blie­ben war. Die frei­en, kra­ke­li­gen Zeich­nun­gen gefal­len mir; als ich Eric einen Zeh­ner gebe, steckt er ihn in das nächs­te Exem­plar des Buches – farb­lich pas­send. Das kos­te jetzt 20 Euro, meint er – geni­al aus dem Moment heraus!

Eines der letz­ten Bücher, die ich erwer­be, ist von Clau­dia de la Tor­re – Side A. Als Material/Vorlage dien­te ein Sci­ence Fic­tion-Roman. Bin ganz glück­lich, als ich es mitnehme.

Die Zeit ver­geht doch wie­der schnell, mit wei­te­ren Aus­flü­gen an ande­re Tische. Um 19 Uhr ist die Mes­se zu Ende, beim Gong­schlag Klat­schen für die Ver­an­stal­ter – eine ver­dien­te Ges­te, die mir die­ses Jahr neu vorkommt.

Beim Auf­räu­men nut­ze ich die Gele­gen­heit, um mei­ne Bücher und die gesam­mel­ten auf den Gar­de­ro­ben­ti­schen aus­zu­brei­ten und zu foto­gra­fie­ren. Es kauft noch jemand von einem ande­ren Tisch ein Heft, froh, dass ich noch da bin. Sebas­ti­an Klug kommt auch noch; ich habe ihn bei sei­ner Instal­la­ti­on im Klo­häus­chen ken­nen­ge­lernt; sieht sich Bücher an, kauft „depo­si­to prov­vi­so­rio“. Ein schö­ner Aus­klang. Packe die Sachen in den Kof­fer, die­sen aufs Rad, nach Hau­se in die Osloer­str. Gehe nicht mehr aus, sehr müde, schaf­fe es kaum, noch ein paar Bücher anzu­schau­en, schla­fe bald ein.

Mo, 16.6.25

Auf dem Brunch nach der Miss Read, in der Gericht­str. Gute Unter­hal­tung mit Ayu­mi Rahn, mit Win­nes, mit Ver­le­gern aus Mexi­ko. Gut, das Wochen­en­de noch aus­klin­gen zu las­sen – nach­dem alle Bücher weg­ge­räumt sind.Schreibe mit beim Par­al­lel­pro­to­koll „Haus­num­mer“, Tref­fen an der Ecke Ankla­mer-Brun­nen­str. Vor dem Café sehe ich Chris­toph Bru­cker sit­zen, den ich vom Tisch­ten­nis bei Andre­as Koch her ken­ne, mit Barett und ein Glas Weiß­wein vor sich, ganz bohe­me­haft. Er hat den Laden „Nutz und Zier“ in der Brun­nen­str, für Möbel und Vintage-Objekte.

Mit dem Rad nach Pan­kow, Eröff­nung von SPI­NORA­MA, von Aslak Gur­holt, der Bücher mit ver­schie­de­nen Gestal­tun­gen und Kon­zep­ten von Buch­rü­cken gesam­melt, kate­go­ri­siert hat und jetzt im ein​Buch​.haus zeigt.

Danach zum Tisch­ten­nis in der Kas­ta­ni­en­al­lee, bei Andre­as Koch. Es geht im Gespräch viel um das The­ma „Samm­lung“. Dort auch Tom Biber, der selbst viel Kunst und Bücher gesam­melt hat und auch ein Anti­qua­ri­at betrieb. Wür­de mich inter­es­sie­ren, ihn zu besuchen.

Di, 17.6.25

Schlaf bis 9 Uhr. Noch fer­tig von der Miss Read. Mor­gens Schwit­zen, wil­de Träu­me – die ich auf­schrei­ben möch­te, mich aber schon eini­ge Stun­den spä­ter nicht mehr an sie erinnere.

Am DB-Schal­ter Gesund­brun­nen meint der Ange­stell­te, dass mein Name ihm etwas sage; was mich erstaunt und freut.  Es sei ein Fil­me­ma­cher. In der Tat, Mat­thi­as Coers heißt ein Fil­mer, der viel mit sozia­lem Bezug (Miet­mo­del­le …) gedreht hat, wie ich spä­ter nachschaue.

In den Büchern und Zeit­schrif­ten, die ich gekauft und getauscht habe. Beson­ders freut mich „Side A“ von Clau­dia de la Tor­re, mit schwar­zen Drei­ecken, die man auch als Eselsohren/Knicke im Buch lesen kann. Sie deu­ten mit einer Spit­ze immer auf ein Wort auf der Sei­te „fin­de“ „emo­ti­ons“; sind schon eine mini­ma­lis­tisch-poe­ti­sche Kom­po­si­ti­on, und in der Abfol­ge so ange­ord­net, dass sie einen neu­en zusam­men­hän­gen­den Text erge­ben. C’est genial!

Ähn­lich mini­ma­lis­tisch ist das klei­ne Büch­lein „Tea Cerem­o­ny“, von der Hap­py Pota­to Press, das ich im ein​Buch​.Haus gekauft habe, als gewis­ser­ma­ßen letz­te Erwer­bung der Mes­se. Es besteht immer aus zwei Wör­tern /Begriffen, die ein­ge­passt sind in die Sil­hou­et­te einer Tee­tas­se, eines in der Flä­che des Tees, das ande­re dar­un­ter auf der Tas­se. Die Flä­chen sind unter­schied­lich groß, erin­nern an die Gra­fi­ken aus der Men­gen­lee­re, und man kann sich Gedan­ken über das Ver­hält­nis der Wor­te zuein­an­der machen. Ist z.B. die „Cerem­o­ny“ wich­ti­ger als ihr Anlass „Tea“? Oder das Ver­hält­nis zwi­schen „also“ und „ever­y­thing“?

In der „Zeit­schrift“, von Alex­an­der Wolff her­aus­ge­ge­ben, mit einer Type, aus Hel­ve­ti­ca und Times gebas­tel­ten Schrift, mit einem sehr wit­zi­gem Edi­to­ri­al. Anti-Trump-Pro­tes­te; sehr aktu­ell. Dann sehe ich erst, dass es eine Aus­ga­be schon von 2017 ist. Wie­der der Ein­druck und die Fra­ge: hat sich so wenig geän­dert? Immer noch Trump, stär­ker im Sat­tel als je.

10.–13.1.25 — Journal

10.1., Mon­tag

Unru­hi­ger Schlaf, trotz der Müdig­keit: Die Trop­fen von Regen und schmel­zen­dem Schnee fal­len laut auf die ble­cher­nen Abde­ckun­gen der Fens­ter­bret­ter, und das nicht regel­mä­ßig-beru­hi­gend, son­dern enervierend. 

Vie­le wil­de Träu­me – die nach dem Auf­wa­chen aber zer­rin­nen. In einen gro­ßen lee­ren Raum fährt auf einem Roll­stuhl ein blin­der Mann, der als Hel­fer, als Ret­ter auf­tre­ten soll. Er brei­tet die Arme weit aus.

Vor­be­rei­tun­gen zur Paris­rei­se, auch sprach­lich. Ver­su­che den Leu­ten auf Fran­zö­sisch zu schrei­ben, um mich zu üben, und auch
Le matin, après, je essaye du con­tin­uer où je ai lais­sé le tra­vail le jour der­nier. Com­ment l’usage du accent aigu ou gra­ve pour moi n’est pas clair, je fais une recher­che. J’ai étu­dié l’usage – mais ça sera plus un cho­se de s’entraîner que de en savoir. 

Am Nach­mit­tag bei der Prä­sen­ta­ti­on der Künst­ler­bü­cher aus der Samm­lung Mar­zo­na mit (wie­der selbst­ver­ur­sach­ten) Hin­der­nis­sen: Den­ke zuerst, es sei im Ham­bur­ger Bahn­hof und rad­le da eilig hin doch da wis­sen sie nichts, dann schnell wei­ter zur Natio­nal­ga­le­rie, mit dem Rad durch den Tier­gar­ten, vol­ler Pfützen.

Aber lohnt sich dann: sehr inten­si­ve, kon­zen­trier­te Zeit, Micha­el Lail­ach und Kol­le­gin von der Kunst­bi­blio­thek stel­len Bücher von Hans Peter Feld­mann, Bol­tan­ski u.a. vor. Dabei sind Ideen für Bil­der­se­ri­en, die ich auch schon hat­te: etwa zer­wühl­te Bet­ten mor­gens. Also: bes­ser nach­se­hen, ob es die Idee nicht schon gibt – oder ver­su­chen, sie anders zu machen. Das Inter­view-Buch mit Hans Ulrich Obrist, bei dem er auf eine Fra­ge non­ver­bal ant­wor­tet, mit einem Bild – köst­lich. Dass Bol­tan­ski so einen fai­ble für Karl Valen­tin hat­te, auch viel Komi­sches gemacht hat, etwa die Serie mit den fake-Selbst­mor­den — wuß­te ich nicht. 

Vie­le bekann­te Gesich­ter im Publi­kum: Erik Stein­bre­cher, Ste­fan Römer, Adib Fri­cke, Knut Ebe­l­ing mit Part­ne­rin, Han­na Hen­nenk­em­per, die Pro­fes­so­rin an der Kunst­aka­de­mie Stutt­gart ist; teils muss­te ich erst die Namen wie­der hervorsuchen. 

Dann, schon ein­mal in der Natio­nal­ga­le­rie, noch in der Nan Gol­din-Aus­stel­lung. Es sind eigent­lich Fil­me, die gezeigt wer­den, bzw. Dia-Shows, mit Musik oder gespro­che­nem Kom­men­tar, z.T. Pro­jek­tio­nen auf meh­re­ren Bild­schir­men, in auf­wen­dig gebau­ten Kinosälen/Pavillons. Vor allem der über ihre Schwes­ter Bet­ty, die mit 20 Selbst­mord began­gen hat, ist schon sehr berüh­rend. Da haben man­che Zuschau­er Trä­nen in den Augen (ich eingeschlossen).

Auf dem Rück­weg in den Wed­ding noch in der Per­le­ber­ger­str. vor­bei, Aus­s­stel­lung beim Art-Lab, mit dabei: Pfel­der und Simo­ne Zaugg mit einem Video.
Kalt, auf dem Rad.

11.1. Sams­tag

Schi­cke die Vor­schlä­ge für den Bei­trag im Salon-Maga­zin end­lich an Ger­hard Thee­wen.
(Auf­schrif­ten aus dem Kel­ler in DLG, Objek­te mit Schild “Bit­te nicht berühren”). 

Nach­mit­tags Ket­te von zumeist kur­zen Stopps: zunächst zu einem Copy­shop in der Per­le­ber­ger, dann zu ep.contemporary, die dor­ti­ge Grup­pen­aus­stel­lung anse­hen, “you are invi­ted . du bist ein­ge­la­den”. Tref­fe dort den Neu­zu­gang in der Grup­pe, FD Schlem­me, der den Raum links bespielt mit Plas­ti­ken. Gutes Zusam­men­spiel, mein Ein­druck. Er ist in Ber­lin gebo­ren, wie sich im Gespräch her­aus­stellt, eine der weni­gen Per­so­nen, die ken­ne und auf die das zutrifft.
Kurz zum nahen HAUNT/frontviews, noch in einen Copy­shop am Ernst-Reu­ter-Platz, einen Aus­weis lami­nie­ren las­sen.
Zum Miss-Read-Talk im Wed­ding. Lau­fe vom Leo­pold­platz aus erst­mal eine Run­de, bis ich wie­der in die Gericht­str. fin­de. Vie­le Leu­te. Anto­nia Hirsch stellt ihre Monog­ra­hie vor, zugleich Künst­ler­buch . Da gibt es man­che gemein­sa­me Inter­es­sen, u.a. das für Indi­ces: ein auf­wen­di­ger interpretierender/kommentierender ist bewusst in die Mit­te des Buches gesetzt, neon­rot gedruckt hebt er sich auch im Schnitt als zen­tral mar­kiert ab. Ihn hat eine pro­fes­sio­nel­le Index­spe­zia­lis­tin erstellt, auf Emp­feh­lung von Den­nis Dun­can, wie ich spä­ter erfahre! 

Inter­es­sant sprach­li­che Aspek­te: das Gespräch ist auf Eng­lisch (viel­leicht des­halb auch so vie­le Teil­neh­mer?); Anto­nia führt es mit Gill Par­ting­ton, Buch­wis­sen­schaft­le­rin, die ein sehr schö­nes bri­ti­sches Eng­lisch spricht. Bei Anto­nia, die per­fekt ein amerikanisch/kanadisch gefärb­tes Eng­lisch spricht, merkt man  erst bei eini­gen deut­schen Aus­drü­cken (Nach­lass, Staf­fe­lung), dass sie kei­ne eng­li­sche Mut­ter­sprach­le­rin ist.
Jay­ne Wil­kin­son, Publi­zis­tin und Lek­to­rin, blät­tert im Buch, das per Smart­phone gefilmt und dann pro­ji­ziert wird – gute Art der Prä­sen­ta­ti­on.
Kau­fe ein Exem­plar. Danach in eine Piz­ze­ria in der Gericht­str, “Sot­to”. Mich­a­lis, Annet­te Gil­bert, Gill , Jay­ne, Anto­nia mit Part­ner. Net­te Run­de. Das fehlt mir sonst häu­fig nach Ver­an­stal­tun­gen. Auch Annet­te G. ist eine gebür­ti­ge Ber­li­ne­rin, Ost. 

In Roland Bar­thes “Jour­nal du deuil”. Es wird spät. 

12.1. Sonn­tag

An den E‑mail-Ein­la­dun­gen zum Geburts­tag; bis da der klei­ne Text zum The­ma “Zeit” geschrie­ben, das Bild her­aus­ge­sucht und ein­ge­fügt ist, das mit den drei Uhren, dau­ert es doch etwas.

Natio­nal­ga­le­rie, noch ein­mal in der Künst­ler­buch­aus­stel­lung. Ohne Füh­rung und ohne Innen­an­sicht der Bücher ist sie frei­lich weni­ger inter­es­sant; auch die Fil­me, in denen die Bücher durch­ge­blät­tert wer­den, ver­mit­teln sie nur bedingt.

Zur Finis­sa­ge der Aus­stel­lung Anony­me Zeich­ner. im Kunst­raum Kreuz­berg. Tref­fe Bet­ti­na Huschek, zei­ge ihr mei­ne Zeich­nung. Ihre Arbeit ist ver­kauft wor­den, es war eine Schreib­ma­schi­nen­zeich­nung, mit Klam­mern, die nach unten hin sich auf­lö­sen, weg­brö­seln. Sie muss dann wei­ter, fliegt noch nach Mal­ta. Hät­te mir den Auf­ent­halt in der Neu­en Natio­nal­ga­le­rie spa­ren oder frü­her dort­hin sol­len; Jetzt habe ich Leu­te ver­passt, mit denen ich mich locker ver­ab­re­det hat­te, oder die Zeit mit ihnen ist knapp.
Kau­fe schließ­lich noch eine Zeich­nung, die von Isa­bel­le Dycker­hoff. Dies­mal geht die Abwick­lung glatt vor sich, anders als beim letz­ten Mal, als mir “der Saft aus­ging”. 250 € für eine der­art dich­te Zeich­nung, das ist eigent­lich nicht viel. 

Tref­fe noch einen Bekann­ten, Jakob Kirch­heim, mit ihm durch die Aus­stel­lung. Er hat hier einen Film in der Sek­ti­on “lines of fic­tion”. Eine Film­re­gis­seu­rin befragt uns über Zeichentechniken. 

Danach zurück nach Hause.

Um 23.35 Zug nach Mann­heim, wei­ter nach Paris. Habe mir fest vor­ge­nom­men, recht­zei­tig los­zu­ge­hen; doch dann wird es wie­der knapp: bis alles abge­spült und auf­ge­räumt ist, alles gepackt und ange­zo­gen; in der U‑Bahn fah­re ich, unkon­zen­triert und auf das Han­dy schau­end, in die fal­sche Rich­tung, wie­der aus­stei­gen und retour, bis Gesund­brun­nen; der Regio­nal­zug von dort bis zum Haupt­bahn­hof fährt erst mit 15 Minu­ten Abstand, lie­ße mir nur 3 Minu­ten zum Umstei­gen – sehr wenig. Neh­me ein Taxi, die Fahrt­dau­er unter 10 Minuten.

Glück­lich im Zug.

Län­der­kenn­zei­chen / Coun­try Sym­bols, 3rd edition

Albert Coers stieß in einer Biblio­thek auf ein 1985 in Ost­ber­lin erschie­ne­nes Wör­ter­buch der Gebär­den­spra­che Gehör­lo­ser. Die Prä­senz der Dar­stel­ler und die Umset­zung von so kom­ple­xen Begrif­fen wie Natio­nen in pik­to­gramm­ar­ti­ge Zei­chen übten einen star­ken Reiz aus. Aus die­sem Buch wähl­te Albert Coers die Wör­ter für Län­der aus und füg­te sie unter Bei­be­hal­tung der alpha­be­ti­schen Rei­hen­fol­ge zu einem Künst­ler­buch zusam­men.
Beglei­tet wird es durch einen Text von Albert Coers zur Recher­che und zu den Wör­tern und deren mög­li­chen Ety­mo­lo­gien, auf Deutsch und Eng­lisch.
2024 ist die 3. Auf­la­ge erschie­nen, erwei­tert auf 52 Sei­ten, ergänzt durch die Bild­wör­ter der Kon­ti­nen­te, Afri­ka, Euro­pa, Asien.

14,8 x 10,5 cm, 52 Sei­ten, Auf­la­ge 200,
Tex­te Eng­lisch und Deutsch, Über­set­zung: Oli­ver Wal­ker; Draht­hef­tung
So​-vie​le​.de, Heft 44–3, icon Ver­lag Hubert Kret­schmer
ISBN 978–3‑928804–52‑3

basiert auf: Lehr- und Übungs­buch der Gebär­den Gehör­lo­ser, hrsg. von Gehör­lo­sen- und Schwer­hö­ri­gen-Ver­band der DDR, VEB Ver­lag Volk und Gesund­heit, Ber­lin, 1985


1. Auf­la­ge 2016, 36 Sei­ten, Auf­la­ge 500
erschie­nen anläß­lich von super urban vil­la­ge, 10 Kunst­pro­jek­te im öffent­li­chen Raum zum The­ma Flucht und Iden­ti­tät, 3.–19. Juni 2016, im Rah­men des Kunst­fes­ti­vals Orts­ter­min 2016, Kunst­ver­ein Tier­gar­ten, Ber­lin, kura­tiert von Chris­ti­an Hamm

2. Auf­la­ge 2016, 48 Sei­ten, Auf­la­ge 200,
erschie­nen anläss­lich der Aus­stel­lung The Order Of Things
Albert Coers, Mia Goy­et­te, Chris­ti­ne Lem­ke, 05.11.–17.12.2016, Gale­rie Soy Capi­tán, Berlin-Kreuzberg

Coun­try Symbols

In a public libra­ry, Albert Coers found a manu­al for tea­ching sign lan­guage, published in 1985 in East Ber­lin. He was smit­ten by the pre­sence of the per­sons that fea­tured in the pic­tures and the trans­la­ti­on of com­plex con­cepts like nati­ons in pic­to­gram-like words. From this book, he sel­ec­ted the words for coun­trys and nati­on, kee­ping the alpha­be­ti­cal order, and arran­ged them for an artist book.
The book is accom­pai­gned by a text about the rese­arch, the words and their pos­si­ble etmo­lo­gies.
In 2024, the 3rd edi­ti­on came out, enlar­ged by the image-words for con­ti­nents, Afri­ca, Euro­pe, Asia.

14.8 x 10.5 cm, 52 pages, edi­ti­on of 200, Texts in Eng­lish and Ger­man, trans­la­ti­on: Oli­ver Wal­ker; wire bin­ding
So​-vie​le​.de, issue 44–3, icon Ver­lag Hubert Kret­schmer, Munich 2024
ISBN 978–3‑928804–52‑3
based on: Text­book and exer­cise book for the sign lan­guage of the deaf, published by the Asso­cia­ti­on of the Deaf and Hard of Hea­ring of the GDR, VEB Ver­lag Volk und Gesund­heit, Ber­lin, 1985

1st edi­ti­on 2016, 36 pages, edi­ti­on of 500 published on the occa­si­on of super urban vil­la­ge, 10 art pro­jects in public spaces on the topic of flight and iden­ti­ty, 3rd — 19th. June 2016, as part of the art fes­ti­val Orts­ter­min 2016, Kunst­ver­ein Tier­gar­ten, Ber­lin, cura­ted by Chris­ti­an Hamm 

2nd edi­ti­on 2016, 48 pages, edi­ti­on of 200, published on the occa­si­on of the exhi­bi­ti­on The Order Of Things Albert Coers, Mia Goy­et­te, Chris­ti­ne Lem­ke, 05.11.–17.12.2016, Gale­rie Soy Capi­tán, Berlin-Kreuzberg

Jour­nal Berlin-Warschau

4.8.24, Sonn­tag

Am Vor­tag der Abfahrt nach War­schau noch ein­mal Muse­ums­tag — und uner­war­te­te Ein­stim­mung auf die Rei­se nach Ost­eu­ro­pa durch einen Auf­ent­halt im Ber­li­ner Osten: Nach­dem die Cas­par-David-Fried­rich-Aus­stel­lung in der Alten Natio­nal­ga­le­rie über­füllt ist (let­zer Tag und kos­ten­lo­ser Muse­ums-Sonn­tag), zum Sta­si-Muse­um in Lich­ten­berg. Dort war ich noch nie.

Ori­gi­nal-Archi­tek­tur, mit dem pavil­lon­ar­tig über­bau­ten Ein­gangs­be­reich aus orna­men­ta­len Beton­ele­men­ten – die, wie man spä­ter erfährt, nicht zuletzt der Abschir­mung der Ankom­men­den gegen Bli­cke dien­ten. Sehr viel auch von der Möblie­rung noch im bau­zeit­li­chen Zustand der 1950er/60er Jah­re. Das Haus wird so gleich­zei­tig zum Archi­tek­tur- und Design­mu­se­um und übt so einen – unge­plan­ten – Reiz aus. Da wäre inter­es­sant, inwie­fern sich das Ost-Design sich vom zeit­glei­chen im Wes­ten unter­schied, oder ab wann sich da ein eige­ner Stil ent­wi­ckel­te. Viel­leicht noch mehr Hang zum Kon­struk­ti­ven, Gerad­li­ni­gen, wäh­rend es im „Wes­ten“ eher run­de, geschwun­ge­ne For­men waren, sie­he die Nie­ren­ti­sche etc. Funk­tio­na­le Ele­men­te neben reprä­sen­ta­ti­ven, z.B. Schie­be­wän­de, gestaf­felt hin­ter­ein­an­der, für die Prä­sen­ta­ti­on von Land­kar­ten. Wuch­ti­ge Ses­sel, mit leuch­tend blau­en Bezü­gen, in denen man sich die MfS-Funk­tio­nä­re bei ihren Sit­zun­gen gut vor­stel­len kann.

Obwohl man bereits viel weiß: Der Umfang der Büro­kra­ti­sie­rung, Kata­lo­gi­sie­rung, Archi­vie­rung der Beob­ach­tun­gen und Unter­la­gen über die Obser­vier­ten doch ganz erstaun­lich, v.a. im Sta­si-Unter­la­gen-Archiv gegen­über. Aus­stel­lung über Betrof­fe­ne, z.B. Gil­bert Radu­lo­vic, einen dama­li­gen Jugend­li­chen, der Kon­takt zur Anarcho- und Punk-Sze­ne hat­te, ein Heft­chen zusam­men­stell­te, und mas­si­ve Pro­ble­me bis zur Gefäng­nis­haft bekam.

Ein­zel­ne Objek­te, z.B. die dreh­ba­ren Akten­schrän­ke mit Kar­tei­kar­ten, die an die mit­tel­al­ter­li­chen Buch­müh­len erin­nern; eine Samm­lung von Post­kar­ten, die abge­fan­gen und ein­be­hal­ten wur­den – mit her­aus­ge­schnit­te­nen und somit sepa­rat gesam­mel­ten Briefmarken!

Blick ins Gäs­te­buch: Der all­ge­mei­ne Kom­men­tar „sehr schön!“ for­dert eine kri­ti­sche Replik her­aus: „Wo ist da eine Schön­heit zu sehen?“


Kon­ti­nui­tä­ten der Sta­si mit dem russisch/sowjetischen Geheim­dienst, auch in der Bezeich­nung „Tsche­kist“ für die Mit­ar­bei­ter, v.a. in den 50er-70er Jah­ren. Inso­fern gute Ein­stim­mung auf die Rei­se wei­ter nach Osten, nach Polen und Litau­en, wo ähn­li­che Über­wa­chung und Drang­sa­lie­rung herrschte.

Ins Palais Popu­lai­re und den Ham­bur­ger Bahn­hof. Dort noch­mal in der Aus­stel­lung von Alex­an­dra Piri­ci. Dies­mal sind Per­for­me­rin­nen aktiv; den Gesang fin­de ich gut, da er so bei­läu­fig daher­kommt; das Rie­seln­las­sen von Sand durch die Hän­de auch, da sehr ein­fach. Das Her­un­ter­rol­len vom Sand­hü­gel hat dage­gen schon mehr Thea­tra­li­sches.
Buch­hand­lung König. Kata­log von Clau­dia Wie­ser liegt aus, wie ich nei­disch fest­stel­le. Kau­fe einen Band von Roland Bar­thes „Mythen des All­tags“, für die Zug­fahr­ten, die uns erwar­ten. Schon beim Hin­ein­le­sen sprin­gen die The­sen und geist­rei­chen Beob­achun­gen einem nur so entgegen.

5.8. Mon­tag

Sehr früh auf, bereits um 3.30. Trotz­dem durch­zuckt mich beim Läu­ten des Weckers Erin­ne­rung an ange­neh­men Traum. Fahrt nach War­schau mit zahl­rei­chen Zwi­schen­sta­tio­nen, da aus irgend­wel­chen Grün­den kei­ne Direkt­ver­bin­dung mög­lich ist: Tram von der Osloer­str. zur War­schau­er­str., dann S‑Bahn nach Erkner (mit ner­vös flir­ren­der defek­ter Anzei­gen­ta­fel), Regio­nal­zug nach Frankfurt/Oder, von dort aus end­lich EC. Ankunft gegen 11.30.

Hotel Tif­fi, zen­tral in der Alt­stadt, gegen­über der alten Uni­ver­si­tät, neben der Kunst­aka­de­mie und einer gut­sor­tier­ten Buch­hand­lung. Über die Lage hin­aus groß­zü­gi­ge Räu­me. Mit der Ein­rich­tung lässt sich sofort spie­len, sie bie­tet Mög­lich­kei­ten anzu­do­cken: die Socken kann man auf einen Lam­pen­schirm zum Lüf­ten legen; die Klei­der ver­tei­len. Das Bügel­brett, das sich im Schrank auf­ge­hängt fin­det, hat skulp­tu­ra­le Qua­li­tä­ten, erin­nert an einen Ste­le mit Mas­ke. Eine Land­kar­te von Polen lässt sich per Klei­der­bü­gel (mit Klam­mern unten) über den Bild­schirm hän­gen. Das Hotel­zim­mer als Ate­lier­raum, als Fun­dus, mit dem man, in dem man arbei­ten kann.

Zu einem der vor­ge­merk­ten Haupt­zie­le, dem neu­eröff­ne­ten Muse­um POLIN, hin­ter dem Denk­mal für Kämp­fer des War­schau­er Auf­stan­des.
Wir sind lan­ge im Muse­um, bis zur Schlie­ßung um 18 Uhr. Es gibt sehr viel zu sehen, zu lesen und zu ent­de­cken, ange­fan­gen von der Geschich­te der Juden (und damit auch Ost­eu­ro­pas und Polens ins­ge­samt) im Mit­tel­al­ter über die Neu­zeit bis immer näher zur Gegen­wart mit den zio­nis­ti­schen Bestre­bun­gen in den 1920ern – und dann, sehr plötz­lich, dem Angriff der Deut­schen, dem Holokaust.

Zufäl­lig sind wir wie­der Anfang August hier, zu den Jah­res­ta­gen des War­schau­er Auf­stands. Über­all rot-wei­ße Bin­den mit den Far­ben Polens, Rot-Weiß, so auch am Denk­mal. Über­all Gedenk­ta­feln, davor Ker­zen und Blumen.

Ich fan­ge dann an, in der gan­zen Stadt Rot-Weiß zu sehen, auch in den Stopp­schil­dern, den Bau­stel­len­ab­sper­run­gen, den Schil­dern mit „Durch­fahrt ver­bo­ten“. Es lie­ße sich eine Foto­se­rie mit dem The­ma „Rot-Weiß“ machen.

Sehe auf dem Rück­weg zum Hotel auch ein Absperr­band in Blau-Weiß, mit der Auf­schrift „POLIC­JA“, zwi­schen einer Hof­ein­fahrt und einem Park­au­to­ma­ten über den Geh­weg gespannt. So eines habe ich mal in Rom gese­hen, in Tras­te­ve­re, mit der ent­spre­chen­den Auf­schrift “POLI­ZIA” und etwas davon mit­ge­nom­men. Hier reizt es mich auch, zumal es etwas Ver­bo­te­nes hat — bei nur gerin­gem Ein­griff in den öffent­li­chen Raum.
Im Hotel mache ich damit eine Serie von Instal­la­tio­nen, ange­fan­gen mit dem Spie­gel, über den ich es quer span­ne, bis zum Bett, zur Dusche, die ich so absper­re, zum Tat­ort wer­den lasse.

All­zu­viel Zeit habe ich nicht für die Instal­la­tio­nen, was aber auch gut ist, da so das tem­po­rä­re Moment erhal­ten bleibt.
Wir sind nur eine Nacht hier, mor­gen soll es wei­ter nach Bia­lys­tok gehen.

Gas­teig-Encoun­ters, 2020

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Mit Albert Coers: Gas­teig-Encoun­ters erscheint ein Künst­ler­heft zu JAJA NEIN­NEIN VIEL­LEICHT, 15. RischArt_Projekt, im Gas­teig Mün­chen. Coers kom­bi­niert in der Publi­ka­ti­on Fotos der post­mo­der­nen Archi­tek­tur des Kul­tur­zen­trums mit Bil­dern aus einem Wör­ter­buch der Gebär­den­spra­che, erschie­nen in Ost­ber­lin 1985, zeit­gleich zur Eröff­nung des Gasteig. 

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Gar­ten, Bil­der, Zug

Eine Aus­stel­lung in Ber­lin leben­der Künst­ler in Zug. Wobei vie­le der„Berliner“ aus der Schweiz, aus Zug selbst stam­men. Und ande­re von woan­ders­her, z.B. wie ich aus Süd­deutsch­land. Also eine Aus­stel­lung, wo ver­schie­de­ne Iden­ti­tä­ten schon von den Teil­neh­mern mit­ge­bracht wer­den, der Orts­be­zug aber eine Rol­le spielt. In einer Stadt, die Rei­se­tä­tig­keit bereits in ihrem Namen beinhal­tet. Was läge näher, als mit dem ent­spre­chen­den Ver­kehrs­mit­tel anzu­rei­sen? Das Spiel mit Iden­ti­tä­ten und Namen gab dann auch den Aus­schlag für die Wahl des Bild­ma­te­ri­als, zusam­men mit dem Aus­stel­lungs­ti­tel „Secret Gar­den“ und dem Ort, einem Gar­ten­haus und –grund­stück, am Ran­de von Zug.

Es erschien nahe­lie­gend, mit Bil­dern aus einem 1985 eben in Ber­lin (Ost) erschie­nen Wör­ter­buch der Gebär­den­spra­che Gehör­lo­ser zu arbei­ten. Dar­stel­lung von Län­der­iden­ti­tä­ten hat­te ich 2016 in Ber­lin-Moa­bit im öffent­li­chen Raum und in der Gale­rie Soy Capi­tán gezeigt.

Secret Gar­den bot Gele­gen­heit, das Bild­ma­te­ri­al neu zu durch­fors­ten, Zusam­men­hän­ge her­zu­stel­len, die zunächst kryp­ti­schen, repro­du­zier­ten Bil­der der Gebär­den­spra­che mit der Gegen­wart des Gar­tens und der Stadt zu kon­fron­tie­ren, sie in ihrer Anord­nung nach dem ABC, die der Sys­te­ma­tik des Wör­ter­bu­ches folgt, als eine Art zei­chen­haf­te Weg­stre­cke hin zum „rea­len“ Gar­ten am Lüs­si­weg zu platzieren.

Das Bild­ma­te­ri­al schien auch geeig­net, da ein impli­zi­tes The­ma der Aus­stel­lung ja die Über­win­dung von Grenzen/Barrieren ist: Ber­lin und Zug lie­gen zwar im deut­schen Sprach­raum, aber weit ent­fernt in unter­schied­li­chen Län­dern, sind auch hin­sicht­lich Grö­ße, Geschich­te, sozia­ler und öko­no­mi­scher Struk­tur, Bevöl­ke­rung, Spra­che sehr ver­schie­den. Gene­rell wird von Kunst und Bil­dern ja ger­ne erwar­tet, dass sie Gren­zen über­win­den. Da schien es inter­es­sant, eine Bil­der­spra­che zu wäh­len, die einer­seits genau die Über­win­dung von (sprach­li­chen) Gren­zen ver­heißt und ermög­licht, ande­rer­seits aber auch Gren­zen von Kom­mu­ni­ka­ti­on auf­zeigt und damit die Erwar­tung ein Stück weit unter­läuft, durch­aus im Sinn des nicht Ein­deu­ti­gen, all­ge­mein Ver­ständ­li­chen, son­dern des Abge­grenzt-Par­ti­ku­la­ren, das ja in „Secret“ (abge­schie­den, geheim­nis­voll) steckt. Denn die Gebär­den­spra­che stellt man sich, da es sich ja um eine visu­el­le Spra­che han­delt, als genu­in inter­na­tio­nal und über­all ver­ständ­lich vor, als eine Art Espe­ran­to, so, wie man sich eben in einem frem­den Land, „mit Hän­den und Füßen“ ver­stän­digt. Aber wenn es auch eine inter­na­tio­na­le Gebär­den­spra­che gibt und Ange­hö­ri­ge ver­schie­de­ner Natio­nen sich rela­tiv schnell ver­stän­di­gen kön­nen, so ist die­ser Code doch natio­nal und regio­nal sehr aus­dif­fe­ren­ziert: Es gibt wie bei gespro­che­nen Spra­chen Dia­lek­te, so etwa eine nord- und eine süd­deut­sche Vari­an­te, und auch kom­mu­na­le Aus­prä­gun­gen. Dass ein Ber­li­ner und ein Zuger sich pro­blem­los ver­stän­di­gen könn­ten, ist also unwahr­schein­lich. Auch ver­än­dert sich die Spra­che lau­fend, je nach sozia­ler Über­ein­kunft, wie man etwa am Bei­spiel ‚Frau’ sehen kann: Da gibt es die Vari­an­te mit Andeu­tung eines Busens, die von den meis­ten Spre­chern als zu offen­sicht­lich auf kör­per­li­che Geschlechts­merk­ma­le bezo­gen nicht mehr ver­wen­det wird, dann das Grei­fen zum Ohr­läpp­chen, um Weib­lich­keit durch Tra­gen von Ohr­rin­gen aus­zu­drü­cken, wor­in sich natür­lich auch Ste­reo­ty­pe ver­ber­gen, schließ­lich eine noch neu­tra­le­re Gebär­de, ein Wischen mit dem Dau­men über die Wan­ge, die bei Spre­chern in Süd­deutsch­land die meist­ge­bräuch­li­che scheint.

Das Bild­ma­te­ri­al des über 30 Jah­re alten Lehr­buchs aus Ost­ber­lin gefiel mir gera­de wegen sei­nes Kon­tras­tes zur Bild­spra­che der Gegen­wart und sei­ner iko­ni­schen Qua­li­tä­ten: Die Dar­stel­ler schei­nen durch die Wie­der­ga­be in kör­ni­gem, oft kon­trast­rei­chen Schwarz-Weiß, nach Klei­dung und Fri­sur tat­säch­lich aus einer ganz ande­ren, weit zurück­lie­gen­den Zeit zu stam­men, ent­fal­ten aber erstaun­li­che Prä­senz in den knap­pen, häu­fig sym­me­tri­schen Bild­aus­schnit­ten, mit ihren Bli­cken und kon­zen­triert-zei­chen­haf­ten Gebär­den, nicht zuletzt durch die Ein­fü­gung von Bewe­gungs­pfei­len, die sie in die Nähe von Pik­to­gram­men und Ver­kehrs­zei­chen rücken.

Inter­es­sant ist dabei, wie Begrif­fe aus der Bota­nik visua­li­siert wer­den: Manch­mal ist es die Andeu­tung der Form und Grö­ße, häu­fig jedoch eine Hand­lung, die mit und an der Pflan­ze voll­zo­gen wird, etwa durch den Akt des Essens, die Kir­sche durch den des Ans-Ohr-Hän­gens, als Schmuck.

Die Gebär­den sind prä­gnant, doch beim Blät­tern im Buch fie­len eini­ge ähn­li­che oder gar iden­ti­sche Gebär­den auf, die jen­seits des Gar­ten­the­mas in ganz ande­re Berei­che führ­ten. Ähn­lich wie in einem Pro­jekt mit bota­ni­schen Buch­ti­teln bzw. Autor­na­men (Biblio­te­ca Bota­ni­ca, 2006, mit Namen wie Klee, Kie­fer, Green) trat dann die Suche nach sol­chen dis­pa­ra­ten, jedoch durch Ana­lo­gien ver­bun­de­nen bzw. ver­bind­ba­ren Begrif­fen in den Vordergrund.

Albert Coers: “Bee­re”, “Mal­ta”, 2017
Instal­la­ti­ons­an­sicht Secret Gar­den, Zug

‚Bee­re’ und ‚Mal­ta’ sind bei­des klei­ne Enti­tä­ten; ‚Kohl’ und ‚Welt’ run­de Kör­per, die durch eine Kreis­be­we­gung dar­ge­stellt wer­den, die Schmuck andeu­ten­de Gebär­de von ‚Kir­sche‘ hat Ver­wandt­schaft mit dem Zei­chen für ‚Frau‘; pflan­zen­haft, von Innen her­aus ent­fal­tet sich ‚Kunst‘. Vor allem wenn ein zusätz­li­cher Kanal, hier die Bewe­gung der Lip­pen, fehlt, ist der Kon­text, in dem ein Bild/Zeichen ver­wen­det wird, für sei­ne Bedeu­tung und Les­bar­keit ausschlaggebend.

Die­se Dop­pel- oder bes­ser Mehr­deu­tig­keit der Zei­chen ist dabei kein Merk­mal der Gebär­den­spra­che: Im Hebräi­schen exis­tie­ren, wenn auf Vokal­zei­chen ver­zich­tet wird, eine Fül­le glei­cher Wort­bil­der, da nur Kon­so­nan­ten geschrie­ben wer­den, im Chi­ne­si­schen erge­ben die­sel­ben Sil­ben­fol­gen, mit unter­schied­li­cher Ton­hö­he und Beto­nung gele­sen, ganz ande­re Bedeu­tun­gen. Genau­so gibt es im Deut­schen Wör­ter glei­cher Schrei­bung, aber unter­schied­li­cher Pho­ne­tik und damit Bedeu­tung (‚sie ras­ten’ – sie ras­ten’), aber auch Wör­ter, die bei glei­cher Aus­spra­che ein gan­zes Bün­del von Bedeu­tun­gen mit sich brin­gen. Ein klas­si­sches Bei­spiel ist der Name der Stadt selbst, in der das Pro­jekt statt­fin­det, Zug (der sich ja auch auf den Kan­ton bezie­hen lässt). Immer­hin 16 ver­schie­de­ne Bedeu­tun­gen zählt das Duden-Wör­ter­buch auf. Bei sol­chen Begrif­fen (erin­nert man sich an das Spiel „Tee­kes­sel“?) wie ‚Zug‘ oder „Hahn“, ist die Poly­se­mie oft auf bild­haft-meta­pho­ri­sche Sprech­wei­se zurück­zu­füh­ren: bei ‚Zug‘ ist das gemein­sa­me Moment das der Bewe­gung, des Zie­hens (auch der Fisch­zug, von dem die Stadt ihren Namen hat), und der (Wasser)hahn steht mit dem gleich­na­mi­gen Tier in form­asso­zia­ti­ver Bezie­hung und wur­de des­halb nach ihm bezeich­net. Übri­gens: Im Lehr­buch der Gebär­den­spra­che fin­det sich kein Bild­zei­chen für ‚Zug’. Wahr­schein­lich, weil das Wort so mehr­deu­tig ist.

Gar­den image, image garden

For an exhi­bi­ti­on of Ber­lin artists in Zug, it was a logi­cal step to work with images from a sign lan­guage dic­tion­a­ry published in 1985, also from (East) Ber­lin. I had shown depic­tions of count­ries’ names in public space in Moa­bit, Ber­lin and in the gal­lery Soy Capi­tán, in 2016.

Secret Gar­den offers an oppor­tu­ni­ty to reapp­rai­se the mate­ri­al and to crea­te con­nec­tions that con­front the (at times cryp­tic) repro­du­ced images of the sign lan­guage with the gar­den and the city today. Obser­ving their hair­styl­es, the style of pho­to­gra­phy and the images, the prot­ago­nists appear to come from a quite dif­fe­rent, far away, time, but they pro­du­ce a remar­kab­le pre­sence with their gazes and con­cen­tra­ted, emble­ma­tic, signing.

Bota­ni­cal con­cepts are visua­li­zed by demons­tra­ti­ons of form and size, but also of cul­tu­ral­ly deter­mi­ned actions per­for­med with and on plants, such as the act of eating (the apple), pre­pa­ra­ti­on (car­rots and salad) and of a playful use for other than that of food (cher­ries as earrings).

Alt­hough the ges­tu­res are clear, while loo­king through the book it was noti­ceable that some simi­lar or even iden­ti­cal signs would re-appear, going bey­ond the bota­ny to quite dif­fe­rent cate­go­ries. In a simi­lar way as the pro­ject Biblio­te­ca Bota­ni­ca, 2006, which fea­tured bota­ni­cal book titles and names of aut­hors such as ‘Klee,’ ‘Kie­fer’ and ‘Green’ (trans­la­tors note — the Ger­man bota­ni­cal terms match the artists’ names), here a search was made for equal­ly dis­pa­ra­te terms which for which ana­lo­gue links could be made. A ‘ber­ry’ and ‘Mal­ta’ are both small enti­ties; a ‘cab­ba­ge’ and the ‘world’ are round bodies repre­sen­ted by a cir­cu­lar move­ment, and the jewel­ry-like sign for ‘cher­ry’ rela­tes to the sign for ‘woman’; plant-like, ‘art’ unfolds from within. When an addi­tio­nal chan­nel is miss­ing, such as the move­ment of the lips here, the con­text in which an image is appli­ed is par­ti­cu­lar­ly decisi­ve for its mea­ning and legi­bi­li­ty. For exam­p­le, the sign fea­turing a rec­tang­le descri­bed with both hands can mean – among other things – ‘pic­tu­re’.

This ambi­gui­ty of the signs howe­ver is not a cha­rac­te­ristic exclu­si­ve to sign lan­guage. In Hebrew, if the­re are no vowels, the­re is a wealth pos­si­ble mea­nings for indi­vi­du­al words, sin­ce only con­so­nants are writ­ten, while in Chi­ne­se the same sequence of syll­ables, with dif­fe­rent pitch and empha­sis, can have a num­ber of com­ple­te­ly dif­fe­rent mea­nings. A clas­sic exam­p­le in Ger­man is this city its­elf, in which the pro­ject takes place, Zug. The Duden dic­tion­a­ry has 16 dif­fe­rent mea­nings (trans­la­tors note: the Duden dic­tion­a­ry is the offi­ci­al refe­rence for the Ger­man lan­guage). In words such as Zug (trans­la­tors note: both the name of the host city, and the word for train, among others) and Hahn, (trans­la­tors note: the Ger­man word for both roos­ter and tap) the poly­se­my is due to pic­to­ri­al-meta­pho­ric forms of speech. In Zug the com­mon moment is in the move­ment, in draught­ing (see also the Fisch­zug (‘fish-draught’) from which the lake­si­de town takes its name), and the (Wasser)hahn (‘tap’, or ‘water-roos­ter’), which has an asso­cia­ti­ve rela­ti­onship with the ani­mal of the same name, which is why it has been named after it. Inci­den­tal­ly, the­re is no sign for Zug in the text­book of sign lan­guage — pro­ba­b­ly becau­se the word is so ambiguous.

(published in Gar­ten­bil­der-Bil­der­gar­ten, 2017, trans­la­ti­on by Oli­ver Walker)


ani­ma­li­bri, Kunst­ver­ein Tier­gar­ten Ber­lin, 2012

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