10.1., Montag
Unruhiger Schlaf, trotz der Müdigkeit: Die Tropfen von Regen und schmelzendem Schnee fallen laut auf die blechernen Abdeckungen der Fensterbretter, und das nicht regelmäßig-beruhigend, sondern enervierend.
Viele wilde Träume – die nach dem Aufwachen aber zerrinnen. In einen großen leeren Raum fährt auf einem Rollstuhl ein blinder Mann, der als Helfer, als Retter auftreten soll. Er breitet die Arme weit aus.
Vorbereitungen zur Parisreise, auch sprachlich. Versuche den Leuten auf Französisch zu schreiben, um mich zu üben, und auch
Le matin, après, je essaye du continuer où je ai laissé le travail le jour dernier. Comment l’usage du accent aigu ou grave pour moi n’est pas clair, je fais une recherche. J’ai étudié l’usage – mais ça sera plus un chose de s’entraîner que de en savoir.
Am Nachmittag bei der Präsentation der Künstlerbücher aus der Sammlung Marzona mit (wieder selbstverursachten) Hindernissen: Denke zuerst, es sei im Hamburger Bahnhof und radle da eilig hin doch da wissen sie nichts, dann schnell weiter zur Nationalgalerie, mit dem Rad durch den Tiergarten, voller Pfützen.
Aber lohnt sich dann: sehr intensive, konzentrierte Zeit, Michael Lailach und Kollegin von der Kunstbibliothek stellen Bücher von Hans Peter Feldmann, Boltanski u.a. vor. Dabei sind Ideen für Bilderserien, die ich auch schon hatte: etwa zerwühlte Betten morgens. Also: besser nachsehen, ob es die Idee nicht schon gibt – oder versuchen, sie anders zu machen. Das Interview-Buch mit Hans Ulrich Obrist, bei dem er auf eine Frage nonverbal antwortet, mit einem Bild – köstlich. Dass Boltanski so einen faible für Karl Valentin hatte, auch viel Komisches gemacht hat, etwa die Serie mit den fake-Selbstmorden — wußte ich nicht.
Viele bekannte Gesichter im Publikum: Erik Steinbrecher, Stefan Römer, Adib Fricke, Knut Ebeling mit Partnerin, Hanna Hennenkemper, die Professorin an der Kunstakademie Stuttgart ist; teils musste ich erst die Namen wieder hervorsuchen.
Dann, schon einmal in der Nationalgalerie, noch in der Nan Goldin-Ausstellung. Es sind eigentlich Filme, die gezeigt werden, bzw. Dia-Shows, mit Musik oder gesprochenem Kommentar, z.T. Projektionen auf mehreren Bildschirmen, in aufwendig gebauten Kinosälen/Pavillons. Vor allem der über ihre Schwester Betty, die mit 20 Selbstmord begangen hat, ist schon sehr berührend. Da haben manche Zuschauer Tränen in den Augen (ich eingeschlossen).
Auf dem Rückweg in den Wedding noch in der Perlebergerstr. vorbei, Aussstellung beim Art-Lab, mit dabei: Pfelder und Simone Zaugg mit einem Video.
Kalt, auf dem Rad.
11.1. Samstag
Schicke die Vorschläge für den Beitrag im Salon-Magazin endlich an Gerhard Theewen.
(Aufschriften aus dem Keller in DLG, Objekte mit Schild “Bitte nicht berühren”).
Nachmittags Kette von zumeist kurzen Stopps: zunächst zu einem Copyshop in der Perleberger, dann zu ep.contemporary, die dortige Gruppenausstellung ansehen, “you are invited . du bist eingeladen”. Treffe dort den Neuzugang in der Gruppe, FD Schlemme, der den Raum links bespielt mit Plastiken. Gutes Zusammenspiel, mein Eindruck. Er ist in Berlin geboren, wie sich im Gespräch herausstellt, eine der wenigen Personen, die kenne und auf die das zutrifft.
Kurz zum nahen HAUNT/frontviews, noch in einen Copyshop am Ernst-Reuter-Platz, einen Ausweis laminieren lassen.
Zum Miss-Read-Talk im Wedding. Laufe vom Leopoldplatz aus erstmal eine Runde, bis ich wieder in die Gerichtstr. finde. Viele Leute. Antonia Hirsch stellt ihre Monograhie vor, zugleich Künstlerbuch . Da gibt es manche gemeinsame Interessen, u.a. das für Indices: ein aufwendiger interpretierender/kommentierender ist bewusst in die Mitte des Buches gesetzt, neonrot gedruckt hebt er sich auch im Schnitt als zentral markiert ab. Ihn hat eine professionelle Indexspezialistin erstellt, auf Empfehlung von Dennis Duncan, wie ich später erfahre!
Interessant sprachliche Aspekte: das Gespräch ist auf Englisch (vielleicht deshalb auch so viele Teilnehmer?); Antonia führt es mit Gill Partington, Buchwissenschaftlerin, die ein sehr schönes britisches Englisch spricht. Bei Antonia, die perfekt ein amerikanisch/kanadisch gefärbtes Englisch spricht, merkt man erst bei einigen deutschen Ausdrücken (Nachlass, Staffelung), dass sie keine englische Muttersprachlerin ist.
Jayne Wilkinson, Publizistin und Lektorin, blättert im Buch, das per Smartphone gefilmt und dann projiziert wird – gute Art der Präsentation.
Kaufe ein Exemplar. Danach in eine Pizzeria in der Gerichtstr, “Sotto”. Michalis, Annette Gilbert, Gill , Jayne, Antonia mit Partner. Nette Runde. Das fehlt mir sonst häufig nach Veranstaltungen. Auch Annette G. ist eine gebürtige Berlinerin, Ost.
In Roland Barthes “Journal du deuil”. Es wird spät.
12.1. Sonntag
An den E‑mail-Einladungen zum Geburtstag; bis da der kleine Text zum Thema “Zeit” geschrieben, das Bild herausgesucht und eingefügt ist, das mit den drei Uhren, dauert es doch etwas.
Nationalgalerie, noch einmal in der Künstlerbuchausstellung. Ohne Führung und ohne Innenansicht der Bücher ist sie freilich weniger interessant; auch die Filme, in denen die Bücher durchgeblättert werden, vermitteln sie nur bedingt.
Zur Finissage der Ausstellung Anonyme Zeichner. im Kunstraum Kreuzberg. Treffe Bettina Huschek, zeige ihr meine Zeichnung. Ihre Arbeit ist verkauft worden, es war eine Schreibmaschinenzeichnung, mit Klammern, die nach unten hin sich auflösen, wegbröseln. Sie muss dann weiter, fliegt noch nach Malta. Hätte mir den Aufenthalt in der Neuen Nationalgalerie sparen oder früher dorthin sollen; Jetzt habe ich Leute verpasst, mit denen ich mich locker verabredet hatte, oder die Zeit mit ihnen ist knapp.
Kaufe schließlich noch eine Zeichnung, die von Isabelle Dyckerhoff. Diesmal geht die Abwicklung glatt vor sich, anders als beim letzten Mal, als mir “der Saft ausging”. 250 € für eine derart dichte Zeichnung, das ist eigentlich nicht viel.
Treffe noch einen Bekannten, Jakob Kirchheim, mit ihm durch die Ausstellung. Er hat hier einen Film in der Sektion “lines of fiction”. Eine Filmregisseurin befragt uns über Zeichentechniken.
Danach zurück nach Hause.
Um 23.35 Zug nach Mannheim, weiter nach Paris. Habe mir fest vorgenommen, rechtzeitig loszugehen; doch dann wird es wieder knapp: bis alles abgespült und aufgeräumt ist, alles gepackt und angezogen; in der U‑Bahn fahre ich, unkonzentriert und auf das Handy schauend, in die falsche Richtung, wieder aussteigen und retour, bis Gesundbrunnen; der Regionalzug von dort bis zum Hauptbahnhof fährt erst mit 15 Minuten Abstand, ließe mir nur 3 Minuten zum Umsteigen – sehr wenig. Nehme ein Taxi, die Fahrtdauer unter 10 Minuten.
Glücklich im Zug.