Es ist schon ein paar Wochen her, aber es beschäftigt mich immer noch: Paul Auster ist am 30.4. 24 gestorben.
Auster hat mich lange begleitet, zeitweise war ich süchtig nach seinen Texten.
Greife ins Regal, wo eine ganze Reihe seiner Bücher stehen, lese noch einmal Texte von ihm, entdecke Aktuelles: in „Talking to Strangers“ hatte er über Salman Rushdie geschrieben – und die tägliche Hoffnung, er möchte die nächsten 24 Stunden überleben. Der Text ist von 1993 und an den Rand notiert hatte ich „2023“ – als Rushdie drei Jahrzehnte später tatsächlich Opfer eines Angriffs wurde; sein Buch „Knives“ über das Attentat liegt gerade im Schlafzimmer.
In “The Brooklyn Follies” entdecke ich eine Widmung meines inzwischen ebenfalls verstorbenen Vaters von 2005 — ich hatte das Buch mir ausdrücklich gewünscht.
Begonnen hatte die Auster-Begeisterung für mich, wie für viele, mit der „New York Trilogy“, mit „City of Glass“, vor fast 20 Jahren. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich auf ihn kam, vermutlich nach meinem Aufenthalt in New York 2004; das rote Reclambändchen aus der Reihe der Fremdsprachentexte ist von 2005, ebenso der Rest der New York Trilogy in einem Penguin-Band (ich glaube, von der Munich Readery, Augustenstr./Ecke Schelling), vom November, dann „Moon Palace“ vom Dezember. Interessant, wieviel englische Wörter ich damals noch nicht wusste und unterringelte — die für mich jetzt selbstverständlich sind.
Was mich an Auster faszinierte (und dies weiterhin tut): Er erzählt Geschichten, die sich zur Identifikation anboten, in denen ich mich wiederfinden konnte.
Der junge Mann etwa, der sich immer weiter einschränkt, auf Telefon, Heizung, am Ende auch Wohnung verzichtet, Nächte im Central Park zubringt.
Es sind immer wieder Sätze, die zu meiner Situation passten, z.B. „I lived in that apartment with over a thousand books“, diesen Satz hatte ich mir in „Moon Palace“ gleich auf Seite eins unterstrichen.
Häufig beschreibt er Szenen, die aus Arbeiten der Konzeptkunst, aus Kunstinstallationen stammen könnten; etwa die Zweckentfremdung von gefüllten Bücherkisten als „imaginary furniture“, als Möbel, als Bettstatt, Tisch, Stuhl etc. Das war schon nahe dran an den Buchinstallationen, die ich in den Jahren ab 2004 entwickelte. Und dann die Verbindung Bücher und Person, als der Erzähler Stück für Stück seine Bücher verkauft, seine Wohnung sich leert: „Piece by piece, I could watch myself disappear“.
Die imaginären Archive, etwa die unterirdische Sammlung von Telephonbüchern von Städten weltweit in „Oracle Night“ – die dann ähnlich, aber historisch-konkret bei Karl Schlögel „Im Raume lesen wir die Zeit“ auftauchen.
Oder den Stadtwanderer, der in „City of Glass“ virtuelle Spuren durch Ablaufen von Straßenzügen hinterlässt, die sich dann, bei Blick von oben auf einen Stadtplan, als Buchstaben, als performativ erzeugte Mitteilungen lesen lassen – das könnte man sich gut als tatsächliches Konzept einer Performance vorstellen.
Das faszinierende Thema Selbstreferenz: Sich selbst beim Schreiben zuzusehen. Die Ebenen verschachteln. Mit der eigenen Identität und der Fiktion spielen: „My name is Paul Auster. This is not my real name” (City of Glass). Der Verfasser von Detektivromanen, der selbst in eine Detektivgeschichte verwickelt und mit dem Namen des Autors angesprochen wird – wobei die Frage im Hintergrund steht: Wer ist der Autor? Als Höhepunkt der Besuch des Erzählers beim Autor Paul Auster zu Hause. Erinnert an Italo Calvino „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“.
Das gefiel mir damals, das gefällt mir immer noch, auch wenn die Verfahren inzwischen bekannt sind. Dieses Spiel mit Namen, diese Selbstreferenz, das taucht ja auch in der Rechereche und den Installationen „Wer ist Albert?“ auf.
Beginne “Moon Palace” noch einmal zu lesen, dann “City of Glass” …