Für die Publikation zur Ausstellung Faktor X — das Chromosom der Kunst entstand 2017 ein Essay, der die legendäre Filmfigur King Kong, ihre Adaptionen in der Austellung und das Haus der Kunst in Beziehung setzt und dabei auf das Thema von Weiblichkeit/Männlichkeit eingeht, das in der Ausstellung verhandelt wird.
„King Kong ist ein Reisender. Sein Weg führt aus dem Dschungel mitten ins Zentrum der Zivilisation und von der Leinwand in die Köpfe. Der Riesengorilla ist zu einem festen Bestandteil des kollektiven Imaginären geworden, zu einem mythischen Gemisch, einer Verquickung aus Archetypen, das in seiner Bedeutung zugleich offen und bestimmt ist“[1]
King Kong, Filmikone, Idol des Hollywoodkinos und der Liebhaber von Special Effects, eine Ausstellung mit dem Titel „Faktor X“, das Haus der Kunst, wie passt das alles zusammen? Überraschend gut: nicht nur erschien 2017 ein neues Remake des Films, auch Themen, die in der Ausstellung immer wieder begegnen, Größe, Genetik, Geschlechterrollen und künstlerische Selbstbilder sind in dieser Figur präsent und lassen sich mit ihr verknüpfen.
Beides, der erste King-Kong-Film (1933) und das Haus der Kunst (1937) und sind Produkte der 1930er Jahre und ihrer Liebe zum Gigantischen, Monumentalen, Machbaren. Es ist ein Paradox, dass im Film alle technischen Tricks aufgefahren werden, um eine möglichst primitive, urtümliche Welt zu erzeugen, deren Muster Kong ist – die dann mit der „realen“ Gegenwart in Kontrast gesetzt wird. Für die technische Errungenschaft stehen Autos, Trambahnen, Flugzeuge, aber vor allem Architektur, Wolkenkratzer, insbesondere das damals gerade fertiggestellte Empire State Building, auf dem Kongs letzter Kampf stattfindet. Im Remake von 1976 sind es die Türme des World Trade Centers. Größenwahn, Selbstüberschätzung, unheimliche Bedrohung und Zerstörung verbreiten sich als Motive über den Filmplot hinaus in die Vorstellung der Zuschauer.
King Kong als vielfach aufgeladene Figur steht für Wildheit, Kraft, Gewalt, das Unzivilisierte, Urwüchsige, von dem die Zivilisation und der Mensch der Moderne träumt. Schon der Beiname „King“ verweist auf Größe, aber auch auf eine „großartige“, unzeitgemäße Herrschaftsform eines Einzelnen, das Königtum, nicht der verkleinernden Legitimation durch demokratische Prozesse unterworfen. Es ist mehr als eine Anekdote, dass King Kong einer der Lieblingsfilme Hitlers war, den er sich mehrfach vorführen ließ.[2]
Eine Frage wird im King Kong Klassiker nicht recht beantwortet oder stellt sich gar nicht: Wie ist der Gorilla zu solch riesenhafter Größe herangewachsen?
Im jüngsten Remake oder besser spin-off, Kong: Skull Island (2017) ist, wie bei den Godzilla-Filmen, die Frage geklärt: Die Größe ist Ergebnis genetische Mutationen, ausgelöst von radioaktiver Strahlung nach Bombentests im Pazifik. Der Riesengorilla bekommt dadurch verstärkt eine politische, zeitkritische Dimension[3]: Wie bei der Geschichte vom Zauberlehrling werden Geister gerufen, die der Mensch nicht los wird, die sich am Ende gegen ihn selbst wenden; die Natur schlägt zurück, gegen die Menschen-Männer und ihre Technik selbst. Hierfür steht die lange Sequenz, in der Kong Hubschrauber zerschmettert und explodieren lässt; Auslöser für Kongs Riesenhaftigkeit ist also fehlgeleitete Technik, der Größenwahn der Menschheit an sich.
Gegenüber der Urfassung ist dies eine nachgelieferte Erklärung und Rationalisierung: Dort existiert der Riesenaffe einfach, ist verknüpft mit Neugier und Faszination durch das Fremde, Exotische, Dunkle, dem Topos der geheimnisvollen Insel, auf der sich Relikte der Urzeit erhalten haben, siehe auch der Tyrannosaurus Rex, der noch vor King Kong die Bühne betritt. Die Riesenechse signalisiert ihre Herkunft aus der Vorgeschichte, schlägt die Brücke zum Sagenhaften, Phantastischen als Drachengestalt. Der Saurier weist auf die Hauptfigur voraus, mit der er sich später einen heftigen Kampf liefert. Zwei Herrscher kämpfen, zwei Könige der Vorzeit, „Rex“ und „King“, von denen dann doch der menschenähnliche, sympathische siegt. Kong hat eine interessante Zwischenposition zwischen Tier und Mensch, wird zum Beschützer, Beherrscher aber auch Beherrschten eines Gegenüber, einer Frau.
“It was beauty killed the beast.” ‑ Geschlechterkämpfe und Phantasien
Der deutsche Filmtitel von 1933 fügt zu „King Kong“ „und die weiße Frau“, stellt den Kern des Plots mit zwei polaren Figuren in den Vordergrund (unter Verwendung kolonial/rassistisch geprägter Stereotypen). Der männliche Gorilla, der sich in eine Frau verliebt und sie raubt, schließlich zugrunde geht: Hier sind Geschlechterrollen und ‑bilder abzulesen: Schönheit (assoziiert mit der Farbe Weiß) ist dem Weiblichen vorbehalten, und sie wird dem urwüchsigen Affen schließlich zum Verhängnis: Durch Verlangen getrieben, begibt sich Kong in Gefahr und kommt darin um. Nicht Flugzeuge und Maschinengewehre, damit moderne Technik, sondern „Schönheit hat die Bestie umgebracht“ – dies der letzte, resümierende Satz im Film von 1933. Hier ist ein Rest des romantischen Schönheitskults des 19. Jahrhunderts auszumachen und des Topos, dass Schönheit, Eros und Tod eng miteinander verknüpft sind, siehe etwa August von Platens Zeilen aus Tristan und Isolde (1825): „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, / Ist dem Tode schon anheimgegeben, / Wird für keinen Dienst auf Erden taugen.“
Damit ist die Figur in eine Reihe ähnlich legendär-mythologischer Beziehungen gestellt, zwischen Mensch-Tier, aber noch mehr zwischen Mann-Frau. Der Frau fällt häufig die Rolle einer bezaubernden Verführerin zu, die den Helden ablenkt, schwach werden lässt und ins Verderben führt: „Wie in der alttestamentarischen Version Samsons Kraft von Delila geraubt wird, so wird auch Kongs Macht durch die schöne Frau gebrochen.“[4] Oder aber die Frau findet sich in der Rolle eines seiner Attraktivität wegen ausgewählten Opfers, um mächtige Monster zu besänftigen, siehe etwa Ariadne, die dem Minotaurus, dem Mischwesen aus Mann und Stier, oder Andromeda, die dem Seeungeheuer Keto dargebracht wird. Die wechselseitige Anziehung und Abstoßung zwischen Tier und Frau, Hässlichkeit und Schönheit, Alter und Jugend, Schwarz und Weiß hat sich auch im Märchen The Beauty and the Beast niedergeschlagen (2017 ebenfalls neu verfilmt), wo das Tier freilich nicht getötet, sondern im märchenhaften Umschwung in einen Mann verwandelt und für eine glückliche Partnerschaft gerettet wird.
Interessant ist es, wie sich in den Adaptionen der King Kong-Figur Veränderungen der Geschlechterrollen und Mentalitäten ablesen lassen: John Guillermins Remake von 1976 zeigt intimere, erotisch noch aufgeladenere Momente als die Originalversion, atmet den Geist der sexuellen Revolution und ansatzweise von Emanzipationsversuchen: Die Frau schlägt angesichts seines Blickes den Rock um die nackten Beine; Kong nähert sich neugierig-lüstern an, wobei nur seine Hand und seine riesigen phallusartigen Finger zu sehen sind. Er streichelt sie zärtlich mit dem dicken, behaarten Zeigefinger, zupft an ihrer Brust, will sie entblößen. Diese kaum verhüllten Vergewaltigungsversuche quittiert sie mit einem wütenden „You goddam chauvinist pig ape!“ versucht es dann angesichts der Machtverhältnisse mit einem besänftigenden „We are going to be great friends“. Schließlich sitzt er nachdenklich da und betrachtet sie, bis zu Fluchtversuch, Zornausbruch, Verfolgung und erneutem Einfangen. Dann duscht er sie an einem Wasserfall, bläst sie trocken, während sie wollüstig stöhnt. Hier sind Männer- und Frauenphantasien inszeniert und anstrengende menschliche Beziehungsarbeit in ihrem Auf- und Ab, in ihrer Widersprüchlichkeit parodiert: „Forget about me. This is never going to work“ sagt sie.
30 Jahre später, im Remake von 2005, ist die Beziehung wesentlich weniger auf Konfrontation, auf Überwältigung und Inbesitznahme der Frau durch das männliche Tier ausgelegt, auch weniger als die Fassung der 1930er Jahre, wo weibliche Rolle vor allem im panisch-passiven Kreischen und hysterischen Zappeln im Griff der Riesenhand besteht. Natürlich können diese Momente nicht fehlen, aber es gibt auch Szenen, in denen sich eine spielerische Partnerschaft andeutet, etwa im gemeinsamen Rutschen auf dem zugefrorenen See im Central Park. Der ungelenke Riesenaffe und die kleine weiße Frau, verkörpert von Naomi Watts, sie führen gemeinsamen einen Tanz auf, während an den Bäumen Christbaumkugeln leuchten. Ein musicalhafter, romantischer Moment, eine Utopie der Symbiose der Geschlechter und zwischen Mensch und Tier, Fremdem und Einheimisch-Vertrauten, in dem das Furchteinflößende der Figur ganz in den Hintergrund tritt. Und später sucht die Frau das Monster zu verteidigen, als es von den Flugzeugen beschossen wird. Eine Andeutung von Rollentausch.
Der Schönheitsbegriff ist erweitert, von der körperlichen Attraktion durch die Frau hin zum allgemeinen Naturschönen: Beim Blick in den Sonnenuntergang, noch auf der Insel, legt die Frau ergriffen die Hand aufs Herz – eine Gebärde, die der Gorilla als Beispiel gelungener Kommunikation der Geschlechter gegen Ende des Films wiederholt, als beide in ähnlicher Situation auf dem Wolkenkratzer sitzen. Schönheit suchen, erleben, teilen – und sterben.
Remakes: Gorillas in der künstlerischen Auseinandersetzung
King Kong ist eine Ikone der Popkultur, die zur Auseinandersetzung, ja zur ironischen Identifikation einlädt, die immer wieder aktualisiert, hervorgeholt, parodiert wird. In einer Art vorgezogener Parallelaktion zu Peter Jackson macht sich 2002 der Künstler Gregor Passens an ein persönliches „Remake“: Er lässt Kong wiederauferstehen, in der historischen Aula der Akademie der Bildenden Künste München, die damals gerade umfangreich renoviert wird, als Großskulptur aus Baugerüst und Dachpappe, was den großmöglichsten Kontrast zur Architektur schafft, gleichzeitig Elemente der Außenrenovierung appropriiert.
Dabei kommt ein Ansatz von Skulptur zum Tragen, der implizit durchaus etwas „Männliches“ hat oder mit solchen Zuschreibungen (groß, raumgreifend, aggressiv, Lust am Bauen) in hypertropher Übererfüllung spielt. Gleichzeitig nimmt Passens seine eigene Rolle aber auch aufs Korn, indem er sich selbst anstelle der „weißen Frau“ als Großfoto dem Gorilla in die Hand drückt – der Künstler als Opfer seiner eigenen Geschöpfe oder seiner Gigantomanie? Des Zwangs zur Größe? Inzwischen ließ Passens Kong, wie er die Figur nennt, um ihr mehr Allgemeinheit zu verleihen, an verschiedenen Orten auftreten, in Tirana, Santiago de Chile oder eben unter dem Titel Kong is back in München. Damit verweist er auf Kong als universellen Reisenden, der je nach Kontext anders aussieht und mit seiner Umgebung in Beziehung tritt (vor orthodoxen Ikonen wie in Tirana, in den Hallen des Haus der Kunst, wo in den 1930er/40er Jahren Skulpturen von schönen weißen Frauen gezeigt wurden) – und einen visuellen clash von High und Low, von Groß und Klein hervorruft.
Auch jenseits der Größendimension lädt die Figur des Affen King Kong zu Maskierungen und Identifikationen ein: Die Guerilla Girls, eine Gruppe feministischer Kunstaktivistinnen, treten seit Mitte der 1980er Jahre in Gorilla-Masken auf: Nicht nur wird so Anonymität gewahrt, wodurch die Akteurinnen unbehelligt agieren können; es findet gleichzeitig ein Rollentausch, eine Aneignung statt, steht doch der Gorilla für männliche Aggressivität, Stärke und Macht. Im Hintergrund steht das Spiel mit den ähnlichen Wörtern Gorilla-Guerillia, also eine Form des unabhängigen, beweglichen Kleinkriegs. Mit der Maske des zotteligen Affen, der die Zähne fletscht, ist das Gegenbild zum Stereotyp der schönen Frau mit glatter Haut und gepflegten Haaren gewählt, wie es im Film, aber auch in Werken der Hochkunst als Sujet vorkommt, etwa in Ingres’ lasziver Odaliske (1814) – der die Guerilla Girls einfach ebenfalls eine Affenmaske aufstülpen. Mit der Maske verdecken sie Gesicht und damit Individualität, lenken den Blick auf den nackten weiblichen Körper, der als Daseinsberechtigung in Museen hinterfragt wird.
Ganz dezidiert auf King Kong als in der Film- und Populärkultur verankerten Mythos bezieht sich die Künstlerin Daniela Comani, die sich immer wieder künstlerisch mit Geschlechterrollen auseinandersetzt, sich etwa in der Serie A happy marriage als Frau und Mann zugleich darstellt. In ihrer Serie My Film History (2009) nimmt sie sich Cover von Filmklassikern vor, vertauschte alle männlichen und weiblichen Bezeichnungen und Namen. So entstehen etwa „Papa Roma“, oder „The Godmother“. Für „King Kong“ ergibt sich „Queen Kong“ – was gerade diesen oft gehörten, zur Marke gewordenen Namen verblüffend stark verfremdet und unsere Vorstellungswelt durcheinanderbringt: Der Gleichklang ist aufgehoben, das langgezogene ‚Queen’ ist etwas völlig anderes als das kurze ‚King’, das Brusttrommeln, das man mit den zwei nachklingenden Silben verbindet, kann sich nicht mehr einstellen. Ganz andere Assoziationen und Personen kommen in den Sinn (Queen Mum, Queen Elizabeth…). Dem sprachlich minimalen Eingriff folgt ein visueller: Auch die Gestalt in der Hand der Äffin scheint nun männliche Züge zu tragen. Man fühlt sich angeregt, zu Gedankenspielen veranlasst: Was wäre, wenn …?
Kong ist also selbst unter vertauschten Vorzeichen weiter präsent – und als Figur, als Bild zwischen Offenheit und Bestimmtheit so robust, dass er (oder sie) alle möglichen Verwandlungen aushält.
[1] Johan Frederik Hartle: Die Monster, die ich rief. King Kong im kollektiven Imaginären, in: Florian Matzner (Hg.): Gregor Passens: Flying Walls, Frankfurt/Main 2002, 17.
[2] Vgl. Volker Koop: Warum Hitler King Kong liebte, aber den Deutschen Micky Maus verbot: die geheimen Lieblingsfilme der Nazi-Elite, Berlin 2015.
[3] Im Remake der 1970er Jahre steht ein ähnlicher Frevel der Menschen gegen die Natur im Hintergrund: die Gier nach Öl, die eigentliche Motivation für die Expedition in den Pazifik – unschwer erkennt man die Ölpreiskrise und das erwachende ökologische Bewusstsein.
[4] Hartle 2002, 18.