13.–16.1. — Jour­nal, Paris

13.1.25, Mon­tag, Paris

Ber­lin-Mann­heim. Selt­sa­mer Traum, der so gar nichts mit der Situa­ti­on im Zug zu tun hat: kaue­re mit ande­ren in einer Höh­le, wir sin­gen ein Lied mit schö­ner, ver­trau­ter Melo­die zur Gitar­re  „Und am Abend zie­hen Gauk­ler durch den Wald …. Weht der Wind mild und leis ….“

Die Nacht ziem­lich hart: Unru­he (Leu­te tele­fo­nie­ren, unter­hal­ten sich) trotz der spä­ten Stun­de, dann die dau­ern­den Hal­te und Durch­sa­gen (Stend­al, Han­no­ver, Göt­tin­gen (3 Uhr!), Frank­furt, Mann­heim), der Kampf mit den Sit­zen und dem Krib­beln in den Bei­nen, das erst bes­ser wird, als ich mich auf einem Vie­rer­sitz aus­brei­te, die Füße hoch­le­gen kann; die Anspan­nung und der häu­fi­ge Blick aufs Smart­phone, ob der Anschluss in Mann­heim gegen 7 Uhr  erreicht wird… Wird er, doch ste­he ich auf dem zugi­gen Bahn­steig. Jetzt geht es flot­ter, auf der TGV-Tras­se kann der ICE sei­ne Geschwin­dig­keit ausfahren.

Gegen 10 Uhr Ankunft. War lan­ge nicht mehr hier, zuletzt vor gut 10 Jah­ren, 2013? Und schon wie­der begeis­tert, als sich die glas­ge­deck­ten Stre­ben über mir wöl­ben: das ist ein Bahn­hof! – nicht die ewi­gen Bau­stel­len und Nach­kriegs­kon­struk­tio­nen in Deutsch­land. Dage­gen die Stren­ge des Sys­tems öffent­li­cher Ver­kehrs­mit­tel. Gar nicht so ein­fach, sich eine Fahr­kar­te für die Metro zu besor­gen. Durch Gän­ge und Tun­nels, wesent­lich aus­ge­dehn­ter als in Berlin.

Unter­kunft Nähe Sully/Morland, im Peo­p­le Marais. Dort im 7. Stock, mit guter Aus­sicht auf die Umge­bung und weit in die Stadt. Das Zim­mer mini­ma­lis­tisch, mit Anklän­gen an die 60er Jah­re, Le Cor­bu­si­er etc, Decke Sicht­be­ton, Boden dunk­ler Estrich.

Tref­fe in einem Café am Place d’Étoile Chris­ti­ne Demi­as, die ich von “Calen­dar 2025” im ein​Buch​.haus her ken­ne, wo sie den März gestal­tet hat, und auf den Call mit einem wei­te­ren geant­wor­tet hat, zu einer Aus­stel­lung, und die Ein­la­dung dazu als Bei­trag abge­druckt. und die ein Über Buch­pro­jek­te, und über das ABC (Artist’s Books Coope­ra­ti­ve), eine Grup­pe von Leu­ten, die gemein­sam auf Mes­sen etc. auf­tre­ten. Da könn­te ich mich bewerben/beitreten. Über Gale­rien und Buch­lä­den, sie emp­fiehlt Ivon Lambert.

E. kommt an. Gang am Sei­ne-Ufer. Sehe bei den Buch­stän­den einen Bla­ke & Mor­ti­mer-Comic, den ich noch nicht habe, „Les 3 for­mu­les du Prof. Sato“, der letz­te, den Jacobs noch selbst gezeich­net hat. Kau­fe ihn. Fühlt sich gut an, ein Buch gleich nach der Ankunft erwor­ben zu haben.

Nôt­re Dame, vor kur­zem wie­der­eröff­net. Auf dem Bau­zaun Dar­stel­lung der ver­schie­de­nen Gewer­ke, die Repa­ra­tur des Dach­stuhls, die Stein­metz­ar­bei­ten. Als wir hin­ein­ge­hen und ich das neue Gewöl­be sehe, bin ich so bewegt, dass es mich selbst über­rascht, habe Trä­nen in den Augen. Den­ke an die Feu­er­wehr­leu­te, die beim Brand 2019 ums Leben gekom­men sind, die Bil­der von der Ver­wüs­tung, vom ein­ge­stürz­ten Gewöl­be der Vie­rung. Und jetzt die­se Leis­tung, etwas wie­der heil zu machen – unab­hän­gig vom Glau­ben. Dass eine Gesell­schaft so etwas noch zu Stan­de bringt, in nur fünf Jahren.

Ins Cent­re Pom­pi­dou. Heu­te letz­ter Tag der Sur­rea­lis­ten-Aus­stel­lung, zu voll. Aber die stän­di­ge Samm­lung ist auch beein­dru­ckend, und es gibt vie­les, das ich nicht ken­ne bzw. mich nicht erin­nern kann, dass ich es schon ein­mal gese­hen hät­te: Eine gro­ße Instal­la­ti­on von Beuys, ein Raum mit Filz­rol­len an den Wän­den, iso­liert, Geräu­sche gedämpft, in der Mit­te ein Flü­gel. Schif­fe von Anselm Kie­fer, als Objek­te beein­dru­ckend, die Kom­bi­na­ti­on mit Schrift/Zitaten bzw. Daten der Welt­ge­schich­te (See­schlach­ten) lädt sie zu stark mit Bedeu­tung auf.
Aber auch bei der Male­rei eini­ges zu ent­de­cken: Bil­der von Derain, 2 Boo­te, dia­go­nal ins Bild gesetzt und ange­schnit­ten; inter­es­sant-rät­sel­haf­te Titel, fast lite­ra­risch: “L’hom­me indif­fe­rent” von Geor­ges Rib­e­mont, erin­nert an Musils “Mann ohne Eigen­schaf­ten”. Pica­bia — wuss­te nicht mehr, dass der auch sehr gut malen konn­te. Geor­ges Renault mit sei­nen dunk­len, schwarz umris­se­nen Figu­ren. Duch­amp nicht nur mit einer schwe­ben­den Schnee­schau­fel, die so auf­ge­hängt eine beson­de­re Prä­senz bekommt, an ein Flug­zeug oder auch ein Fall­bei erin­nert, son­dern auch mit einer schö­nen, fili­gra­nen auf­wen­di­gen Metall-Glas-Arbeit, er hat eben nicht nur Rea­dy­ma­des gemacht. Klee, Male­ri­sche Pla­kat-Abreiß­ar­bei­ten von Ray­mond Hains …

Gegen 9 schließt das Haus; zu den Schließ­fä­chern, die als Design-Glas­ku­ben gestal­tet sind und je nach Bele­gung rot oder grün leuch­ten; sind etwas war­tungs­in­ten­siv, vie­le sind außer Betrieb, leuch­ten gar nicht; Über­haupt scheint es nicht ein­fach, so ein gro­ßes Haus, so eine gro­ße Maschi­ne am Lau­fen zu hal­ten.

Rich­tung Sei­ne, Rue de Temp­le. Neu­gie­rig, was sich hin­ter “temp­le” ver­birgt: eine evang. Kir­che; Im Café Sul­ly Imbiss.

14.1., Diens­tag

Zum Louvre/Palais Roya­le, wo E. in der Nähe, am INHA in der Rue Col­bert, das Semi­nar hat. Gang durch Innen­hö­fe. Instal­la­ti­on von Dani­el Buren mit Säu­len in ver­schie­de­nen Höhen und mit Gän­gen auf zwei Ebe­ne, erschließt sich mir nicht gleich. In der Biblio­te­que Natio­na­le. Der legen­dä­re ova­le Lese­saal mit dem Glas­dach — als für alle offe­ner Saal ein­ge­rich­tet, mit einem “Best of” in den Rega­len, zu Kunst, Thea­ter, Film — und einem ein­fas­sen­den Kreis von Ban­des Des­si­nées. Als Bücher/Medien, mit denen sich in Frank­reich fast alle iden­ti­fi­zie­ren kön­nen.
Der Saal Lab­rous­te dage­gen als spe­zia­li­sier­ter Lese­saal für Kunst­his­to­ri­ker. Hier hat u.a. Ben­ja­min gear­bei­tet. Immer­hin kann man als Besu­cher ein­tre­ten und sich die mit Pflan­zen und Blät­tern aus­ge­mal­ten Gewöl­be ansehen. 

Am spä­ten Nach­mit­tag, nach dem Semi­nar von E., ins Musée d’Or­say. Gute Inter­ven­tio­nen von Elmgreen/Dragset, die rea­lis­ti­sche Figu­ren in die Skulp­tu­ren- und Bil­der­samm­lung des 19. Jahr­hun­derts ein­ge­schleust haben. Ein Jun­ge kniet auf dem Boden vor den “Die Römer der Dèca­dence” und zeich­net. Hoch oben steht einer ande­rer auf einem Sprung­turm, ein wei­te­rer auf der Gale­rie, mit einem Foto­ap­pa­rat.
Van Goghs Kir­che in Oise: die­se Ent­schie­den­heit, mit der die Umris­se gezo­gen sind; hat auch etwas mit Tap­fer­keit zu tun, sich nicht Unter­krie­gen las­sen. Und dann leuch­ten die Fens­ter in Blau…

15.1. Mitt­woch

Im Musée des Arts et Métiers. Von außen mit der goti­schen Kir­che als Bestand­teil bereits viel­ver­spre­chend. Zunächst Aus­stel­lung über Car­bo­nic Foot­print bzw. Emprun­te du Car­bon. Gut gemacht, bes­ser als in Rom, wo wir ja im Museo del­la Sto­ria Natu­ra­le waren, etwa ver­gleich­bar. Doch die his­to­ri­schen Säle schon beein­dru­cken­der, mit den Sex­tan­ten, Mess­in­stru­men­ten, mit der Lavoi­sir-Maschi­ne zur Zusam­men­füh­rung von Was­ser­stoff und Sau­er­stoff, den Waagen …

Das Bes­te am Schluss : Das Fou­cault­sche Pen­del in der Égli­se St Martin.

Zu Lau­rence Dumaine Cal­le, gleich neben St Sulpi­ce. “Sacred Distancing” liegt auf ihrem Tisch, der grü­ne Punkt auf ihrer Kaf­fee­tas­se passt gut zum Sti­cker auf dem Cover. Zei­ge ihr auch “Wer ist / Chi è … Albert”.
Dann zeigt sie mir ihre Samm­lung bzw. die ihres Man­nes, die sie weiterführt. 

Da sind Inku­n­ablen, von Hans Peter Feld­mann, Bol­tan­ski, z.T. von Bob Cal­le her­aus­ge­ge­ben, Gil­bert u. Geor­ge, Sol Lewitt, Pen­no­ne etc. Aber auch neue­res, ein Buch von Sus­an Hil­ler mit Fotos von Stra­ßen­schil­dern, die auf die Prä­senz von Juden in Deutsch­land ver­wei­sen, The J.Street Pro­ject. Das passt auch zum Denkmal-Projekt. 

Zu Fuß nach St Ger­main, auf Emp­feh­lung von Lau­rence dort in eine Buch­hand­lung, die auf Künst­ler­bü­cher spe­zia­li­siert ist, in der Rue de l’ab­baye, Del­pi­re & co. Zei­ge dort “Sacred Distancing” und “Län­der­kenn­zei­chen” dem Inha­ber, Thé­o­phi­le Calot; wir ver­ein­ba­ren, dass ich Exem­pla­re vorbeibringe/schicke.

16.1. Don­ners­tag

Rück­fahrt nach Deutsch­land. Geht deut­lich bes­ser als die Hin­fahrt, da tagsüber. 

Tref­fe in der Mit­tel­hal­le im Haus der Kunst Vic­tor Stern­wei­ler, zusam­men mit Benia­mi­no Foschi­ni, der an der Thea­ter­aka­de­mie Ästhe­tik unter­rich­tet. Mit ihnen in die Aus­stel­lung von Pus­sy Riot, im Kel­ler-Unter­ge­schoss. Sehr laut, bunt, inten­siv. Gut! Hut ab vor dem Kampf gegen die Staats­macht und Polizeigewalt.

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