Albert Coers: AL. ARCHIV
2025, Icon Verlag Hubert Kretschmer
Wilfried Stroh R.I.P.
Kürzlich bekam ich Nachricht, dass Wilfried Stroh, Professor für Klassische Philologie, am 15.7. 25 verstorben ist. Das machte mich betroffen:
„Wilfried Stroh R.I.P.“ weiterlesenArtministration Teil 1 Abs. (4): „Kunst und Bürokratie“, Büro für kuratorische Forschung, c/o Galerie Nord, Kunstverein Tiergarten, Berlin
Journal 13.–17.6.25 — Miss Read 2025 — Nachlese

13.6. Freitag
Bastle an Heften, um sie noch auszudrucken: an dem 75er-Heft, das ich zum Geburtstag von Hubert Kretschmer gemacht hatte; füge neue Bilder hinzu…, das BREDA-Heft.
Im Copy-Planet in der Brunnenstr. Die Ausdrucke sind unbefriedigend, die in Schwarzweiß gehen so, aber die in Farbe bringen es nicht.
Naja, habe so auch genügend Material für die Miss Read. Direkt vom Copyshop dorthin, mit U‑Bahn und Bus.
Meine Nachbarn: Daniela Comani, mit der ich mich verabredet hatte, und auf der anderen Seite der permanent Verlag, mit Andreas Koch! Freut mich. Wir haben alle drei ähnliches Outfit, Schwarze Baseball-Kappen, Brillen, Hemden/T‑Shirts. Daniela schlägt ein Gruppenfoto vor – Carsten Lisecki macht es, der auch vorbeikommt und lange am Stand verweilt.
Es kommen viele: Käthe Kruse, die Daniela gut kennt, Matthias Seidl und Christine Bail von Dr. Julius, Bettina Hutschek, Annette Gilbert …
Die Verkäufe laufen nicht so besonders, ein Books to Do … es ist ruhiger als letztes Jahr – das hängt wohl mit der zeitgleichen Eröffnung der Berlin Biennale zusammen, und dass der Termin jetzt im Juni noch nicht so etabliert ist.
Noch etwas plaudern mit Winnes Winnes Radermächers von Felder Books.
14.6., Samstag
Poste einige der Bilder von gestern.
In die Hansa-Bücherei, Ingo Gerken hat dort bis morgen seine Ausstellung der Buch-Objekte und Fotos. Zur Messe. Heute läuft es ökonomisch besser. Max Parnell kommt, kauft gleich sechs Hefte der Reihe mit Gebärdensprache, um sie in einem Radiosender im Wedding weiterzuverkaufen. Die Zeit vergeht ziemlich schnell.
Kaufe einige Kleinigkeiten, ein Heft „von Hundert“, mit dem Themenschwerpunkt Tod; was mich in Zusammenhang mit meinem Vater immer noch beschäftigt. Ein Buch von Micheal O’Connell aka Mocksim mit Kassenzetteln aus britischen Supermärkten, die immer die Summe „0“ aufweisen. Nicht-Kauf, Nicht-Konsum – finde ich eine schöne Idee. Dann ein Reader mit Texten ukrainischer Kuratorinnen und Kulturschaffender „We who have changed“, der sich mit den Veränderungen befasst, die der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit sich gebracht hat.
15.6., Sonntag
Noch einmal in die Hansa-Bücherei, dort ist gerade Andreas Koch, auch vor dem Beginn des heutigen Messetags. Gute Unterhaltung über Architektur des Hansaviertels und künstlerische Verarbeitung der klassisch modernen Architektur; Andreas hat z.B. ein Segment aus dem Dach der Nationalgalerie im Maßstab 1:1 nachgebaut und als Tisch gezeigt. Mit ihm per Rad zum Haus der Kulturen der Welt.
Cornelius Brändle von der Künstlerbuch – und Kleinpressenmesse in Berlin kommt vorbei. Etwas anderes Konzept, als die Miss Read, er aber sehr sympathisch. Kauft ein „Wer ist Albert?“-Heft.
Nehme einiges ein, insgesamt wird es sich auf etwa 270 Euro belaufen – was wohl etwas weniger ist als letztes Jahr und weniger als meine Nachbarn – aber immer noch ganz ordentlich für meine Verhältnisse. Da kann man schon einen Teil re-investieren in Bücher.
Suche nach den Tischen von „Multinational Enterprises“ alias Sveinn Fannar Johannsson und Eric Steinbrecher – sie haben Tische nebeneinander, wie schön! Bei ersterem „Ten Exhibits“ (2018), ein Buch mit einer Sammlung von 10 gesammelten und fotografierten Stücken Toilettenpapier, von Eröffnungen in Galerien, zur Unterstreichung der Museumsqualität mit einem Farbkeil abgelichtet und zusammen mit einem Zitat aus dem Pressetext der jeweiligen Ausstellung – muss ich haben. Die Idee einer Sammlung von WC-Papier(rollen) verfolge ich ja auch seit einiger Zeit, hier ist sie jetzt konsequent umgesetzt. Die Begrenzung des Projekts auf 10 Stationen ist vernünftig, denn sonst könnte es ewig so weitergehen, wie bei mir, mit den Rollen (und Gläsern). Bis ins Detail liebevoll gemacht, bis auf die Haare, die sich auf den Papierstücken finden, — und das letzte Stück sieht so plastisch aus, dass ich es berühre – es ist tatsächlich ein Original, eingeklebt, von Sveinns eigener Ausstellung, als Abschluss.
Aus den Büchern von Eric Steinbrecher wähle ich eins, „Schmierpapier“, auf rotem dünnen Papier, das, wie mir Eric erklärt, von der Produktion eines anderen Buches übriggeblieben war. Die freien, krakeligen Zeichnungen gefallen mir; als ich Eric einen Zehner gebe, steckt er ihn in das nächste Exemplar des Buches – farblich passend. Das koste jetzt 20 Euro, meint er – genial aus dem Moment heraus!
Eines der letzten Bücher, die ich erwerbe, ist von Claudia de la Torre – Side A. Als Material/Vorlage diente ein Science Fiction-Roman. Bin ganz glücklich, als ich es mitnehme.
Die Zeit vergeht doch wieder schnell, mit weiteren Ausflügen an andere Tische. Um 19 Uhr ist die Messe zu Ende, beim Gongschlag Klatschen für die Veranstalter – eine verdiente Geste, die mir dieses Jahr neu vorkommt.
Beim Aufräumen nutze ich die Gelegenheit, um meine Bücher und die gesammelten auf den Garderobentischen auszubreiten und zu fotografieren. Es kauft noch jemand von einem anderen Tisch ein Heft, froh, dass ich noch da bin. Sebastian Klug kommt auch noch; ich habe ihn bei seiner Installation im Klohäuschen kennengelernt; sieht sich Bücher an, kauft „deposito provvisorio“. Ein schöner Ausklang. Packe die Sachen in den Koffer, diesen aufs Rad, nach Hause in die Osloerstr. Gehe nicht mehr aus, sehr müde, schaffe es kaum, noch ein paar Bücher anzuschauen, schlafe bald ein.
Mo, 16.6.25
Auf dem Brunch nach der Miss Read, in der Gerichtstr. Gute Unterhaltung mit Ayumi Rahn, mit Winnes, mit Verlegern aus Mexiko. Gut, das Wochenende noch ausklingen zu lassen – nachdem alle Bücher weggeräumt sind.Schreibe mit beim Parallelprotokoll „Hausnummer“, Treffen an der Ecke Anklamer-Brunnenstr. Vor dem Café sehe ich Christoph Brucker sitzen, den ich vom Tischtennis bei Andreas Koch her kenne, mit Barett und ein Glas Weißwein vor sich, ganz bohemehaft. Er hat den Laden „Nutz und Zier“ in der Brunnenstr, für Möbel und Vintage-Objekte.
Mit dem Rad nach Pankow, Eröffnung von SPINORAMA, von Aslak Gurholt, der Bücher mit verschiedenen Gestaltungen und Konzepten von Buchrücken gesammelt, kategorisiert hat und jetzt im einBuch.haus zeigt.
Danach zum Tischtennis in der Kastanienallee, bei Andreas Koch. Es geht im Gespräch viel um das Thema „Sammlung“. Dort auch Tom Biber, der selbst viel Kunst und Bücher gesammelt hat und auch ein Antiquariat betrieb. Würde mich interessieren, ihn zu besuchen.
Di, 17.6.25
Schlaf bis 9 Uhr. Noch fertig von der Miss Read. Morgens Schwitzen, wilde Träume – die ich aufschreiben möchte, mich aber schon einige Stunden später nicht mehr an sie erinnere.
Am DB-Schalter Gesundbrunnen meint der Angestellte, dass mein Name ihm etwas sage; was mich erstaunt und freut. Es sei ein Filmemacher. In der Tat, Matthias Coers heißt ein Filmer, der viel mit sozialem Bezug (Mietmodelle …) gedreht hat, wie ich später nachschaue.
In den Büchern und Zeitschriften, die ich gekauft und getauscht habe. Besonders freut mich „Side A“ von Claudia de la Torre, mit schwarzen Dreiecken, die man auch als Eselsohren/Knicke im Buch lesen kann. Sie deuten mit einer Spitze immer auf ein Wort auf der Seite „finde“ „emotions“; sind schon eine minimalistisch-poetische Komposition, und in der Abfolge so angeordnet, dass sie einen neuen zusammenhängenden Text ergeben. C’est genial!
Ähnlich minimalistisch ist das kleine Büchlein „Tea Ceremony“, von der Happy Potato Press, das ich im einBuch.Haus gekauft habe, als gewissermaßen letzte Erwerbung der Messe. Es besteht immer aus zwei Wörtern /Begriffen, die eingepasst sind in die Silhouette einer Teetasse, eines in der Fläche des Tees, das andere darunter auf der Tasse. Die Flächen sind unterschiedlich groß, erinnern an die Grafiken aus der Mengenleere, und man kann sich Gedanken über das Verhältnis der Worte zueinander machen. Ist z.B. die „Ceremony“ wichtiger als ihr Anlass „Tea“? Oder das Verhältnis zwischen „also“ und „everything“?
In der „Zeitschrift“, von Alexander Wolff herausgegeben, mit einer Type, aus Helvetica und Times gebastelten Schrift, mit einem sehr witzigem Editorial. Anti-Trump-Proteste; sehr aktuell. Dann sehe ich erst, dass es eine Ausgabe schon von 2017 ist. Wieder der Eindruck und die Frage: hat sich so wenig geändert? Immer noch Trump, stärker im Sattel als je.
Journal, 25.5.- 31.5.25, Bologna-Florenz
25.5., Sonntag
Start der Fahrt nach Italien: Die Idee ist, von Bologna aus nach Florenz zu wandern. Eigentlich braucht man für die 130 km 5–6 Tage, mal sehen, ob ich es auch in dreieinhalb schaffe.
Mit E. zusammen nach Prien am Chiemsee, von dort mit Johannes Muggenthaler, der zu seinem Haus in der Nähe von Ancona fährt und mich bis vor Bologna mitnehmen kann. Das trifft sich gut.
Fahrt durch den Regen. Wieder einmal der Effekt, dass hinter dem Brenner das Wetter schlagartig anders, besser wird.. Schon ein Interessanter: über seine Zeit in Oberammergau und in Ettal, Abgang vom Gymnasium wegen „Insubordination“, dann an der Schnitzschule Oberammergau, mit Hermann Bigelmayer; seine Aufnahme an der Akademie München, mit erst 16.
Schon von weitem sieht man die Kirche Madonna San Luca, oben auf der Höhe.
Ausstieg in Casecchio di Bologna, dort über den Reno (ohne h), der mich begleiten wird.
Durch einen Park; relativ viele Leute; es ist ja auch Sonnstag Nachmittag. Über die Umzäunug, steil hinunter zum Fluß. Die Bergstiefel zahlen sich aus; der erste Stecken zum Abstützen wird aus dem Gebüsch gezogen und zurechtgebrochen. Der zweite folgt später, hier schnitze/trenne ich ihn mit dem Messer ab.
Über Wiesen, durch Laubwald am Fluss entlang. Teils ist das Ufer abgerutscht, hinaufklettern; der Boden ausgespült, die Rinnen noch feucht, rutschig, lehmig. Verstehe jetzt, dass bei Regen weite Teile schwer zu passieren sind, Es ist jetzt schon nicht einfach.
Leute kommen mir entgegen — „Buon cammino“ wünschen sie mir freundlich. Andere warnen mich vor einer unpassierbaren Brück.
Imposant eine Steilwand aus Sandstein, die sich über dem Flusstal erhebt. Am Rand eine Casa della Natura, ein Beobachtungspunkt für Tiere; Wasser!
Leider bald danach eine Tafel, die an die Erschießung von Partisanen hinweist, vermeintlichen oder tatsächlichen. Hier in der Nähe verlief die Linea Gotica, die Linie von deutschem Militär und SS bis 1944. Hinweise darauf werden mir immer wieder begegnen. Erinnere mich an Umberto Eco, der in „La misteriosa fiamma della regina Loana….“ von einem Dorf im Apennin, in der Nähe von Bologna? erzählt, wo sich Jungen den Partisanen anschließen.
In Vezzano, eine Ansammlung von Höfen. Heu wird gemäht. Eine nette Raststelle, mit Wasser, Bänken, sogar einem Gästebuch. Hier könnte ich vielleicht sogar übernachten, zwischen den Weinstöcken, aber Ziehe aber weiter.
Hinauf auf die Höhe, hier unten doch zu viel Betrieb und Mücken. Es dämmert, geht auf 9 Uhr zu. Langsam muss ich einen Lagerplatz für die Nacht finden.
Eine Allee von Zedern. Schön. Am Ende Aussicht ins Tal – und auf die Autobahn.
Ein Haus im Bau, eine Bauruine. Lege mich nach einigem Herumsuchen unter eine Gruppe von Zedern. Der Blick in die Äste. Grillen zirpen. Lucciole kreisen, blinken im Gebüsch und den Mauerresten….Freue mich einfach. (Geschrieben im Schlafsack).
26.5., Montag, (geschrieben 31.5., auf der Rückfahrt, zwischen Rosenheim und München)
Hinunter ins Tal – wo ich beim Abstieg zwischen den Wiesen wieder wundersam auf einen markierten Weg treffe. Häuser, eine Kapelle; das muss Guzzano sein. Frage den Fahrer eines Autos, das gerade aus einem Hoftor fährt, nach dem Weg – er kann ihn mir schnell beschreiben. Immer noch die beste Methode: Leute fragen, noch vor Karte oder langem Suchen im Internet.
An der stärker befahrenen Straße entlang, bis der Weg abzweigt, von der anderen Seite kommt.
Blick in die Landschaft; Rast in der Sonne.
Weiter bergauf, durch den Wald. Höre Stimmen: vor mir Wanderer. Versuche sie zu überholen, was mir gelingt, auf Nebenwegen, bis zu einem Hof, dann biege ich falsch ab, der Vorsprung wieder dahin … Frage des Ehrgeizes. Aber generell mag ich es nicht, überholt zu werden.
Werde ich dann doch, bei einer Rast an einer Wasserstelle – fontana. Es ist inzwischen Mittag. Zwischen Bäumen, an einem Platz, wo auch gezeltet wurde.
Schweißstreibender Aufstieg, teils felsig, zum Monte Andone. Dann aber spektakuläre Felsformationen, Türme. Ausblick. Bin ganz begeistert. Es gibt sogar ein Gipfelkreuz und –buch. Freue mich, dass ich ihn auf eine kurze Zeit für mich allein habe.
Abstieg nach Brento. Mittagshitze. Kurzer Stop bei einer Kirche, dann aber doch weiter.
(geschrieben im Rückblick, 1.6.).
Die sich windende Teerstraße entlang. Rechts eine Höhlen-Kapelle mit viel bunten Zetteln, Kerzen, auch Büchern.
Mit Ach und Krach nach Monzuno. Ein Schild weist dorthin, laufe ihm nach, da ertönt es hinter mir: „ragazzo!“. Die Weggenossen, von denen ich mich absetzen wollte, weisen mich darauf hin, dass ich in die falsche Richtung gehe. Wie es sich herausstellt, sind die beiden Italiener sehr nett, und ich teile mit ihnen das Stück in den Ort hinein. Aus Torino bzw. vom Lago Maggiore, haben sie sich erst unterwegs kennengelernt und zu einer Weggruppe zusammengetan. Einer kommt aus Turin, der andere vom Lago Maggiore, Mirco, und sie sind ebenfalls nach Florenz unterwegs. Wir erreichen den Dorfplatz, lassen uns auf die Bänke fallen, trinken am Brunnen.
In der edicola nebenan erwerbe ich Postkarten und schreibe sie gleich, stecke sie in den Briefkasten neben an; finde auch eine Wanderkarte der Via degli Dei.
31.5.25, Samstag
Leaving Florence: Nel treno regionale verso Prato. Solo adesso ho modo di tirare fuori dallo zaino il piccolo portabile (labtop?) e di battere alcune notizie – e come non l’ho fatto da tanto tempo, in Italiano.
L’ultimi giorni erano pieni – c’cé sempre il problema come mettere assieme il vivere il momento e di ricardare/documentare quello che è passato/sucesso.
Stamattina nell’albergo Pendini, Via Strozzi 3, veramente sulla Piazza della Repubblica, nell’ Archone sopra la Piazza (che allora si chiamava “Piazza Vittorio Emmanuele”. Allo stile di epoca, cioè 150 anni fá, quando si chiamava “Pension Pendini”, destinato ai turisti principalmente anglofoni. Si collega con Thomas Mann – che era nato anche lui 150 anni fà, 1875.
Das Hotelzimmer gibt einen schönen Background für kleinere Installationen: Einmal das angeranzte, angekokelte Kochgeschirr, mit der Duschhaube des Hotels um es herumgespannt, als Schutz.
Auf dem Deckel ist eingraviert das Monogramm „M.C.“, entweder von Vati (wahrscheinlich) oder von Martina. Auf den runden Tisch mit den Intarsien gelegt, bildet es einen schönen Kontrast.
Dann sind da die Kugelknäufe am Bett, aus blankem Messing. Man kann Socken darüberstülpen, Handschuhe. Man kann mit Symmetrien spielen: Von jedem zwei Betten, zwei Socken, Handschuhe, Unterhosen, Schlafsäcke. Die Schlafsäcke kann man auch an den Leuchter hängen…
Gegen 9 Aufbruch. Fotografiere noch mehrere der Schachtel- und Papierhaufen, die auf den Straßen zur Altpapiersammlung bereitgestellt stehen, vor Geschäften und Bars; die Schachteln häufig bedruckt mit den Labels der Läden. Daraus könnte eine Fotoserie entstehen, ein Heft…
Über Prato nach Bologna. Die Regionalzüge wieder recht voll, da günstig. Dann die lange Fahrt von Bologna zum Brenner. Recht angenehm, bis in Verona eine Schüler-Rugbymannschaft einsteigt….
Schreibend, essend, umsteigend geht es dahin; in den Nachmittag und Abend hinein.
Müdigkeit. Schlafe trotz der Schüler nachmittags ein, sehe draußen die Berge vorbeiziehen. Besonders zwischen vor Rovereto wieder beeindruckend, egal wie oft ich die Strecke schon gefahren bin. Ortsnamen: Ala, Serravalle, Mori …Memento mori…
In Kufstein Aufenthalt von einer halben Stunde. Über den Inn; die Festung im Sonnenlicht. Eine Runde um die Kirche, auf einer Bank in der Kühle der Marienkapelle gegenüber. Gerade geht eine Maiandacht zu Ende, „Maria dich lieben“ wird gesungen, kenne das Lied gut. Diese Gemeinschaft der Gläubigen, die sich da mitteilt. Tut mir irgendwie leid, dass ich da nicht mehr dazugehöre.
Wasser am Brunnen. Es schmeckt gut.
25.5., SonntagStart der Fahrt nach Italien: Die Idee ist, von Bologna aus
nach Florenz zu wandern. Eigentlich braucht man für die 130 km 5–6 Tage, mal
sehen, ob ich es auch in dreieinhalb schaffe.Mit E. zusammen nach Prien am Chiemsee, von dort mit
Johannes Muggenthaler, der zu seinem Haus in der Nähe von Ancona fährt und mich
bis vor Bologna mitnehmen kann. Das trifft sich gut. Fahrt durch den Regen. Wieder einmal der Effekt, dass hinter
dem Brenner das Wetter schlagartig anders, besser wird.. Schon ein
Interessanter: über seine Zeit in Oberammergau und in Ettal, Abgang vom Gymnasium
wegen „Insubordination“, dann an der Schnitzschule Oberammergau, mit Hermann
Bigelmayer; seine Aufnahme an der Akademie München, mit erst 16. Schon von weitem sieht man die Kirche Madonna San Luca, oben
auf der Höhe. Ausstieg in Casecchio di Bologna, dort über den Reno (ohne
h), der mich begleiten wird. Durch einen Park; relativ viele Leute; es ist ja auch
Sonnstag Nachmittag. Über die Umzäunug, steil hinunter zum Fluß. Die
Bergstiefel zahlen sich aus; der erste Stecken zum Abstützen wird aus dem
Gebüsch gezogen und zurechtgebrochen. Der zweite folgt später, hier schnitze/trenne
ich ihn mit dem Messer ab. Über Wiesen, durch Laubwald am Fluss entlang. Teils ist das
Ufer abgerutscht, hinaufklettern; der Boden ausgespült, die Rinnen noch feucht,
rutschig, lehmig. Verstehe jetzt, dass bei Regen weite Teile schwer zu
passieren sind, Es ist jetzt schon nicht einfach. Leute kommen mir entgegen — „Buon cammino“ wünschen sie mir
freundlich. Andere warnen mich vor einer unpassierbaren Brück. Imposant eine Steilwand aus Sandstein, die sich über dem
Flusstal erhebt. Am Rand eine Casa della Natura, ein Beobachtungspunkt für
Tiere; Wasser! Leider bald danach eine Tafel, die an die Erschießung von
Partisanen hinweist, vermeintlichen oder tatsächlichen. Hier in der Nähe
verlief die Linea Gotica, die Linie von deutschem Militär und SS bis 1944. Hinweise
darauf werden mir immer wieder begegnen. Erinnere mich an Umberto Eco, der in „La misteriosa fiamma della regina
Loana….“ von einem Dorf im Apennin, in der Nähe von Bologna? erzählt, wo
sich Jungen den Partisanen anschließen. In Vezzano, eine Ansammlung von Höfen. Heu wird gemäht. Eine
nette Raststelle, mit Wasser, Bänken, sogar einem Gästebuch. Hier könnte ich
vielleicht sogar übernachten, zwischen den Weinstöcken, aber Ziehe aber weiter.
Hinauf auf die Höhe, hier unten doch zu viel Betrieb und
Mücken. Es dämmert, geht auf 9 Uhr zu. Langsam muss ich einen Lagerplatz für
die Nacht finden. Eine Allee von Zedern. Schön. Am Ende Aussicht ins Tal – und
auf die Autobahn. Ein Haus im Bau, eine Bauruine. Lege mich nach einigem
Herumsuchen unter eine Gruppe von Zedern. Der Blick in die Äste. Grillen
zirpen. Lucciole kreisen, blinken im Gebüsch und den Mauerresten….Freue mich
einfach. (Geschrieben im
Schlafsack). 26.5., Montag, (geschrieben 31.5., auf der Rückfahrt,
zwischen Rosenheim und München)Hinunter ins Tal – wo ich beim Abstieg zwischen den Wiesen
wieder wundersam auf einen markierten Weg treffe. Häuser, eine Kapelle; das
muss Guzzano sein. Frage den Fahrer eines Autos, das gerade aus einem Hoftor
fährt, nach dem Weg – er kann ihn mir schnell beschreiben. Immer noch die beste
Methode: Leute fragen, noch vor Karte oder langem Suchen im Internet. An der stärker befahrenen Straße entlang, bis der Weg
abzweigt, von der anderen Seite kommt. Blick in die Landschaft; Rast in der Sonne. Weiter bergauf, durch den Wald. Höre Stimmen: vor mir
Wanderer. Versuche sie zu überholen, was mir gelingt, auf Nebenwegen, bis zu
einem Hof, dann biege ich falsch ab, der Vorsprung wieder dahin … Frage des
Ehrgeizes. Aber generell mag ich es nicht, überholt zu werden. Werde ich dann doch, bei einer Rast an einer Wasserstelle –
fontana. Es ist inzwischen Mittag. Zwischen Bäumen, an einem Platz, wo auch
gezeltet wurde. Schweißstreibender Aufstieg, teils felsig, zum Monte Andone.
Dann aber spektakuläre Felsformationen, Türme. Ausblick. Bin ganz begeistert.
Es gibt sogar ein Gipfelkreuz und –buch. Freue mich, dass ich ihn auf eine
kurze Zeit für mich allein habe. Abstieg nach
Brento. Mittagshitze. Kurzer Stop bei einer Kirche, dann aber doch
weiter. (geschrieben im Rückblick, 1.6.). Die sich windende Teerstraße entlang. Rechts eine
Höhlen-Kapelle mit viel bunten Zetteln, Kerzen, auch Büchern. Mit Ach und Krach nach Monzuno. Ein Schild weist dorthin,
laufe ihm nach, da ertönt es hinter mir: „ragazzo!“. Die Weggenossen, von denen
ich mich absetzen wollte, weisen mich darauf hin, dass ich in die falsche
Richtung gehe. Wie es sich herausstellt, sind die beiden Italiener sehr nett,
und ich teile mit ihnen das Stück in den Ort hinein. Aus Torino bzw. vom Lago
Maggiore, haben sie sich erst unterwegs kennengelernt und zu einer Weggruppe zusammengetan.
Einer kommt aus Turin, der andere vom Lago Maggiore, Mirco, und sie sind
ebenfalls nach Florenz unterwegs. Wir erreichen den Dorfplatz, lassen uns auf
die Bänke fallen, trinken am Brunnen. In der edicola nebenan erwerbe ich Postkarten und schreibe
sie gleich, stecke sie in den Briefkasten neben an; finde auch eine Wanderkarte
der Via degli Dei. 31.5.25, Samstag Leaving Florence:
Nel treno regionale verso Prato. Solo adesso ho modo di tirare fuori
dallo zaino il piccolo portabile
(labtop?) e di battere alcune notizie – e come non l’ho fatto da tanto tempo,
in Italiano. L’ultimi giorni
erano pieni – c’cé sempre il problema come mettere assieme il vivere il momento
e di ricardare/documentare quello che è passato/sucesso. Stamattina
nell’albergo Pendini, Via Strozzi 3, veramente sulla Piazza della Repubblica,
nell’ Archone sopra la Piazza (che allora si chiamava “Piazza Vittorio Emmanuele”. Allo stile di epoca, cioè
150 anni fá, quando si chiamava “Pension Pendini”, destinato ai turisti
principalmente anglofoni. Si collega con Thomas Mann – che era nato anche lui
150 anni fà, 1875. Das Hotelzimmer gibt einen schönen Background für kleinere
Installationen: Einmal das angeranzte, angekokelte Kochgeschirr, mit der
Duschhaube des Hotels um es herumgespannt, als Schutz. Auf dem Deckel ist eingraviert das Monogramm „M.C.“,
entweder von Vati (wahrscheinlich) oder von Martina. Auf den runden Tisch mit
den Intarsien gelegt, bildet es einen schönen Kontrast. Dann sind da die Kugelknäufe am Bett, aus blankem Messing.
Man kann Socken darüberstülpen, Handschuhe. Man kann mit Symmetrien spielen:
Von jedem zwei Betten, zwei Socken, Handschuhe, Unterhosen, Schlafsäcke. Die
Schlafsäcke kann man auch an den Leuchter hängen… Gegen 9 Aufbruch. Fotografiere noch mehrere der Schachtel-
und Papierhaufen, die auf den Straßen zur Altpapiersammlung bereitgestellt
stehen, vor Geschäften und Bars; die Schachteln häufig bedruckt mit den Labels
der Läden. Daraus könnte eine Fotoserie entstehen, ein Heft… Über Prato nach Bologna. Die Regionalzüge wieder recht voll,
da günstig. Dann die lange Fahrt von Bologna zum Brenner. Recht angenehm, bis
in Verona eine Schüler-Rugbymannschaft einsteigt….Schreibend, essend, umsteigend geht es dahin; in den
Nachmittag und Abend hinein. Müdigkeit. Schlafe trotz der Schüler nachmittags ein, sehe draußen
die Berge vorbeiziehen. Besonders zwischen vor Rovereto wieder beeindruckend,
egal wie oft ich die Strecke schon gefahren bin. Ortsnamen: Ala, Serravalle,
Mori …Memento mori… In Kufstein Aufenthalt von einer halben Stunde. Über den
Inn; die Festung im Sonnenlicht. Eine Runde um die Kirche, auf einer Bank in
der Kühle der Marienkapelle gegenüber. Gerade geht eine Maiandacht zu Ende,
„Maria dich lieben“ wird gesungen, kenne das Lied gut. Diese Gemeinschaft der
Gläubigen, die sich da mitteilt. Tut mir irgendwie leid, dass ich da nicht mehr
dazugehöre. Wasser am Brunnen. Es schmeckt gut.
Miss Read, Art Book Fair & Festival, HKW, Berlin, 2025
Naranja Publicaciones: Visual Questionnaire #14
Art Gö #3, Görisried
Die Gelben Seiten, Berlin
7.2. ‑12.2 Journal — Venedig
7.2., Freitag Venedig-Nachtrag
Bevor die Erinnerung verschwindet, ein Rückblick auf die Fahrt nach Venedig:
In aller früh stehen wir dafür auf, bereits um 6 Uhr. Diesmal schaffen wir es, im Gegensatz zur letzten Italienfahrt, nach Rom, wo der Zug in Innsbruck stehenblieb. Ankunft nachmittags, gegen 15 Uhr, in Mestre – der Zug fährt aus welchen Gründen immer, nur bis hierher. Mit einem Regionalzug weiter, über die Lagune. Der Himmel verhangen.
Gleich nach der Ankunft in der Libreria dei Miracoli, mit waagrecht gestapelten Bänden, jedes Buch in eine Folientasche eingepackt. Werde auf Englisch angesprochen, was mich stört. Aber klar, mit Rucksack, dann der Phänotyp…
Kaufe einen Paperino-Comic und ein Buch über Venedig, „Report. Venezia sull’orizzonte degli eventi“, von Renato Pestriniero.
Zur Unterkunft, ein Air BNB in Canareggio;Calle Corrente, Nähe der Strada Nuova; typisch venezianisch, Erdgeschoss, niedrig, mit dicken Balken an der Decke, und, prominent, mit einer Säule im Raum. Links vom Eingang eine Abtrennung aus Glas, in Metallrahmen, Art-Deco. Der Terrazzoboden ist kühl, deshalb lege ich Bücher über Venedig, Fotobände, Führer etc. als Trittsteine darauf. So kommt man vom Tisch zum Kühlschrank und zum Herd. Eine spontane Installation.
Wir entdecken „Alexa“, die Konversationspartnerin und Helferin. Italienische Schlager von Fabrizio de André etc. lassen wir sie abspielen. Sie macht dann einfach weiter und spielt ähnliches. „Alexa, basta!“ muss ich irgendwann deutlich sagen, damit sie wieder aufhört. Die Geschichte vom Zauberlehrling fällt mir ein.
8.2., Samstag
Zum nahegelegenen Palazzo Giorgio Franchetti. Spektakulärer Innenhof mit Stein-Intarsien am Boden. Das ist so ein Moment, wo ich mich kaum fassen kann vor Begeisterung. Stendhal-Syndrom. Dann das Museum mit viel mittelalterlicher Malerei und dem Balkon, von dem man auf den Canale Grande hinaussieht. Ein ganz besonderer Ort.
Überfahrt zum Friedhof von S. Michele. Kurzer, aber intensiver Aufenthalt. Die Ausdehnung noch nie so deutlich gespürt. Im Kreuzgang, der ziemlich leer und wenig besucht ist.
Nach einigem Suchen und an der Mauer Umhergehen das Grab von Joseph Brodsky. Interessant der „Briefkasten“, in dem Botschaften an die Verstorbenen abgelegt sind, meist an Brodsky, darunter auch viel in kyrillischer Schrift.
Kaufe sein Buch über Venedig später in der Libreria Acqua Alta.
Um diese Jahreszeit keine Mosquitos, die uns beim letzten Besuch im Sommer fast aufgefressen haben. Jetzt aber auch im „modernen“ Teil, den David Chipperfield saniert hat. Strenge graue Betonwände- und Streben, erinnert an japanische Kiesgärten. Die langen Urnenzeilen wie Appartements in Hochhäusern. Auf jeder Urne ein Photo – was in Deutschland viel weniger verbreitet ist. Erstaunlich der informelle Charakter vieler Bilder, die doch für den Toten das letzte, repräsentative, bleibende sind, zumindest hier auf dem Friedhof: teils unscharf, dann in freizeitlichen Situationen, z.B. mit Weinglas, dem Betrachter gleichsam zuprostend; Das wirkt teils skurril, teils aber auch sympathisch. Mache einige Photos; denke auch an eine größer angelegte Serie und an ein Buch aus diesen Bildern. Man könnte sich auf einen Bildtyp konzentrieren, vielleicht den der unscharfen Bilder ….
Abends Film im Cinema Garibaldi: „The Brutalist“. Hervorragender Adrien Brody, der alle Stimmungsschwankungen des Protagonisten sehr glaubhaft spielt. Doch insgesamt prätentiös, pathetisch. Das Kreuz, das durch Negativraum gebildet wird – das Licht, das in den Raum fällt. Das wäre richtigen Bauhäuslern alles zu viel gewesen, glaube ich. Und es wird eigentlich nicht richtig über Architektur diskutiert. Außer manchmal über Raumhöhen von 15 Meter – und die Einwände der Ingenieure, die auf Einsparungen drängen.
Die symbolistisch raunenden Szenen in den Bergen und Steinbrüchen von Carrara – große Bilder, Freude des Wiedererkennens – aber dann wieder peinliches Pathos, auch in der Schlussequenz, beim Rennen durch den Bau.
In „Report“, im Kapitel “Messaggi”, über Schriften im öffentlichen Raum, offizielle und nicht-offizielle. Interessanterweise auch über Straßennamen, die häufig in einer Mischung aus Hochitalienisch und Dialekt geschrieben sind.
Mario Stefani: „La solitudine non è essere soli, è amare gli altri inutilmente”, was anonyme Hände an mehrern Stellen in Venedig an Bauzäune schrieben – eine schöne Verbreitung von Poesie.
Mahlerklänge von Alexa beim Einschlummern.
9.2., Sonntag
Zum Ca’ Pesaro, Wunderkammer-Ausstellung im Palazzo Grimani. Hier hatte ich die Ausstellung von Baselitz gesehen. Seine Bilder in den Flächen zwischen den Fenstern sind noch da.
10.2., Montag
Spät auf, fühle mich etwas krank; im Bett Lektüre, Josephs Brodskys Ankunft in Venedig, im Winter „molte lune fa“. Der Geruch von Algen bei Temperaturen unter Null für ihn ein Glückserlebnis. Kann ich nachvollziehen.
In die libreria Damocle, nicht weit vom Rialto. War schon dort, aber das Wiederfinden in der Calle del Perdon nicht so einfach. Das erste Mal im Laden. Schöne Auswahl an zwei- und mehrsprachigen Texten: Poes „The Raven“ in mehreren Sprachen, ein Gedicht von Leopardi („naufragio…“), u.a. von Rilke und Heyse übersetzt.
Kaufe drei kleine Bücher, ein Manifest zur futuristischen Sprache von Marinetti, Briefe von Italo Svevo an seine Frau, eine Erzählung der Brüder Goncourt aus Venedig, bei der ein Gemälde geraubt wird.
Gute Unterhaltung mit Pierpaolo Pregnolati über seine Aktivitäten, u.a. als Typograph. Er hat sich russische Lettern aus Litauen schicken lassen, wo man sie gerne losgeworden ist, und hat daraus einige Wörter gedruckt, die in der russischen Literatur spezifisch vorkommen, etwa bei Dostojewski.
In den neuen Teil Venedigs, zur Universität, wo auch die Architekturfakultät untergebracht ist. E. hat sich dort Pläne und Unterlagen des Architekten Eugenio Miozzi vorlegen lassen, der in den 50er/60er Jahren viel für Venedig geplant hat – unter anderem die autorimessa Sant’Andrea am Piazzale Roma, dieses Parkhaus im Bauhaus-Stil. Die Ponte della Libertà, parallel zur Eisenbahnbrücke geht auf ihn zurück, ebenso andere Brücken in Venedig, z.B. die ponte degli Scalzi, gegenüber vom Bahnhof, und die Holzbrücke della Accademia. Er hatte auch vorgeschlagen, Venedig an das Autobahnnetz anzuschließen, mit einem Tunnelring unter dem Meer – was zum Glück nie verwirklicht wurde, damals aber als Schritt Venedigs heraus aus seiner Isolation und Anschluss an die Moderne gesehen wurde.
Laufe durch den Campus; die umgebauten alten Lagerhallen und Werften. Sieht alles sehr funktional aus, aber auch anonym. Wieder an Autos vorbeizugehen, ist ein Schritt der Rückkehr zum Festland. In ein Gebäude von internationalen Stipendiaten, auf der Suche nach einem Ort, wo ich mich hinsetzen und etwas lesen kann. Die Bibliothek, auf die ein Schild vielversprechend verweist. aber nur mit Schlüssel zugänglich. Fensterlose Flure und Treppenhäuser. Schließlich zum appuntamento mit E. in der Cafeteria. Wir fühlen uns wieder ganz studentisch.
Zum Piazzale Roma; das Parkhaus sehr beeindruckend; E. erzählt, dass eine Kollonade geplant war, den Platz umfassend, dem Neoklassizismus/Faschismus der 1930er Jahre geschuldet. Erstaunlich, was alles (zum Glück aus heutiger Sicht) nicht gebaut wurde in Venedig.
Das Parkhaus mit der elegant-minimalistischen Schraubenrampe beeindruckend. Aufs Dach, mit gutem Blick auf die Stadt. Möwen landen neben uns auf der Mauer.
Ins Café der autorimessa im Souterrain. Dunkel, die Zeit scheint in den 50er/60ern stehengeblieben.
Noch einmal Essengehen; in ein Lokal in der Nähe der Strada Nuova. Man zahlt etwas mehr, aber dafür angenehme Atmosphäre, Mischung aus italienischen Gästen und Touristen. Auch hier Einrichtung über Jahrzehnte hin unverändert; Auf Borden sparsam einige Bildbände; umlaufende Metallstange.
Noch ein Spaziergang, auch, um unsere wenigen Abfälle zu entsorgen; vergebliche Such nach dem Müllbot, das wir im Plan der Unterkunft eingezeichnet finden. Schließlich lassen wir den kleinen Sack in einem der wenigen öffentlichen Mülleimer, am Campo dei Gesuiti, gegenüber der Polizeistation.
12.2., Mittwoch
Nachts wenig Schlaf, Husten, Schwitzen; dazu Lärm aus der Wohnung über uns. Ganz gerädert, als der Wecker läutet. Dann, einmal aufgestanden, geht es. Musik diesmal Dvorak; Alexa versteht „Dworschak“ erstmal nicht. Postkarten an Michael Dax, Carla u. Josef Mayerhofer.
Insgesamt angenehme Fahrt im Zug der ÖBB. Während der Fahrt Arbeit an den Bildern für den Ordner für die Archiv-Ausstellung im ZI.
Vieles, was sich unmittelbar gar nicht verwerten lässt – aber viel Zeit braucht und wovon man einen steifen Nacken bekommt. Wie ich gerade.
15.2., Samstag
Anmeldung/Bewerbung für die Miss Read. Briefwahl – die ich dann auch zum Briefkasten bringe.
Entwurf für den Wikipedia-Artikel über Albert Weis – schicke ihn ihm endlich. Die Beschreibung seiner Arbeiten scheint mir nicht sehr inspiriert, zusammenkopiert aus anderen Texten – aber eine gute Grundlage. Ich werde sie noch einmal überarbeiten.
16.2., Sonntag
Von Oleksiy Koval kommt auf facebook eine Replik zum Post über den Cimitero San Michele und Brodskys Grab dort – ein kritischer Artikel über den Schriftsteller und seine zweifelhafte politische Haltung, inklusive abfälliger Äußerungen gegenüber der Ukraine. Das nimmt aber nichts von seinem Werk, finde ich.
In Brodskys Venedig-Buch. Über die Löwen, die geflügelten, als Emblem Venedigs – und seine Umdeutung als Pegasus.
Angenehm, so unter der Bettdecke, während es draußen schneit.
Abends in die Villa Stuck, Hank op de Beek führt durch die Ausstellung. Immer noch sehr witzig, die Bilder. Zum Vortrag über Malewitsch bleibe ich dann aber doch nicht.
4. KHB Buchmesse | Artist Book Fair, KHB Studios, Berlin
New: Salon Magazin No 28, April 2025
Mit einem Beitrag von / with a contribution by Albert Coers
Salon Magazin #28, April 2025, Salon Verlag & Edition, Köln
Out now: Albert Coers: ab hier, 2025
Albert Coers: ab hier
14,8 x 10,5 cm, 56 S., 55 Abbildungen, Ringösenheftung
icon Verlag Hubert Kretschmer
Die Unterlagen befinden sich im Zustand der Ablage, Poesie und Verwaltung aus dem Archiv des Künstlerverbund im Haus der Kunst e.V., Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
“… and going on.” the drj 100th — a mail art project, dr. julius art projects, Berlin
między nami fotografia – zwischen uns Fotografie, ep.contemporary, Berlin
5.2.25 — Journal — Geburtstag
Heute mein Geburtstag, ein spezielles Datum der 5.2.25. Schreibt man es „englisch“, 25/2/5, ergeben sich 2x25=50 – mein Alter. Schönes Zahlenspiel, das ich auf eine Klappkarte schreibe, Micah Lexier hätte seine Freude.
Jetzt ist die Marke „50“ erreicht bzw. überschritten. Zum Glück gibt es Leute, die heute kommen und mir über diese Hürde hinweghelfen, die ja letztlich eine gedankliche, auf Konventionen beruhende ist.
Seit Montag Vorbereitungen, Einkaufen, Putzen, Planung von Essen und Gestaltung für ein kleines Fest – das diesmal dem Anlass entsprechend größer ausfällt. Das Motto „Zeit“ ist ausgegeben.
Diese Inszenierungen für Geburtstage macht mir immer Spaß; hier kann man sich austoben, ohne dass es große Kunst sein muss, was herauskommt, eine Art Ausstellung, aber nicht im Kontext einer Galerie, sondern im privaten Bereich der Wohnung.
Idee, aus Kalendern ein Mobile zu machen, die vielen selbstgebastelten Fotokalender einzusetzen, sie beweglich an Stangen aufzuhängen, an Ikea-Kreuzen. Parkscheiben, die ich gesammelt habe; eine davon an die Wohnngtür – eine einfache Intervention. Exemplare der „ZEIT“ draußen zwischen die Stäbe des Treppengeländers geklemmt; weitere skulptural in einem Papierkorb.
Das Beste sind Girlanden aus den Verpackungen von Teebeuteln. Die habe ich lange gesammelt, aber noch nie genau gewußt, was damit machen; habe sie gerollt, zu Stapeln zusammengeschnürt, in Bücher eingelegt, in Schachteln eingeschichtet.
Doch jetzt endlich die Idee von E. mit den Girlanden: die Papierstücke auffädeln. So lassen sich Ketten produzieren, an denen Zeit ablesbar ist, im Verbrauch, der Abfolge der Tees selbst, aber auch auf den Verpackungen, auf denen meist eine Ziehzeit angegeben ist.
Spanne sie in Bögen von der Lampe im Flur zu den Bücherregalen, das ergibt eine Art Festkrone.
Alexander Steig ist der erste, der abends kommt, er erfasst gleich die Situation und hilft noch beim Hängen; von ihm ist ein Multiple von Timm Ulrichs „AM ANFANG WAR DAS WORT AM“ und eine Fotoarbeit von ihm selbst. Roland, der Freund der Schwester von E., hat ein Zahnradmodell aus Lego gebaut, wo die Bewegung sich in immer langsamere Drehungen der Räder überträgt. Gefällt mir gut.
Susanne Thiemann kommt, trotz Augenoperation, die sie kürzlich hinter sich gebracht hat. Sie bringt einen schönen Korb mit, aus Südafrika, der zugleich wie ein Hut aussieht. Von Notburga Karl eine Plastik, drei miteinander verwobene, verknotete Brezen, aus Keramik. Hubert Kretschmer bringt, passend zum Zeit-Thema, wie eine Medizin verpackt, ein „Beschleunigungsmittel“ mit, das ich auch auch meine Person und die Tendenz zur Langsamkeit beziehe …
Und von E. ein Buch von Christoph Ransmayr, den ich ja gerne lese, „Egal wohin Baby“- Kurzromane/Geschichten von nur je ca. 2 Seiten, die sich um ein Foto drehen. Und grünen Tee aus Japan.
Und und und… Ein guter Eintritt in ein neues Jahrzehnt.
info on books, Café Babette
27.–28.1 — Journal ‑COMBO, Secession, Antikensammlung
27.1., Montag
Träume: In einem Lesesaal; an den Wänden Tische. An den Tischkanten angeklebtZettel, niedrig, so dass man sich hnkauern muss, um sie zu lesen. Darauf Wochenpläne, auf denen die Anwesenheit der Benutzer eingetragen ist. Nur dann ist eine Benutzung erlaubt, darf man Bücher länger als einige Stunden hier ablegen. Als ich vorbeigehe, spricht mich ein junge Italienerin darauf an, fragt, wie das funktioniere. Bin stolz, ihr das erklären zu können.
In einem französischem Zug/Métro. Männer mit harten Gesichtern steigen ein, fordern auf, die Billets vorzuzeigen. Habe keins, peinlich. Mit anderen Passagieren gibt es ein Handgemenge, das nutze ich, um beim nächsten Halt hinauszuspringen. Direkt neben der Tür ist ein Treppenhaus mit Fahrstuhl. Hinein und nach unten. Steige aus und fliehe, klettere über die Treppengeländer, die sich um den Fahrstuhl schlingen, weiter hinunter.
In ein WC, das groß und mit dunklem Holz getäfelt ist. Es gibt Podeste an den Wänden, als Sitz- und Ablagemöglichkeiten. Aus meinem Rucksack ist ein weißes T‑Shirt auf den Boden gefallen. Lasse mich auf einer Bank nieder und ordne mein Gepäck. Sehr schön, fast wohnlich hier. Sage das zu einer Begleiterin. Beim Verlassen sehen wir neben der Tür ein Namensschild: Ein französischer Beamter hat seine Wohnung für die Dauer von Bauarbeiten zur Verfügung gestellt.
CD von Igor Levitt mit Bach-Choralen, transkribiert für Klavier von Frederico Busoni. Recherchiere nach der Melodie des ersten, Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist. Jetzt erst verstehe ich, wo diese Melodie im Stück auftaucht – in den langen Noten der Ober bzw. Unterstimme. Und nichts ist dem Zufall überlassen: Die Triolen beziehen sich auf die Dreifaltigkeit …https://www.youtube.com/watch?v=oHFPJkxn-g4
28.1., Dienstag
Eröffnung in der Antikensammlung. Volles Haus, viele aus der Secession oder ihrem Umfeld. Treffe aber auch Daniela Comani, die ich für den Künstlerbund vorgeschlagen hatte, und die aus Berlin gekommen ist;Albert Weis, der die Ausstellung mit ausgedacht und angeleiert, sich um Förderung gekümmert hat, anfangs auch mit ausstellen sollte, dann aber wegen seiner gleichzeitigen Mitgliedschaft im Vorstand des Künstlerbunds und in einer Jury für Fördermittel seine Teilnahme zurückgezogen hatte, aus „politischen“ Gründen. Bei einer solchen Ausstellung mit zwei doch sehr unterschiedlichen Vereinen geht es eben auch um Politik. Die Grundidee sehr gut: Künstlerverbände näher zusammenzubringen, sichtbarer zu machen, unter Verweis auf eine gemeinsame Ausstellung, vor 120 Jahren, am selben Ort wie heute.
Wenn ich auch nur in der vorschlagende/auswählenden Jury war, so werde ich doch auch mit für die Kuration verantwortlich gemacht und darauf angesprochen – was dann doch zuviel der Ehre ist. So soll ich z.B. Auskunft darüber geben, ob das marmorblank glänzend polierte Ei von Karin Sander wirklich roh ist, wie im Schild angegeben … Sie selbst ist leider nicht da. Treffe Stefan Wischnewski, der sich ganz begeistert zeigt über die Ausstellung. Freut mich.
Timm Ulrichs ist auch da, inzwischen fast 85. Von ihm die Motive der Banner am Gebäude – zwei Figuren, Abformungen seines eigenen nackten Körpers, jeweils die untere oder obere Körperhälfte „eingehaust“, durch einen Kubus abgedeckt. Gute Arbeit, die auch zum Thema Figuration – Antike passt.
Er selbst sieht etwas lädiert aus, blaue Flecken im Gesicht; von einem Sturz am Bahngleis, wie ich erfahre. Doch geistig rege wie eh und je. Interessiert und gründlich sieht er sich die Ausstellung an – und besteht auf der Aushändigung des Katalogs – den er sich auch gleich in den Rollkoffer packt.
Schöne Objekte von Karen Pontoppidan, aus Silberblech; ein Bügeleisen, Nudelholz, Fleischklopfer – in einer Vitrine mit Statuetten der Sezessionszeit, Nixen etc., schön in der Anspielung auf Weiblichkeit und Stereotypen. Gut gehängt und disponiert und miteinander in Beziehung gesetzt alles, das kann Johannes Muggenthaler einfach.
Von der Antikensammlung wird gegen viertel nach neun langsam das Ende der Veranstaltung eingeläutet, in wahrstem Sinne des Wortes, mit einem Gong, mit dem Mitarbeiter durch die Räume gehen. Und dann wird auch schon mit dem Wischen angefangen; die langsame, schwingende Bewegung des Wischmops am Boden, um die Kunstwerke herum.
Aus dem Gebäude hinaus auf den Königsplatz, die Briennerstr. Hinunter. In die Pfälzer Weinstube, endlich etwas essen – die Brot- und Käsehäppchen waren schnell aus. Nette Gruppe, mit Daniela, Antonio Guidi, Karen Irmer, Patricia Wich. Am Tisch auch Tanja Fender, mit der ich mich, wie sie sich erinnert, einmal auf Russisch unterhalten hatte – so kommt das Gespräch auf Russland, den Kriege gegen die Ukraine etc. Sie merkt an, dass selbst die Propaganda in Russland nicht mehr das sei, was sie einmal war, die Sprache verroht.
Daniela Comani berichtet von ihren Berlin-Erfahrungen – gerade als sie nach dem Studium in Bologna dort war, geschah der Mauerfall – und dann war es so interessant, dass es keinen Grund mehr gab wegzugehen. Schon beneidenswert, das aus nächster Nähe mitzubekommen. Sie ist 10 Jahre älter als ich, hat auch nächste Woche Geburtstag, am 3.2. …
13.–16.1. — Journal, Paris
13.1.25, Montag, Paris
Berlin-Mannheim. Seltsamer Traum, der so gar nichts mit der Situation im Zug zu tun hat: kauere mit anderen in einer Höhle, wir singen ein Lied mit schöner, vertrauter Melodie zur Gitarre „Und am Abend ziehen Gaukler durch den Wald …. Weht der Wind mild und leis ….“
Die Nacht ziemlich hart: Unruhe (Leute telefonieren, unterhalten sich) trotz der späten Stunde, dann die dauernden Halte und Durchsagen (Stendal, Hannover, Göttingen (3 Uhr!), Frankfurt, Mannheim), der Kampf mit den Sitzen und dem Kribbeln in den Beinen, das erst besser wird, als ich mich auf einem Vierersitz ausbreite, die Füße hochlegen kann; die Anspannung und der häufige Blick aufs Smartphone, ob der Anschluss in Mannheim gegen 7 Uhr erreicht wird… Wird er, doch stehe ich auf dem zugigen Bahnsteig. Jetzt geht es flotter, auf der TGV-Trasse kann der ICE seine Geschwindigkeit ausfahren.
Gegen 10 Uhr Ankunft. War lange nicht mehr hier, zuletzt vor gut 10 Jahren, 2013? Und schon wieder begeistert, als sich die glasgedeckten Streben über mir wölben: das ist ein Bahnhof! – nicht die ewigen Baustellen und Nachkriegskonstruktionen in Deutschland. Dagegen die Strenge des Systems öffentlicher Verkehrsmittel. Gar nicht so einfach, sich eine Fahrkarte für die Metro zu besorgen. Durch Gänge und Tunnels, wesentlich ausgedehnter als in Berlin.
Unterkunft Nähe Sully/Morland, im People Marais. Dort im 7. Stock, mit guter Aussicht auf die Umgebung und weit in die Stadt. Das Zimmer minimalistisch, mit Anklängen an die 60er Jahre, Le Corbusier etc, Decke Sichtbeton, Boden dunkler Estrich.
Treffe in einem Café am Place d’Étoile Christine Demias, die ich von “Calendar 2025” im einBuch.haus her kenne, wo sie den März gestaltet hat, und auf den Call mit einem weiteren geantwortet hat, zu einer Ausstellung, und die Einladung dazu als Beitrag abgedruckt. und die ein Über Buchprojekte, und über das ABC (Artist’s Books Cooperative), eine Gruppe von Leuten, die gemeinsam auf Messen etc. auftreten. Da könnte ich mich bewerben/beitreten. Über Galerien und Buchläden, sie empfiehlt Ivon Lambert.
E. kommt an. Gang am Seine-Ufer. Sehe bei den Buchständen einen Blake & Mortimer-Comic, den ich noch nicht habe, „Les 3 formules du Prof. Sato“, der letzte, den Jacobs noch selbst gezeichnet hat. Kaufe ihn. Fühlt sich gut an, ein Buch gleich nach der Ankunft erworben zu haben.
Nôtre Dame, vor kurzem wiedereröffnet. Auf dem Bauzaun Darstellung der verschiedenen Gewerke, die Reparatur des Dachstuhls, die Steinmetzarbeiten. Als wir hineingehen und ich das neue Gewölbe sehe, bin ich so bewegt, dass es mich selbst überrascht, habe Tränen in den Augen. Denke an die Feuerwehrleute, die beim Brand 2019 ums Leben gekommen sind, die Bilder von der Verwüstung, vom eingestürzten Gewölbe der Vierung. Und jetzt diese Leistung, etwas wieder heil zu machen – unabhängig vom Glauben. Dass eine Gesellschaft so etwas noch zu Stande bringt, in nur fünf Jahren.
Ins Centre Pompidou. Heute letzter Tag der Surrealisten-Ausstellung, zu voll. Aber die ständige Sammlung ist auch beeindruckend, und es gibt vieles, das ich nicht kenne bzw. mich nicht erinnern kann, dass ich es schon einmal gesehen hätte: Eine große Installation von Beuys, ein Raum mit Filzrollen an den Wänden, isoliert, Geräusche gedämpft, in der Mitte ein Flügel. Schiffe von Anselm Kiefer, als Objekte beeindruckend, die Kombination mit Schrift/Zitaten bzw. Daten der Weltgeschichte (Seeschlachten) lädt sie zu stark mit Bedeutung auf.
Aber auch bei der Malerei einiges zu entdecken: Bilder von Derain, 2 Boote, diagonal ins Bild gesetzt und angeschnitten; interessant-rätselhafte Titel, fast literarisch: “L’homme indifferent” von Georges Ribemont, erinnert an Musils “Mann ohne Eigenschaften”. Picabia — wusste nicht mehr, dass der auch sehr gut malen konnte. Georges Renault mit seinen dunklen, schwarz umrissenen Figuren. Duchamp nicht nur mit einer schwebenden Schneeschaufel, die so aufgehängt eine besondere Präsenz bekommt, an ein Flugzeug oder auch ein Fallbei erinnert, sondern auch mit einer schönen, filigranen aufwendigen Metall-Glas-Arbeit, er hat eben nicht nur Readymades gemacht. Klee, Malerische Plakat-Abreißarbeiten von Raymond Hains …
Gegen 9 schließt das Haus; zu den Schließfächern, die als Design-Glaskuben gestaltet sind und je nach Belegung rot oder grün leuchten; sind etwas wartungsintensiv, viele sind außer Betrieb, leuchten gar nicht; Überhaupt scheint es nicht einfach, so ein großes Haus, so eine große Maschine am Laufen zu halten.
Richtung Seine, Rue de Temple. Neugierig, was sich hinter “temple” verbirgt: eine evang. Kirche; Im Café Sully Imbiss.
14.1., Dienstag
Zum Louvre/Palais Royale, wo E. in der Nähe, am INHA in der Rue Colbert, das Seminar hat. Gang durch Innenhöfe. Installation von Daniel Buren mit Säulen in verschiedenen Höhen und mit Gängen auf zwei Ebene, erschließt sich mir nicht gleich. In der Biblioteque Nationale. Der legendäre ovale Lesesaal mit dem Glasdach — als für alle offener Saal eingerichtet, mit einem “Best of” in den Regalen, zu Kunst, Theater, Film — und einem einfassenden Kreis von Bandes Dessinées. Als Bücher/Medien, mit denen sich in Frankreich fast alle identifizieren können.
Der Saal Labrouste dagegen als spezialisierter Lesesaal für Kunsthistoriker. Hier hat u.a. Benjamin gearbeitet. Immerhin kann man als Besucher eintreten und sich die mit Pflanzen und Blättern ausgemalten Gewölbe ansehen.
Am späten Nachmittag, nach dem Seminar von E., ins Musée d’Orsay. Gute Interventionen von Elmgreen/Dragset, die realistische Figuren in die Skulpturen- und Bildersammlung des 19. Jahrhunderts eingeschleust haben. Ein Junge kniet auf dem Boden vor den “Die Römer der Dècadence” und zeichnet. Hoch oben steht einer anderer auf einem Sprungturm, ein weiterer auf der Galerie, mit einem Fotoapparat.
Van Goghs Kirche in Oise: diese Entschiedenheit, mit der die Umrisse gezogen sind; hat auch etwas mit Tapferkeit zu tun, sich nicht Unterkriegen lassen. Und dann leuchten die Fenster in Blau…
15.1. Mittwoch
Im Musée des Arts et Métiers. Von außen mit der gotischen Kirche als Bestandteil bereits vielversprechend. Zunächst Ausstellung über Carbonic Footprint bzw. Emprunte du Carbon. Gut gemacht, besser als in Rom, wo wir ja im Museo della Storia Naturale waren, etwa vergleichbar. Doch die historischen Säle schon beeindruckender, mit den Sextanten, Messinstrumenten, mit der Lavoisir-Maschine zur Zusammenführung von Wasserstoff und Sauerstoff, den Waagen …
Das Beste am Schluss : Das Foucaultsche Pendel in der Église St Martin.
Zu Laurence Dumaine Calle, gleich neben St Sulpice. “Sacred Distancing” liegt auf ihrem Tisch, der grüne Punkt auf ihrer Kaffeetasse passt gut zum Sticker auf dem Cover. Zeige ihr auch “Wer ist / Chi è … Albert”.
Dann zeigt sie mir ihre Sammlung bzw. die ihres Mannes, die sie weiterführt.
Da sind Inkunablen, von Hans Peter Feldmann, Boltanski, z.T. von Bob Calle herausgegeben, Gilbert u. George, Sol Lewitt, Pennone etc. Aber auch neueres, ein Buch von Susan Hiller mit Fotos von Straßenschildern, die auf die Präsenz von Juden in Deutschland verweisen, The J.Street Project. Das passt auch zum Denkmal-Projekt.
Zu Fuß nach St Germain, auf Empfehlung von Laurence dort in eine Buchhandlung, die auf Künstlerbücher spezialisiert ist, in der Rue de l’abbaye, Delpire & co. Zeige dort “Sacred Distancing” und “Länderkennzeichen” dem Inhaber, Théophile Calot; wir vereinbaren, dass ich Exemplare vorbeibringe/schicke.
16.1. Donnerstag
Rückfahrt nach Deutschland. Geht deutlich besser als die Hinfahrt, da tagsüber.
Treffe in der Mittelhalle im Haus der Kunst Victor Sternweiler, zusammen mit Beniamino Foschini, der an der Theaterakademie Ästhetik unterrichtet. Mit ihnen in die Ausstellung von Pussy Riot, im Keller-Untergeschoss. Sehr laut, bunt, intensiv. Gut! Hut ab vor dem Kampf gegen die Staatsmacht und Polizeigewalt.
10.–13.1.25 — Journal
10.1., Montag
Unruhiger Schlaf, trotz der Müdigkeit: Die Tropfen von Regen und schmelzendem Schnee fallen laut auf die blechernen Abdeckungen der Fensterbretter, und das nicht regelmäßig-beruhigend, sondern enervierend.
Viele wilde Träume – die nach dem Aufwachen aber zerrinnen. In einen großen leeren Raum fährt auf einem Rollstuhl ein blinder Mann, der als Helfer, als Retter auftreten soll. Er breitet die Arme weit aus.
Vorbereitungen zur Parisreise, auch sprachlich. Versuche den Leuten auf Französisch zu schreiben, um mich zu üben, und auch
Le matin, après, je essaye du continuer où je ai laissé le travail le jour dernier. Comment l’usage du accent aigu ou grave pour moi n’est pas clair, je fais une recherche. J’ai étudié l’usage – mais ça sera plus un chose de s’entraîner que de en savoir.
Am Nachmittag bei der Präsentation der Künstlerbücher aus der Sammlung Marzona mit (wieder selbstverursachten) Hindernissen: Denke zuerst, es sei im Hamburger Bahnhof und radle da eilig hin doch da wissen sie nichts, dann schnell weiter zur Nationalgalerie, mit dem Rad durch den Tiergarten, voller Pfützen.
Aber lohnt sich dann: sehr intensive, konzentrierte Zeit, Michael Lailach und Kollegin von der Kunstbibliothek stellen Bücher von Hans Peter Feldmann, Boltanski u.a. vor. Dabei sind Ideen für Bilderserien, die ich auch schon hatte: etwa zerwühlte Betten morgens. Also: besser nachsehen, ob es die Idee nicht schon gibt – oder versuchen, sie anders zu machen. Das Interview-Buch mit Hans Ulrich Obrist, bei dem er auf eine Frage nonverbal antwortet, mit einem Bild – köstlich. Dass Boltanski so einen faible für Karl Valentin hatte, auch viel Komisches gemacht hat, etwa die Serie mit den fake-Selbstmorden — wußte ich nicht.
Viele bekannte Gesichter im Publikum: Erik Steinbrecher, Stefan Römer, Adib Fricke, Knut Ebeling mit Partnerin, Hanna Hennenkemper, die Professorin an der Kunstakademie Stuttgart ist; teils musste ich erst die Namen wieder hervorsuchen.
Dann, schon einmal in der Nationalgalerie, noch in der Nan Goldin-Ausstellung. Es sind eigentlich Filme, die gezeigt werden, bzw. Dia-Shows, mit Musik oder gesprochenem Kommentar, z.T. Projektionen auf mehreren Bildschirmen, in aufwendig gebauten Kinosälen/Pavillons. Vor allem der über ihre Schwester Betty, die mit 20 Selbstmord begangen hat, ist schon sehr berührend. Da haben manche Zuschauer Tränen in den Augen (ich eingeschlossen).
Auf dem Rückweg in den Wedding noch in der Perlebergerstr. vorbei, Aussstellung beim Art-Lab, mit dabei: Pfelder und Simone Zaugg mit einem Video.
Kalt, auf dem Rad.
11.1. Samstag
Schicke die Vorschläge für den Beitrag im Salon-Magazin endlich an Gerhard Theewen.
(Aufschriften aus dem Keller in DLG, Objekte mit Schild “Bitte nicht berühren”).
Nachmittags Kette von zumeist kurzen Stopps: zunächst zu einem Copyshop in der Perleberger, dann zu ep.contemporary, die dortige Gruppenausstellung ansehen, “you are invited . du bist eingeladen”. Treffe dort den Neuzugang in der Gruppe, FD Schlemme, der den Raum links bespielt mit Plastiken. Gutes Zusammenspiel, mein Eindruck. Er ist in Berlin geboren, wie sich im Gespräch herausstellt, eine der wenigen Personen, die kenne und auf die das zutrifft.
Kurz zum nahen HAUNT/frontviews, noch in einen Copyshop am Ernst-Reuter-Platz, einen Ausweis laminieren lassen.
Zum Miss-Read-Talk im Wedding. Laufe vom Leopoldplatz aus erstmal eine Runde, bis ich wieder in die Gerichtstr. finde. Viele Leute. Antonia Hirsch stellt ihre Monograhie vor, zugleich Künstlerbuch . Da gibt es manche gemeinsame Interessen, u.a. das für Indices: ein aufwendiger interpretierender/kommentierender ist bewusst in die Mitte des Buches gesetzt, neonrot gedruckt hebt er sich auch im Schnitt als zentral markiert ab. Ihn hat eine professionelle Indexspezialistin erstellt, auf Empfehlung von Dennis Duncan, wie ich später erfahre!
Interessant sprachliche Aspekte: das Gespräch ist auf Englisch (vielleicht deshalb auch so viele Teilnehmer?); Antonia führt es mit Gill Partington, Buchwissenschaftlerin, die ein sehr schönes britisches Englisch spricht. Bei Antonia, die perfekt ein amerikanisch/kanadisch gefärbtes Englisch spricht, merkt man erst bei einigen deutschen Ausdrücken (Nachlass, Staffelung), dass sie keine englische Muttersprachlerin ist.
Jayne Wilkinson, Publizistin und Lektorin, blättert im Buch, das per Smartphone gefilmt und dann projiziert wird – gute Art der Präsentation.
Kaufe ein Exemplar. Danach in eine Pizzeria in der Gerichtstr, “Sotto”. Michalis, Annette Gilbert, Gill , Jayne, Antonia mit Partner. Nette Runde. Das fehlt mir sonst häufig nach Veranstaltungen. Auch Annette G. ist eine gebürtige Berlinerin, Ost.
In Roland Barthes “Journal du deuil”. Es wird spät.
12.1. Sonntag
An den E‑mail-Einladungen zum Geburtstag; bis da der kleine Text zum Thema “Zeit” geschrieben, das Bild herausgesucht und eingefügt ist, das mit den drei Uhren, dauert es doch etwas.
Nationalgalerie, noch einmal in der Künstlerbuchausstellung. Ohne Führung und ohne Innenansicht der Bücher ist sie freilich weniger interessant; auch die Filme, in denen die Bücher durchgeblättert werden, vermitteln sie nur bedingt.
Zur Finissage der Ausstellung Anonyme Zeichner. im Kunstraum Kreuzberg. Treffe Bettina Huschek, zeige ihr meine Zeichnung. Ihre Arbeit ist verkauft worden, es war eine Schreibmaschinenzeichnung, mit Klammern, die nach unten hin sich auflösen, wegbröseln. Sie muss dann weiter, fliegt noch nach Malta. Hätte mir den Aufenthalt in der Neuen Nationalgalerie sparen oder früher dorthin sollen; Jetzt habe ich Leute verpasst, mit denen ich mich locker verabredet hatte, oder die Zeit mit ihnen ist knapp.
Kaufe schließlich noch eine Zeichnung, die von Isabelle Dyckerhoff. Diesmal geht die Abwicklung glatt vor sich, anders als beim letzten Mal, als mir “der Saft ausging”. 250 € für eine derart dichte Zeichnung, das ist eigentlich nicht viel.
Treffe noch einen Bekannten, Jakob Kirchheim, mit ihm durch die Ausstellung. Er hat hier einen Film in der Sektion “lines of fiction”. Eine Filmregisseurin befragt uns über Zeichentechniken.
Danach zurück nach Hause.
Um 23.35 Zug nach Mannheim, weiter nach Paris. Habe mir fest vorgenommen, rechtzeitig loszugehen; doch dann wird es wieder knapp: bis alles abgespült und aufgeräumt ist, alles gepackt und angezogen; in der U‑Bahn fahre ich, unkonzentriert und auf das Handy schauend, in die falsche Richtung, wieder aussteigen und retour, bis Gesundbrunnen; der Regionalzug von dort bis zum Hauptbahnhof fährt erst mit 15 Minuten Abstand, ließe mir nur 3 Minuten zum Umsteigen – sehr wenig. Nehme ein Taxi, die Fahrtdauer unter 10 Minuten.
Glücklich im Zug.