Installation, 2020
15. RischArt_Projekt 2020 JAJA NEINNEIN VIELLEICHT, Gasteig, Munich
Es erscheint das Künstlerheft Albert Coers: Gasteig-Encounters und ein Katalog im Icon-Verlag Hubert Kretschmer.
Der Gasteig in München, 1985 eröffnet, ist ein riesiger Baukomplex, nach eigener Angabe „Europas größtes und erfolgreichstes Kulturzentrum“, mit Konzert- und Vortragssälen, Übungsräumen für Musiker, Bibliotheken, der Volkshochschule, Ticketschaltern, Cafés etc. Tausende von Menschen gehen täglich ein und aus, und jeder Quadratmeter des Gebäudes ist besetzt mit Flyern und Postern zu Veranstaltungen, mit Hinweis- und Warntafeln, visuellen Elementen, die auf die unterschiedlichsten Funktionen verweisen.
In vorgefundenen Situationen werden Bilder installiert, die gar nicht hierher zu gehören scheinen, schwarz-weiße Begriffe der Gebärdensprache. Realer Raum trifft auf Sprache. Es entstehen Text-Bild- bzw. Bild-Bildkombinationen.
Das Bildmaterial stammt aus einem 1985 in Ostberlin erschienenen Wörterbuch der deutschen Gebärdesprache, also aus demselben Jahr wie das Gasteig-Gebäude, und wurde, neben der faszinierenden Bildästhetik, auch deshalb gewählt. Interessant ist diese zeitliche Übereinstimmung bei gleichzeitigem Kontrast: Bilder und Gebäude stammen aus unterschiedlichen geographischen Bereichen, aus Ostberlin, Hauptstadt der DDR, im Nord-Osten, und aus München, damals „heimliche Hauptstadt“ der Bundesrepublik, im Süden.
Es treffen ganz unterschiedliche Ästhetiken aufeinander: hier das Schwarz-Weiß, die Reduktion der Bewegungen auf graphische Pfeile, die Strenge eines Lexikons, dort die üppig-postmoderne Architektur mit einer Überfülle an Farben, Mustern, visuellen Informationen (etwa Teppich, Backstein).
Die Wörter beziehen sich auf Vorgefundenes, auf Vorgänge, häufig auf Bewegungen, die Entsprechung in denen der Hände finden: „Wind“: es zieht am Eingang, von innen dringt Gebläseluft heraus, die Türen gehen pausenlos auf und zu. Die Gebärde lässt sich mit einem in die Luft geschriebenen Schriftzug assoziieren, etwa einem ‚e‘. Bewegung findet statt im Fahrstuhl, in der Vertikalen (was mit der Gebärde für eine Zeitlichkeit, „jetzt“, kombiniert ist), mit der Rolltreppe, die auf und ab läuft, hier die Handbewegung „ständig“, die Rotationen beschreibt. Bei „Land/Nation“ ist mit den Händen eine runde Fläche abgegrenzt – assoziativ verbunden mit den Stehtischen, die ein Ort der Kommunikation sein sollen, aber auch ein Ort sein können, den man für sich in Beschlag nimmt, beansprucht.
„Blick“, dargestellt mit einer schräg vom Auge ausgehenden Bewegungslinie, einem Sehstrahl, weist in den von Fluchtlinien geprägten Raum der Eingangshalle. Diagonal gegenüber, an der Garderobe, befindet sich „aufmerksam, aufpassen“. Die Frau auf dem Bild könnte man sich gut als Garderobenfrau vorstellen.
Bei „rot“ ist auf die Farbe des Teppichs angespielt (sie findet sich im Gasteig vielfach wieder) – dargestellt durch ein Zeigen auf die Lippen. Der (eigene) Körper dient als Bezugspunkt, um etwas Abstraktes zu veranschaulichen. Das Deuten auf die Lippen kann auch als Assoziation mit Lippenbewegungen/Sprechen gelesen werden.
Die nach oben diagonal ansteigende Linie der Rolltreppe korrespondiert mit einer ähnlich gerichteten Gebärde, die „Zukunft“ beschreibt. Die Rolltreppe ist dabei ein architektonisches Element, das zumal in den 1980ern als besonders modern galt und auch deshalb so prominent im Raum steht.
Manche Gebärdenkombinationen erschließen sich erst, wenn man dem Betrieb im Gasteig etwas zusieht. An der Pforte etwa holen Musikstudenten und Dozenten Schlüssel oder gebe sie ab. Gegenstände werden übergeben, Vorgänge abgeschlossen. Die Handbewegung zeigt zum Ausgang.
Die Begriffe sind so gewählt, dass sie in einzelnen Kombinationen funktionieren, aber auch zusammen mit anderen, untereinander: Es lassen sich satzähnliche Kombinationen bilden, z.B. „ständig Wind“, „jetzt rot“, „innen Buch“, „Kapitalismus fertig“…
Gasteig-Encounters, 2020
The artist’s booklet Albert Coers: Gasteig-Encounters and a catalogue are published by Icon-Verlag Hubert Kretschmer.
The Gasteig in Munich, opened in 1985, is a huge building complex, according to its own statement ‘Europe’s largest and most successful cultural centre’, with concert and lecture halls, rehearsal rooms for musicians, libraries, the adult education centre, ticket offices, cafés, etc. Thousands of people go in and out every day, and every square metre of the building is with flyers and posters about events, information and warning signs,
visual elements that refer to a wide variety of functions.
Images are installed in found situations that don’t seem to belong here at all, black and white sign language terms. Real space meets language. Text-image and image-image combinations are created.
The visual material comes from a dictionary of German sign language dictionary of German sign language published in East Berlin in 1985, the same year as the Gasteig building, and was chosen not only for its fascinating visual aesthetics but also chosen for this reason. What is interesting is this coincidence in time contrast: the images and the building come from different geographical geographical areas, from East Berlin, the capital of the GDR, in the north-east, and from Munich, then the ‘secret capital’ of the Federal Republic, in the south. Very different aesthetics come together: here the black and white, the reduction of movements to graphic arrows, the austerity of a lexicon, there the opulent postmodern architecture with an overabundance of colours, patterns, visual information (e.g. carpet, brick).
The words refer to things found, to processes, often to movements that find correspondence in those of the hands: ‘Wind’: there is a draught at the entrance, blown air seeps out from inside, the doors open and close without pause. The gesture can be associated with a letter written in the air, such as an ‘e’. Movement takes place in the lift, in the vertical (which is combined with the gesture for a temporality, ‘now’), with the escalator that runs up and down, here the hand movement ‘constantly’, which describes rotations. In ‘Land/Nation’, a round area is demarcated with the hands — associatively linked to the high tables, which are intended to be a place of communication, but can also be a place that one takes over, claims for oneself.
‘Blick’, depicted with an oblique line of movement emanating from the eye, a ray of vision, points into the space of the entrance hall, which is characterised by vanishing lines. Diagonally opposite, at the cloakroom, is ‘attentive, watch out’. The woman in the picture could easily be imagined as a cloakroom attendant.
Red’ alludes to the colour of the carpet (which is often found in the Gasteig) — represented by pointing to the lips. The (own) body serves as a point of reference to visualise something abstract. Pointing to the lips can also be read as an association with lip movements/speaking.
The diagonally ascending line of the escalator corresponds with a similarly directed gesture that describes the ‘future’. The escalator is an architectural element that was considered particularly modern, especially in the 1980s, which is why it is so prominent in the room.
Some combinations of gestures only become apparent when you watch the activity in the Gasteig. At the gate, for example, music students and lecturers collect keys or hand them in. Objects are handed over, procedures are finalised. The hand gestures towards the exit.
The terms are chosen so that they work in individual combinations, but also together with others, with each other: sentence-like combinations can be formed, e.g. ‘constantly wind’, ‘now red’, ‘inside book’, ‘capitalism finished’…