Zum 60-jährigen Bestehen des von Gerhard Theewen gegründeten Salon Verlags erschien ein Band, zu dem ich einen Beitrag geschrieben habe (Eric Otto Frihd (Hg.): Produktion/Reproduktion. Ein Buch für Gerhard Theewen zum 60. und zum 20-jährigen Bestehen seines Salon Verlags, Köln: Walther König 2015, S. 197–205).
Darin geht es vor allem um die Buchreihe der Edition Ex Libris, damit verbunden sind die Themen Besitz und Aneignung, Autorschaft, die Tätigkeit des Künstlers als Verleger und die Frage, was ein Künstlerbuch ausmacht. Dass die Bücher und Editionen des Salon Verlags, darunter auch die Ex Libris-Reihe, seit Sommer 2023 auch über die Zweigstelle Berlin erhältlich sind, war ein Anlass, den Text jetzt hier online zugänglich zu machen.
Das Buch des Künstlers als Künstlerbuch
Bei einem Besuch in einer fremden Wohnung gilt das Interesse oft den Bücherregalen, um Aufschluss über den Bewohner zu bekommen. Man meint beim Blick in die Bibliothek – wie auch in Küche und Kühlschrank – seinen Stoffwechsel abzulesen und eine Verbindung zwischen den einverleibten Büchern und ihrem Besitzer herstellen zu können.
Der von Gerhard Theewen für die Edition Ex Libris eingeladene Künstler wählt ein für seine Arbeit, sein Kunstverständnis bedeutendes Buch aus, das er unter seinem Namen als Reprint präsentiert. So wird das ›Buch aus der Bibliothek des Künstlers‹ […] zu ›seinem‹ Buch. Damit sind Besitz und Autorschaft verknüpft; das Verfahren, ein Buch aus der Bibliothek eines Künstlers zum Künstlerbuch zu erklären (und wiederaufzulegen), bedeutet eine Neudefinition des Begriffs ›Künstlerbuch‹, das ja herkömmlich ›ein von einem Künstler gemachtes‹ Buch ist. „Es gibt keine Kunst – es ist im Wesentlichen eine Wahl.“[1] wie Duchamp pointiert, und über die Gestaltung von Ex Libris und Einband hinaus ist die Auswahl, die Entscheidung für ein bestimmtes Buch selbst der eigentlich kreative Akt.
Mit dieser Auswahl ist die Neugier auf einen intimen Blick in die Bibliothek des Künstlers und damit in den Vorgang von Rezeption und Produktion geweckt. Dem verspricht die Edition Ex Libris entgegenzukommen und Quellenwerke für das Verständnis der Arbeit zeitgenössischer Künstler zugänglich zu machen. Diese Darstellung des Rezeptions- und damit des Werkprozesses wurde auch von Künstlerseite unternommen, verstärkt sichtbar in den letzten Jahren. Deutlich wird dies nicht nur in der Edition Ex Libris, sondern auch im Atlas Gerhard Richters, der Bildarchiv und Vorlagen publiziert, in Katalogen mit vergleichbarem Ansatz von Daniel Richter, Rachel Whiteread oder Luc Tuymans. Thomas Demand macht den Werkprozess der Arbeit Grotte zum Gegenstand eines Künstlerbuches mit dem anspielungsreichen Titel Processo Grottesco[2], Hermann Pitz katalogisiert seine Bücher ebenso wie seine Werkzeuge und parallelisiert so beides.[3] Künstler steuern somit die Rezeption ihrer Werke, stellen Verbindungen her, die vielleicht so bisher gar nicht vermutet wurden, legen Fährten. Sie erweitern das eigentliche Werk um das, was zu seiner Entstehung geführt hat, und das selbst Werkcharakter bekommt.
Mit dem Blick in die Künstlerbibliotheken rücken auch in den Vordergrund Figur und Kunstverständnis des Verlegers, der ja überhaupt erst Künstler einlädt, diesen Einblick zu ermöglichen und sich an der Reihe zu beteiligen. Die Bücher der Künstler sind somit ebenso die des Verlegers; sein Einfluss reicht auch in die Auswahl selbst, wenn ein Vorschlag diskutiert und durch eine Alternative ersetzt wird. Durch dieses diskursive Verfahren ist eine unilaterale Autorschaft abermals ausgehöhlt, die ja bereits durch Wiederauflage eines ›fremden‹, in der Regel nicht mit dem Künstler identischen Autors in Frage gestellt ist. Der Verlagsname »Salon« ist Programm: ein Ort der Austausches, ohne übergeordnete Autorität oder enge Vorgaben. Bereits in den 1970er Jahren lud Theewen für das Magazin Salon Mitstudenten, lokale, aber auch internationale Künstler ein. Dies stellte sich für ihn als der Weg heraus, an künstlerischer Produktion beteiligt zu sein, ohne unmittelbar etwas zu produzieren. Er selbst nahm zunächst auch künstlerisch teil am damals besonders virulenten Diskurs um Autorschaft in Fotoserien aus bereits existierenden Fotografien, die er mit Freude am Oxymoron als »Originalreproduktion« bezeichnete.[4]
Diese Art der reproduzierenden Aneignung von Bestehendem ist auch der Modus der Edition Ex Libris. Der Nachdruck, die Wiederauflage von älteren, vergriffenen Büchern ist dabei das häufigste Verfahren. Es haben auch noch lieferbare Bücher Verwendung gefunden; deren Übernahme wurde, einfach und raffiniert zugleich, per neu gestaltetem Schutzumschlag signalisiert, so etwa bei den Büchern von Peter Piller, Wolfgang Tillmans und Norbert Schwontkowski. Diese sind aber in der Minderheit gegenüber den komplett neu reproduzierten vergriffenen. Damit wird das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden: Die Wiederauflage eines älteren, entlegenen Werks vereinfacht die Frage nach den Rechten für den Produzenten, kommt aber auch der Neugier des Lesers entgegen nach dem Einblick in den Raritätenschrank, den imaginierten Dachboden oder Keller, das verstaubte Bücherregal des Künstlers. Beim editorischen Konzept des Salon Verlags mag man an Reihen im belletristischen Bereich denken, etwa an Die andere Bibliothek, 1984 bis 2004 von Hans Magnus Enzensberger herausgegeben. Wenn auch ganz unterschiedlich, so verbindet das Bedürfnis nach einer Erweiterung der bisherigen Publikationspraxis Enzensberger und Theewen, der bisherige Editionsprojekte, vor allem in formaler Hinsicht, als zu eng begrenzt empfand.
Und so ist es kein Zufall, dass den ersten Band in der Reihe des Salon Verlags ein Barocktraktat über Raritäten- und Wunderkammern bildet, ausgewählt von Mark Dion. Wie es der Wunderkammer entspricht, die ihren Reiz nicht nur aus dem einzelnen Objekt, sondern auch aus dem Kontrast und dem assoziationsförderndem Neben- und Durcheinander bezieht, ist in der Edition Ex Libris ganz Verschiedenes versammelt, schon im Hinblick auf Format, Einbandart, Farben, Papier, Typografie. Bei der Gestaltung der Einbände gibt es gegenüber dem „Original” unterschiedliche Grade der Mimesis, der von der Abwandlung eines Modells (Weiner) über die Nachempfindung von Typografie und Illustrationsstil (Dion) bis zur unveränderten Übernahme reicht. Der äußeren Mannigfaltigkeit entspricht die inhaltliche: Die Bücher stammen aus verschiedensten Sparten, Wissensgebieten und Zeiten. Der Reiz der Reihe erschöpft sich nicht in der bloßen Diversität der Gegenstände, sondern liegt, wieder nach dem Prinzip der Wunderkammer, in der Vielfalt ihres Beziehungsgeflechts, im Jonglieren mit dem, was der Rezipient von den Künstlern weiß oder woran er sich zu erinnern glaubt; etwa im Fall des Buches über Stadtfotografie von Thomas Struth, dessen frühe Architekturfotografien man vielleicht gesehen hat, dessen Präsenz in der Bilderwelt aber inzwischen von ganz anderen Sujets geprägt ist. Man sucht nach der Bedeutung von Hans von Marées’ Lebensbeschreibung für Günther Förg oder glaubt tatsächlich auf Bildvorlagen für künstlerische Arbeiten zu stoßen, etwa in Thomas Ruffs astronomischem Atlas.
Wie stellt sich die Beziehung von Künstler und Buch im Einzelnen dar – lassen sich bestimmte Muster oder Strategien erkennen? Ein Modus ist der Biografische: So wählt Thomas Huber eine Dokumentation seines Vaters, eines Architekten, über das Haus seiner Familie aus. Diese Schrift geht über rein persönliche Bedeutung hinaus, handelt es doch um ein Beispiel für das Neue Bauen Ende der 1920er Jahre und damit um ein Stück Architekturgeschichte. Huber bettet das Buch durch ein Vorwort in einen Kontext ein, ein Verfahren, das sich auch in seiner künstlerischen Arbeit findet, in der Texte eine große Rolle spielen, als Vorträge in Kombination mit Bildern.
Einen Gegensatz bildet das Buch von Lawrence Weiner, obwohl sich auch hier biografisch argumentieren lässt: Der Veteran der textbasierten Konzeptkunst wählt eigene vergriffene Künstlerbücher als Vorlage aus. Was zunächst als Ausweichen vor der Themenstellung, bestenfalls als sehr selbstbezogen erscheint, erweist sich bei näherer Überlegung als mit dem Werk Weiners kohärent: Das Künstlerbuch als der Reprint eines Künstlerbuches ist eine Tautologie, eine Form, die Weiner auch in zahlreichen Textarbeiten verwendet, die auf dem Prinzip der Übereinstimmung von Titel und Inhalt, von visueller Erscheinung eines Textes und Textinhalt beruht. Die Vorgabe, »ein für seine Arbeit bedeutendes Buch« auszuwählen, hat Weiner ganz wörtlich aufgefasst.
Thomas Demandhat Scheinprobleme in der Philosophie von Rudolf Carnap (1928) ausgewählt, eine konzentrierte und spröde Abhandlung. Das Ex Libris, das in vielen anderen Fällen die Verbindung Künstler – Buch deutlich macht, scheint kryptisch. Es besteht aus einem Kartonstück, pfeilartig zugeschnitten. Die Funktion erhellt sich im Kontext: Im Vorsatz findet sich ein Bild aus Demands Fotoserie Klause (2006), das auf einer Fensterbank eine vertrocknete Yuccapalme zeigt. Im Topf steckt eine Pflanzenpflegekarte, die genauso aussieht wie das Ex Libris. Ein Bestandteil des fotografierten Objektes scheint aus dem Bild heraus- und greifbar in die Welt des Betrachters eingetreten zu sein. Realitätsebenen überschneiden sich – was sich thematisch zum Buchinhalt fügt. Am Ende ist das Foto noch einmal abgebildet, nun entleert von der Pflanze. Das Verschwinden stellt wieder einen Bezug zu Carnaps Text her, in dem dieser zeigen will, dass es sich bei der Frage nach körperlicher Realität oder Fiktionalität des Wahrgenommenen um ein Scheinproblem handelt. Gleichzeitig steht das Thema der An- und Abwesenheit im Kontext der Fotoserie, aus der das Einzelbild stammt: ein Fall von Kindsmissbrauch, bei dem trotz langer Recherchen Fragen offen blieben, auch die nach dem Verbleib eines der Opfer. Der Pappeinband des Buches besteht aus ähnlichem Material wie Demand es für seine Skulpturen verwendet, und wie diese ist er (bis auf die dezente Rückenprägung) frei von Informationen wie Titel oder Verlagsname. Man könnte das Buch von außen durchaus für eine illusionistische Papp-Attrappe halten.
Während dieser Pappband den strengen Geist der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre glaubwürdig zu verkörpern scheint, hat man beim Umschlag der von Hans-Peter Feldmann präsentierten Zeitschrift Das Kunstwerk von 1953 vielleicht zunächst Zweifel, ob es sich um ein ›Original‹ handelt: Die leuchtend bunten Farbflächen mit dem krakeligen, primitivistisch-holzschnittartigen Schriftzug »abstrakte Kunst« sehen wie eine Parodie aus, erinnern an die Kombination von Versatzstücken ›moderner‹ Kunst etwa eines Sigmar Polke. Doch ist das Cover bis auf die diskrete Aktualisierung des Verlagslogos getreu reproduziert. Das entspricht der Arbeitsweise Feldmanns, die gerade nicht in Veränderung, sondern in trockener Wiedergabe des Vorhandenen besteht. Ist die Zeitschrift als biografisch wichtiges Dokument für Feldmanns eigene, gar erste Begegnung mit der damals zeitgenössischen Kunst zu lesen oder als interessantes Dokument der Zeit, in der über gegenstandslose Kunst mit heute kaum verständlichem Eifer debattiert wurde, oder als realsatirische Abrechnung mit dem pathosgeladenen Geist der 1950er Jahre? Der Künstler enthält sich eines Kommentars. Man könnte sich die Abbildungen aber gut in einer Serie Feldmanns vorstellen, so etwa den Pfeife rauchenden, kritisch sein Bild beäugenden Maler (S. 52) oder Motive und Slogans aus dem zeittypischen Anzeigenteil. Man beginnt unwillkürlich, sein eigenes Feldmann-Album zusammenzustellen.
Peter Piller ist einer der wenigen Künstler der Edition Ex Libris, die einen kanonischen Schriftsteller auswählen: Gottfried Benn. Aber auch hier wurde nicht Bekanntes wie die Lyrik des Autors ausgesucht, sondern das Entlegene: eine Rede über »Altern als Problem für Künstler«. Pillers Ex Libris, ein Farbfoto einer jungen, aus einer dürren Wurzel sprießenden Pflanze, lässt sich bildassoziativ als Gegensatz zum Thema des Alterns lesen. Anhand ihrer zarten Blätter kann man sie als Mimose identifizieren, die besonderes sensibel auf Berührungen reagiert und damit auch emblematisch für den Künstler stehen kann, sowohl für Piller als auch für Benn, was einen Widerspruch aufbaut zum vorherrschenden Bild Benns als robustem, kalt sezierenden Künstler. Das Bild stammt nicht aus dem Archiv von Zeitungsfotos, für das Piller in erster Linie bekannt ist. Wurde dem Künstler das Altern etwa umso stärker bewusst, je mehr er sich mit dem chronologisch fortgesetzten, ephemeren Medium der Tageszeitung auseinandersetzte? Hier wird, ähnlich wie bei Feldmann, eine offene, trotz des ›schweren‹ Themas auch unterhaltsame Möglichkeit der Verknüpfung von ausgewähltem Buch und Werk geboten.
Die Bücher der Edition Ex Libris sind nicht zuletzt deshalb interessant, weil aus dem Fundus der Künstler das ausgewählt wurde, was auf den ersten Blick nicht offensichtlich-repräsentativ sein mag, aber zu einer näheren Beschäftigung mit ihrem Werk und zu assoziativem Weiterdenken einlädt. Ohne einen prätentiösen Hintergrund aufzubauen, aber auch ohne beliebig zu sein, sind die appropriierten Bücher in ein Beziehungsgeflecht eingebunden und behalten gleichzeitig ihre Autonomie. Die Neugier nach einem Einblick in die Bibliothek des Künstlers und seinen Schaffensprozess wird teils befriedigt, teils angestachelt, ohne dass man unbedingt erschöpfende Erklärungen bekäme.
Nachbemerkung: Der Text geht zurück auf den Beitrag Das Buch des Künstlers als Künstlerbuch in: Annette Gilbert (Hg.): Wiederaufgelegt. Zur Appropriation von Texten und Büchern in Büchern. Bielefeld: transcript 2012, S. 373–389. Dort werden die Idee der Künstlerbibliothek und vergleichbare Editionskonzepte ausführlicher besprochen.
[1] Zit. nach: Marcel Duchamp, Katalog Museum Jean Tinguely, Basel 2002, S. 37.
[2] Thomas Demand / Germano Celant (Hgg.): Processo Grottesco. Yellowcake, Mailand: Fondazione Prada 2007.
[3] Hermann Pitz: Libros y obras/Bücher und Werke, Valencia: Instituto Valenciano de Arte Moderno 1994, Licht aus Bozen, Werkzeug aus Düsseldorf, Lindenberg: Fink 2003.
[4] Theewen publizierte Anfang der 1980er Jahre u. a. zwei Künstlerbücher mit reproduzierten Fotografien, darunter Die komplette Pin-Up-Sammlung, München: Verlag Hubert Kretschmer 1980.