Hier ein Text zu meinem Verhältnis zu Kunst- bzw. Künstlervereinen, den ich anläßlich der Ausstellung “200 Jahre Sehnsucht — 200 Jahre Kunstverein Bamberg ” und der dazugehörigen Publikation geschrieben habe.
Verein. Das Wort weckt gemischte Gefühle. Man denkt an Sitzungen, Protokolle, Mitgliederversammlungen, Anwesenheitslisten, Unterschriften, Tagesordnungspunkte, Rechenschafts- und Kassenberichte, Entlastungen, Vorstandswahlen, Satzungen, Anträge, Abstimmungen. Also den ganzen Wust administrativer, bürokratischer Prozesse. Bilder tauchen auf von spärlich gefüllten Stuhlreihen, Wassergläsern auf einem Resopaltisch, Exceltabellen. Lässt sich ein größerer Gegensatz zum Begriff „Kunst“ denken?
Kunst-Verein? Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Ist Kunst für uns heute nicht das Individuelle, Freie, das sich außerhalb von Normierungen und Vorgaben bewegt?
Das 200-jährige Jubiläum des Kunstvereins Bamberg ist Anlass, über Kunstvereine und die Beziehungen zu ihnen zu reflektieren. Ich wähle dafür meinen persönlichen Blickwinkel als Künstler, der aber, so denke ich, auch etwas Allgemeines hat und sich übertragen lässt.
Lange habe ich mich eben vor den beschriebenen Erfahrungen und Tätigkeiten gescheut, Vereine vermieden. Und doch bin ich zur Zeit (2023) Mitglied in, ich habe nachgezählt, immerhin einem Dutzend Vereinigungen, davon zehn eingetragenen Vereinen.
Von diesem Dutzend haben neun etwas mit Kunst zu tun. Organisationsform, Grad der Institutionalisierung, lokale, räumliche Verankerung und Selbstverständnis sind dabei sehr unterschiedlich: Da sind zum einen Kunstvereine im engeren Sinn, die auch Ausstellungsräume dauerhaft zur Verfügung haben – wobei die traditionell gefärbte Bezeichnung „Kunstverein“ nur in einem Fall auftaucht: Der Kunstverein Tiergarten, der Kunstraum München. Auch frontviews in Berlin würde ich dazuzählen, einen Verein, der sich selbst als „Plattform“ beschreibt.
Dann stehen auf meiner Liste Künstlervereinigungen, wie der Berufsverband Bildender Künstler, der Künstlerverbund im Haus der Kunst, der Deutsche Künstlerbund. Dazu kommen Gruppen, die keine Vereine sind, wie ep.contemporary, die eine Produzentengalerie in Berlin betreiben, oder Rhythm Section, eine offene Gruppe, die an wechselnden Orten Ausstellungen veranstaltet.
Wie also kommt es, dass ich trotz Abneigung gegen administrative Prozesse, gegen kollektive Zwänge und Vorgaben, trotz eines ausgeprägten Individualismus doch Mitglied in zahlreichen Vereinen und Gruppen bin, ja sogar zeitweise Vorstand?
Allgemeiner könnte man fragen: Wie kommt es, dass es so viele Kunstvereine gibt, daneben unzählige Künstlerverbände, Gruppen, Initiativen? Und dass sie so lange existieren, jahrhundertelang, wie im Fall des Kunstvereins Bamberg? Dass sich so viele Menschen engagieren, häufig ehrenamtlich, Zeit, Nerven, auch Geld investieren, Ressourcen, die dann doch irgendwo anders fehlen müssen?
Das hängt damit zusammen, dass man im „Ver-ein“, gemeinsam, mit gebündelten Kräften, als Zusammenschluss mehr erreicht denn als Einzelperson. Dass man eher gehört wird, anders auftreten kann – bis hin zu rechtlich-politischen Rahmenbedingungen, welche die Vereinsform begünstigen, die Bewilligung von Fördergeldern erleichtern …
Dazu kommen auf einer sozialen, menschlichen Ebene, Wünsche, Bedürfnisse, um den Begriff der Jubiläumsausstellung des Kunstvereins Bamberg zu verwenden, „Sehnsüchte“: nach Kontakt, Austausch, Freundschaften mit Menschen, die ähnliche Interessen haben, nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe, nach Teilhabe, danach, etwas zu sehen, zu hören, ästhetische Erfahrungen zu machen und sich darüber zu unterhalten.
Auch danach, Kunst zu besitzen, was in kollektiven Formen leichterfällt: Als in vielen Kunstvereinen übliche Jahresgabe, die Mitglieder mit ihrem Beitrag oder zu günstigen Konditionen bekommen, als reproduzierte Grafik oder Multiple. Das Prinzip der Serie, der Auflage vereinfacht Produktion und Distribution. Jeder bekommt ein Exemplar, aber alle dasselbe Motiv. Auch Jahresgaben vereinen. Ähnlich der gemeinschaftliche Erwerb von Kunst, wodurch eine Sammlung entsteht (wie in Bamberg), die nicht nur einem, sondern allen gehört.
Das ist die eine, eher rezeptive Seite. Die andere besteht darin, etwas zu unterstützen, zu fördern, durch seinen finanziellen oder zeitlichen Beitrag. Teilzunehmen, in unterschiedlichen Graden der Aktivität. Etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen, sichtbar zu machen. Gerade für Künstlerinnen und Künstler sind Vereine und Vereinigungen wichtige Plattformen und Netzwerke.
Hierzu persönlich gefärbte Beispiele: Als ich 2009 in Berlin-Moabit ankam, kannte ich dort niemand. Es war kalt, die Straßenzüge dominiert von Dönerläden und Billigshops; bereits am frühen Vormittag standen Gestalten mit der Bierflasche auf der Straße und machten offensichtlich – nichts. Was sollte ich da?
Da entdeckte ich um die Ecke – erleuchtete Scheiben, eine Kunstausstellung. Die Galerie Nord des Kunstverein Tiergarten – der in der Folge eine Anlaufstelle und mehr, ja eine Art Heimat für mich wurde. Dort traf ich Leute meiner Wellenlänge, konnte mich austauschen; sah Arbeiten und Bücher anderer Künstlerinnen und Künstler, die ich dann auch in ihren Ateliers und Wohnungen besuchte; öffnete auch meine Wohnung als temporären Ausstellungsraum. Wurde schließlich Mitglied, um den Verein nachhaltiger zu unterstützen. Und durfte wiederholt in der Galerie ausstellen, auch eine Jahresgabe beisteuern.
Anders war es beim Künstlerverbund im Haus der Kunst: Ich kannte Stadt und Kunstszene Münchens bereits, als ich im Anschluss an eine Gruppenausstellung (2. Biennale im Haus der Kunst, 2015) gefragt wurde, ob ich mir eine Mitarbeit vorstellen könne. Zunächst widerstrebte mir das, dann aber lernte ich die Mitglieder kennen, bekam Einblick in die spannende, lange Geschichte des Vereins – und auch die Möglichkeiten, im Haus der Kunst, einer renommierten Institution auszustellen und Ausstellungen mit zu kuratieren. Bis ich mich versah, war ich 1. Vorsitzender ‑ und eifrig mit allen anfangs genannten administrativen Tätigkeiten beschäftigt. Im Gegenzug konnte ich, konnten wir von dieser Plattform aus agieren, Ausstellungen umsetzen, Bücher herausgeben, ein Symposium veranstalten – und als Teil einer eingeführten Institution Gelder einwerben und so ausgeben, dass die Arbeit der Beteiligten auch honoriert wurde – neben einem großen ehrenamtlichen Anteil auch die eigene.
Dabei lernte ich auch die Besonderheit von Künstlervereinen kennen: Im Gegensatz zu Kunstvereinen geht es weniger um die Rezeption von Kunst oder den sozialen Aspekt, die Geselligkeit, sondern um die Vertretung von gemeinsamen Interessen, die auch individuelle sein können, um Selbstbehauptung, Sichtbarkeit, oft auch den Erhalt von Räumen. Zentrales Format ist die Ausstellung. Und es gibt, Thema „Sichtbarkeit“, den Wunsch der Mitglieder, bei Ausstellungen berücksichtigt zu werden; häufig ist das die Motivation für einen Beitritt. Doch nicht alle können immer ausstellen, daher braucht es oft mühsame Prozesse des Aushandelns, der Auswahl.
Dagegen haben manche Kunstvereine die – meist ungeschriebene – Policy, dass Mitglieder nicht ausstellen dürfen. Dies ist etwa der Fall im Kunstverein Augsburg. So ist sichergestellt, dass es immer neue Positionen von außerhalb des Vereins gibt, überregionale, auch internationale, und so entstehen keine Erwartungen der Mitglieder – womit allerdings auch ein Beweggrund wegfallen kann, überhaupt Mitglied zu werden.
Immer wieder geht es um die Frage nach Ein- und Ausschluss. Vorgeschaltet sind der Aufnahme in Künstlervereinigungen in der Regel Auswahlverfahren, um Professionalität und Seriosität sicherzustellen – was gleichzeitig Exklusivität nach außen hin signalisiert, ähnlich den Akademien. Hier fällt einem Woody Allen ein: „I’d never join a club that would allow a person like me to become a member.“
Ich muss gestehen, dass ich in einem Fall vor allem des Renommees wegen in einem Verein Mitglied geworden bin: im Deutschen Künstlerbund. Andere bekannte/befreundete Künstlerinnen und Künstler waren dabei, und es gab Hürden: Arbeitsproben waren vorzulegen, außerdem Empfehlungen von zwei Mitgliedern. Aber neben einem gewissen Prestigegewinn, und dem Bewusstsein, in „bester Gesellschaft“ zu sein, darf man auch das Gefühl haben, dass der Mitgliedsbeitrag gut angelegt ist, denn der Verband betreibt neben einem Ausstellungsraum eine intensive Lobby- und Gremienarbeit, bundesweit und international.
Dann gibt es Vereine, in denen ich Mitglied bin, primär, um eine gute Sache zu unterstützen: So etwa im Uferhallen e.V., der sich gegründet hat, um die Interessen der Uferhallen-Ateliers in Berlin zu vertreten, durch Ausstellungen und Aktionen sichtbarer zu machen. Ich habe dort keinen Raum, bin aber mit mehreren Kunstschaffenden bekannt und befreundet. 2022 ergab sich für mich die Möglichkeit, Führungen zu veranstalten durch Ateliers und Gelände, dabei noch mehr Leute kennenzulernen, gleichzeitig auf die prekäre Situation der Kollegen aufmerksam zu machen. 2023 zeichnet sich ab, dass deren jahrelanger Einsatz sich gelohnt hat.
Ich stelle fest, dass sich die Motive bei mir überschneiden – und das dürfte bei den allermeisten Mitgliedern in Kunst- bzw. Künstlervereinen der Fall sein: Mal ist es der Wunsch nach Kontakt, nach Teilhabe, nach Nestwärme, „dabeizusein“, nach ästhetischen und intellektuellen Erlebnissen, die man sonst nicht hätte, mal die Hoffnung auf Sichtbarkeit, materiellen und immateriellen Vorteilen, Prestigegewinn, dann aber auch die Absicht, etwas gemeinsam zu realisieren, mal, bei eher „passiver“ Mitgliedschaft, Solidarität mit der Idee, die hinter einem Verein steckt, und der Arbeit, die er leistet.
Das ist das Großartige an Kunstvereinen: Sie sind niedrigschwellige Anlaufstellen, offen für alle, zur Kunstrezeption, aber auch zur Präsentation, anders als die selektiven (kommerziellen) Galerien oder die Museen und Ausstellungshäuser. Sie sind auch offener als Künstlervereinigungen. In vielfachen Abstufungen bieten sie Möglichkeiten der Teilhabe, aber auch der Mitarbeit und Mitgestaltung.
Im Kunstverein Bamberg bin ich (noch) kein Mitglied. Aber als ich 2015 an der Ausstellung „sagen und zeigen“ teilnahm, war ich begeistert von der Schau – und von den Räumen der Villa Dessauer. Später dann von denen des Kesselhauses, und, wiederum in der Villa Dessauer, vom Archiv mit den Plakaten, Gästebüchern, Publikationen, Karteikarten, den Jahresgaben, den Rahmen in den Regalen, den unzähligen Hängeschnüren, allem, was von einer langen Geschichte zeugt, von Ausstellungen, Veranstaltungen, vom Sammeln – und von Sehnsüchten …
(Der Text ist die leicht erweiterte Fassung des Beitrags in: Albert Coers/Barbara Kahle/Notburga Karl (Hg.): 200 Jahre Kunstverein Bamberg — 200 Jahre Sehnsucht, München : icon Verlag 2023, S. 92–97.)