13.1.25, Montag, Paris
Berlin-Mannheim. Seltsamer Traum, der so gar nichts mit der Situation im Zug zu tun hat: kauere mit anderen in einer Höhle, wir singen ein Lied mit schöner, vertrauter Melodie zur Gitarre „Und am Abend ziehen Gaukler durch den Wald …. Weht der Wind mild und leis ….“
Die Nacht ziemlich hart: Unruhe (Leute telefonieren, unterhalten sich) trotz der späten Stunde, dann die dauernden Halte und Durchsagen (Stendal, Hannover, Göttingen (3 Uhr!), Frankfurt, Mannheim), der Kampf mit den Sitzen und dem Kribbeln in den Beinen, das erst besser wird, als ich mich auf einem Vierersitz ausbreite, die Füße hochlegen kann; die Anspannung und der häufige Blick aufs Smartphone, ob der Anschluss in Mannheim gegen 7 Uhr erreicht wird… Wird er, doch stehe ich auf dem zugigen Bahnsteig. Jetzt geht es flotter, auf der TGV-Trasse kann der ICE seine Geschwindigkeit ausfahren.
Gegen 10 Uhr Ankunft. War lange nicht mehr hier, zuletzt vor gut 10 Jahren, 2013? Und schon wieder begeistert, als sich die glasgedeckten Streben über mir wölben: das ist ein Bahnhof! – nicht die ewigen Baustellen und Nachkriegskonstruktionen in Deutschland. Dagegen die Strenge des Systems öffentlicher Verkehrsmittel. Gar nicht so einfach, sich eine Fahrkarte für die Metro zu besorgen. Durch Gänge und Tunnels, wesentlich ausgedehnter als in Berlin.
Unterkunft Nähe Sully/Morland, im People Marais. Dort im 7. Stock, mit guter Aussicht auf die Umgebung und weit in die Stadt. Das Zimmer minimalistisch, mit Anklängen an die 60er Jahre, Le Corbusier etc, Decke Sichtbeton, Boden dunkler Estrich.
Treffe in einem Café am Place d’Étoile Christine Demias, die ich von “Calendar 2025” im einBuch.haus her kenne, wo sie den März gestaltet hat, und auf den Call mit einem weiteren geantwortet hat, zu einer Ausstellung, und die Einladung dazu als Beitrag abgedruckt. und die ein Über Buchprojekte, und über das ABC (Artist’s Books Cooperative), eine Gruppe von Leuten, die gemeinsam auf Messen etc. auftreten. Da könnte ich mich bewerben/beitreten. Über Galerien und Buchläden, sie empfiehlt Ivon Lambert.
E. kommt an. Gang am Seine-Ufer. Sehe bei den Buchständen einen Blake & Mortimer-Comic, den ich noch nicht habe, „Les 3 formules du Prof. Sato“, der letzte, den Jacobs noch selbst gezeichnet hat. Kaufe ihn. Fühlt sich gut an, ein Buch gleich nach der Ankunft erworben zu haben.
Nôtre Dame, vor kurzem wiedereröffnet. Auf dem Bauzaun Darstellung der verschiedenen Gewerke, die Reparatur des Dachstuhls, die Steinmetzarbeiten. Als wir hineingehen und ich das neue Gewölbe sehe, bin ich so bewegt, dass es mich selbst überrascht, habe Tränen in den Augen. Denke an die Feuerwehrleute, die beim Brand 2019 ums Leben gekommen sind, die Bilder von der Verwüstung, vom eingestürzten Gewölbe der Vierung. Und jetzt diese Leistung, etwas wieder heil zu machen – unabhängig vom Glauben. Dass eine Gesellschaft so etwas noch zu Stande bringt, in nur fünf Jahren.
Ins Centre Pompidou. Heute letzter Tag der Surrealisten-Ausstellung, zu voll. Aber die ständige Sammlung ist auch beeindruckend, und es gibt vieles, das ich nicht kenne bzw. mich nicht erinnern kann, dass ich es schon einmal gesehen hätte: Eine große Installation von Beuys, ein Raum mit Filzrollen an den Wänden, isoliert, Geräusche gedämpft, in der Mitte ein Flügel. Schiffe von Anselm Kiefer, als Objekte beeindruckend, die Kombination mit Schrift/Zitaten bzw. Daten der Weltgeschichte (Seeschlachten) lädt sie zu stark mit Bedeutung auf.
Aber auch bei der Malerei einiges zu entdecken: Bilder von Derain, 2 Boote, diagonal ins Bild gesetzt und angeschnitten; interessant-rätselhafte Titel, fast literarisch: “L’homme indifferent” von Georges Ribemont, erinnert an Musils “Mann ohne Eigenschaften”. Picabia — wusste nicht mehr, dass der auch sehr gut malen konnte. Georges Renault mit seinen dunklen, schwarz umrissenen Figuren. Duchamp nicht nur mit einer schwebenden Schneeschaufel, die so aufgehängt eine besondere Präsenz bekommt, an ein Flugzeug oder auch ein Fallbei erinnert, sondern auch mit einer schönen, filigranen aufwendigen Metall-Glas-Arbeit, er hat eben nicht nur Readymades gemacht. Klee, Malerische Plakat-Abreißarbeiten von Raymond Hains …
Gegen 9 schließt das Haus; zu den Schließfächern, die als Design-Glaskuben gestaltet sind und je nach Belegung rot oder grün leuchten; sind etwas wartungsintensiv, viele sind außer Betrieb, leuchten gar nicht; Überhaupt scheint es nicht einfach, so ein großes Haus, so eine große Maschine am Laufen zu halten.
Richtung Seine, Rue de Temple. Neugierig, was sich hinter “temple” verbirgt: eine evang. Kirche; Im Café Sully Imbiss.
14.1., Dienstag
Zum Louvre/Palais Royale, wo E. in der Nähe, am INHA in der Rue Colbert, das Seminar hat. Gang durch Innenhöfe. Installation von Daniel Buren mit Säulen in verschiedenen Höhen und mit Gängen auf zwei Ebene, erschließt sich mir nicht gleich. In der Biblioteque Nationale. Der legendäre ovale Lesesaal mit dem Glasdach — als für alle offener Saal eingerichtet, mit einem “Best of” in den Regalen, zu Kunst, Theater, Film — und einem einfassenden Kreis von Bandes Dessinées. Als Bücher/Medien, mit denen sich in Frankreich fast alle identifizieren können.
Der Saal Labrouste dagegen als spezialisierter Lesesaal für Kunsthistoriker. Hier hat u.a. Benjamin gearbeitet. Immerhin kann man als Besucher eintreten und sich die mit Pflanzen und Blättern ausgemalten Gewölbe ansehen.
Am späten Nachmittag, nach dem Seminar von E., ins Musée d’Orsay. Gute Interventionen von Elmgreen/Dragset, die realistische Figuren in die Skulpturen- und Bildersammlung des 19. Jahrhunderts eingeschleust haben. Ein Junge kniet auf dem Boden vor den “Die Römer der Dècadence” und zeichnet. Hoch oben steht einer anderer auf einem Sprungturm, ein weiterer auf der Galerie, mit einem Fotoapparat.
Van Goghs Kirche in Oise: diese Entschiedenheit, mit der die Umrisse gezogen sind; hat auch etwas mit Tapferkeit zu tun, sich nicht Unterkriegen lassen. Und dann leuchten die Fenster in Blau…
15.1. Mittwoch
Im Musée des Arts et Métiers. Von außen mit der gotischen Kirche als Bestandteil bereits vielversprechend. Zunächst Ausstellung über Carbonic Footprint bzw. Emprunte du Carbon. Gut gemacht, besser als in Rom, wo wir ja im Museo della Storia Naturale waren, etwa vergleichbar. Doch die historischen Säle schon beeindruckender, mit den Sextanten, Messinstrumenten, mit der Lavoisir-Maschine zur Zusammenführung von Wasserstoff und Sauerstoff, den Waagen …
Das Beste am Schluss : Das Foucaultsche Pendel in der Église St Martin.
Zu Laurence Dumaine Calle, gleich neben St Sulpice. “Sacred Distancing” liegt auf ihrem Tisch, der grüne Punkt auf ihrer Kaffeetasse passt gut zum Sticker auf dem Cover. Zeige ihr auch “Wer ist / Chi è … Albert”.
Dann zeigt sie mir ihre Sammlung bzw. die ihres Mannes, die sie weiterführt.
Da sind Inkunablen, von Hans Peter Feldmann, Boltanski, z.T. von Bob Calle herausgegeben, Gilbert u. George, Sol Lewitt, Pennone etc. Aber auch neueres, ein Buch von Susan Hiller mit Fotos von Straßenschildern, die auf die Präsenz von Juden in Deutschland verweisen, The J.Street Project. Das passt auch zum Denkmal-Projekt.
Zu Fuß nach St Germain, auf Empfehlung von Laurence dort in eine Buchhandlung, die auf Künstlerbücher spezialisiert ist, in der Rue de l’abbaye, Delpire & co. Zeige dort “Sacred Distancing” und “Länderkennzeichen” dem Inhaber, Théophile Calot; wir vereinbaren, dass ich Exemplare vorbeibringe/schicke.
16.1. Donnerstag
Rückfahrt nach Deutschland. Geht deutlich besser als die Hinfahrt, da tagsüber.
Treffe in der Mittelhalle im Haus der Kunst Victor Sternweiler, zusammen mit Beniamino Foschini, der an der Theaterakademie Ästhetik unterrichtet. Mit ihnen in die Ausstellung von Pussy Riot, im Keller-Untergeschoss. Sehr laut, bunt, intensiv. Gut! Hut ab vor dem Kampf gegen die Staatsmacht und Polizeigewalt.