16.11.2024 — 12.1.2025
Anonyme Zeichner / Anonymous Drawings 2024, Kunstraum Kreuzberg, Berlin
Miss Read, Art Book Fair & Festival, HKW, Berlin
RE:VISION – 20 Jahre Kunstverein Tiergarten, Berlin
Journal Berlin-Warschau
4.8.24, Sonntag
Am Vortag der Abfahrt nach Warschau noch einmal Museumstag — und unerwartete Einstimmung auf die Reise nach Osteuropa durch einen Aufenthalt im Berliner Osten: Nachdem die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie überfüllt ist (letzer Tag und kostenloser Museums-Sonntag), zum Stasi-Museum in Lichtenberg. Dort war ich noch nie.
Original-Architektur, mit dem pavillonartig überbauten Eingangsbereich aus ornamentalen Betonelementen – die, wie man später erfährt, nicht zuletzt der Abschirmung der Ankommenden gegen Blicke dienten. Sehr viel auch von der Möblierung noch im bauzeitlichen Zustand der 1950er/60er Jahre. Das Haus wird so gleichzeitig zum Architektur- und Designmuseum und übt so einen – ungeplanten – Reiz aus. Da wäre interessant, inwiefern sich das Ost-Design sich vom zeitgleichen im Westen unterschied, oder ab wann sich da ein eigener Stil entwickelte. Vielleicht noch mehr Hang zum Konstruktiven, Geradlinigen, während es im „Westen“ eher runde, geschwungene Formen waren, siehe die Nierentische etc. Funktionale Elemente neben repräsentativen, z.B. Schiebewände, gestaffelt hintereinander, für die Präsentation von Landkarten. Wuchtige Sessel, mit leuchtend blauen Bezügen, in denen man sich die MfS-Funktionäre bei ihren Sitzungen gut vorstellen kann.
Obwohl man bereits viel weiß: Der Umfang der Bürokratisierung, Katalogisierung, Archivierung der Beobachtungen und Unterlagen über die Observierten doch ganz erstaunlich, v.a. im Stasi-Unterlagen-Archiv gegenüber. Ausstellung über Betroffene, z.B. Gilbert Radulovic, einen damaligen Jugendlichen, der Kontakt zur Anarcho- und Punk-Szene hatte, ein Heftchen zusammenstellte, und massive Probleme bis zur Gefängnishaft bekam.
Einzelne Objekte, z.B. die drehbaren Aktenschränke mit Karteikarten, die an die mittelalterlichen Buchmühlen erinnern; eine Sammlung von Postkarten, die abgefangen und einbehalten wurden – mit herausgeschnittenen und somit separat gesammelten Briefmarken!
Blick ins Gästebuch: Der allgemeine Kommentar „sehr schön!“ fordert eine kritische Replik heraus: „Wo ist da eine Schönheit zu sehen?“
Kontinuitäten der Stasi mit dem russisch/sowjetischen Geheimdienst, auch in der Bezeichnung „Tschekist“ für die Mitarbeiter, v.a. in den 50er-70er Jahren. Insofern gute Einstimmung auf die Reise weiter nach Osten, nach Polen und Litauen, wo ähnliche Überwachung und Drangsalierung herrschte.
Ins Palais Populaire und den Hamburger Bahnhof. Dort nochmal in der Ausstellung von Alexandra Pirici. Diesmal sind Performerinnen aktiv; den Gesang finde ich gut, da er so beiläufig daherkommt; das Rieselnlassen von Sand durch die Hände auch, da sehr einfach. Das Herunterrollen vom Sandhügel hat dagegen schon mehr Theatralisches.
Buchhandlung König. Katalog von Claudia Wieser liegt aus, wie ich neidisch feststelle. Kaufe einen Band von Roland Barthes „Mythen des Alltags“, für die Zugfahrten, die uns erwarten. Schon beim Hineinlesen springen die Thesen und geistreichen Beobachungen einem nur so entgegen.
5.8. Montag
Sehr früh auf, bereits um 3.30. Trotzdem durchzuckt mich beim Läuten des Weckers Erinnerung an angenehmen Traum. Fahrt nach Warschau mit zahlreichen Zwischenstationen, da aus irgendwelchen Gründen keine Direktverbindung möglich ist: Tram von der Osloerstr. zur Warschauerstr., dann S‑Bahn nach Erkner (mit nervös flirrender defekter Anzeigentafel), Regionalzug nach Frankfurt/Oder, von dort aus endlich EC. Ankunft gegen 11.30.
Hotel Tiffi, zentral in der Altstadt, gegenüber der alten Universität, neben der Kunstakademie und einer gutsortierten Buchhandlung. Über die Lage hinaus großzügige Räume. Mit der Einrichtung lässt sich sofort spielen, sie bietet Möglichkeiten anzudocken: die Socken kann man auf einen Lampenschirm zum Lüften legen; die Kleider verteilen. Das Bügelbrett, das sich im Schrank aufgehängt findet, hat skulpturale Qualitäten, erinnert an einen Stele mit Maske. Eine Landkarte von Polen lässt sich per Kleiderbügel (mit Klammern unten) über den Bildschirm hängen. Das Hotelzimmer als Atelierraum, als Fundus, mit dem man, in dem man arbeiten kann.
Zu einem der vorgemerkten Hauptziele, dem neueröffneten Museum POLIN, hinter dem Denkmal für Kämpfer des Warschauer Aufstandes.
Wir sind lange im Museum, bis zur Schließung um 18 Uhr. Es gibt sehr viel zu sehen, zu lesen und zu entdecken, angefangen von der Geschichte der Juden (und damit auch Osteuropas und Polens insgesamt) im Mittelalter über die Neuzeit bis immer näher zur Gegenwart mit den zionistischen Bestrebungen in den 1920ern – und dann, sehr plötzlich, dem Angriff der Deutschen, dem Holokaust.
Zufällig sind wir wieder Anfang August hier, zu den Jahrestagen des Warschauer Aufstands. Überall rot-weiße Binden mit den Farben Polens, Rot-Weiß, so auch am Denkmal. Überall Gedenktafeln, davor Kerzen und Blumen.
Ich fange dann an, in der ganzen Stadt Rot-Weiß zu sehen, auch in den Stoppschildern, den Baustellenabsperrungen, den Schildern mit „Durchfahrt verboten“. Es ließe sich eine Fotoserie mit dem Thema „Rot-Weiß“ machen.
Sehe auf dem Rückweg zum Hotel auch ein Absperrband in Blau-Weiß, mit der Aufschrift „POLICJA“, zwischen einer Hofeinfahrt und einem Parkautomaten über den Gehweg gespannt. So eines habe ich mal in Rom gesehen, in Trastevere, mit der entsprechenden Aufschrift “POLIZIA” und etwas davon mitgenommen. Hier reizt es mich auch, zumal es etwas Verbotenes hat — bei nur geringem Eingriff in den öffentlichen Raum.
Im Hotel mache ich damit eine Serie von Installationen, angefangen mit dem Spiegel, über den ich es quer spanne, bis zum Bett, zur Dusche, die ich so absperre, zum Tatort werden lasse.
Allzuviel Zeit habe ich nicht für die Installationen, was aber auch gut ist, da so das temporäre Moment erhalten bleibt.
Wir sind nur eine Nacht hier, morgen soll es weiter nach Bialystok gehen.
MISS READ TALKS: Books to Do
3. KHB Buchmesse | Artist Book Fair 2024
A4, ep.contemporary, Berlin
20.04. – 04.05.2024
ep.contemporary, Berlin
Scaletta (Osloer), 2024
Scaletta (Osloer), 2024, Installation, “Zwischen Licht und Materie — vom Erscheinen und Verschwinden”, Kunstverein Tiergarten, Berlin
„Scaletta (Osloer), 2024“ weiterlesenScaletta (Ewald), 2024
Scaletta (Ewald), 2024, Installation, “Zwischen Licht und Materie — vom Erscheinen und Verschwinden”, Kunstverein Tiergarten, Berlin
„Scaletta (Ewald), 2024“ weiterlesenIndice KVT, 2024
Indice, 2024, Installation, 220 x 190 cm, 25 Kartonstreifen, je 3 x 20 x 0,2 cm
“Zwischen Licht und Materie — vom Erscheinen und Verschwinden”, Kunstverein Tiergarten, Berlin
Zwischen Licht und Materie – vom Erscheinen und Verschwinden, Kunstverein Tiergarten, Berlin
Rückblick — 2023
Hier ein kleiner, persönlich gefärbter Rückblick auf 2023:
„Rückblick — 2023“ weiterlesenARTISTS WHO DO BOOKS — IN THE RACK ROOM #29, Berlin
Bücher über Bücher — Miss Read 2023 — Nachlese
In „How to Book in Berlin“, einem kürzlich erschienenen Handbuch zum Bereich „Artist’s Book“ schreibt Andreas Bülhoff, dass man bei einer Künstlerbuchmesse keine zu großen Erwartungen an den Verkauf hegen, statt dessen soviel wie möglich tauschen solle.
„Bücher über Bücher — Miss Read 2023 — Nachlese“ weiterlesenA4, ep.contemporary, Berlin
14. – 17. 9. 2023 (Art Week)
ep.contemporary, Berlin
SHORTCUT II, Fotoforum Dresden
Books to Do, Booklaunch, einBuch.haus, Berlin
naturally, ep.contemporary, Berlin
übernatur, ep.contemporary, Berlin
Info on Books, Café Babette, Berlin
Bücher 2022 — Berlin im Dezember
Rückblick auf einige Bücher, getauscht, gekauft, in Berlin im Dezember 2022:
„Bücher 2022 — Berlin im Dezember“ weiterlesenbin, 2022
Installation, ca. 40 x 60 x 75 cm
29.10. – 10.12.2022
Vincenz Sala, Berlin
books, Vincenz Sala, Berlin
29.10. – 26.11.2022 (extended 10.12.22)
Vincenz Sala, Berlin
ERDE.SUCHT., Gisela, Freier Kunstraum Lichtenberg, Berlin
„I’m grateful, Albert“, 2022
SHORTCUT, ep.contemporary, Berlin
MISS READ: Berlin Art Book Festival 2022
Curitiba #5, FREE SPACE (FOR UKR), LAGE EGAL, Berlin
Info on Books, Café Babette, Sudhaus, KINDL – Zentrum für Kunst, Berlin
Out now: Sacred Distancing, Argobooks
12 + 12, ep.contemporary, Berlin
03.12.2021 – 12.02.2022
ep.contemporary, Berlin
Domestic Space | Domagk Edition 2, Zweigstelle Berlin
26.11.- 29.11.2021
Zweigstelle Berlin @DomagkAteliers, halle 50, München
COMING SOON, ep.contemporary, Berlin
23.09. – 23.10.2021
ep.contemporary, Berlin
Kleine Bibliotheksgeschichte, 2021
Kleine Bibliotheksgeschichte, 2021, 18 x 15 x 7 cm
Yellow Press, ep.contemporary, Berlin, 2021
books, Galerie Vincenz Sala, Berlin, 2022
Yellow Press, ep.contemporary, Berlin
26.08. – 19.09.2021
ep.contemporary, Berlin
“Wer ist Albert?” — Artist’s Book, 2021
Bücher, Riegel, Bildungsbürger – und die Familie Mann. E‑Mail-Dialog Jörg Scheller – Albert Coers, 2020
E‑Mail-Wechsel zwischen Jörg Scheller, Kunstwissenschaftler, Journalist, Musiker und Albert Coers, Mai ‑September 2020.
MehrCores (Curitiba #4) — inside:OUT Part I
Inside:OUT — Part I, Kunstverein Tiergarten — Galerie Nord
Ina Bierstedt, Albert Coers, Pauline Kraneis, Juliane Laitzsch, Martin Pfahler
12. 2. — 4. 3.2021
BOOKS TO DO, A—Z, Berlin, 2021
BOOKS TO DO, A—Z, Berlin
21.1.21 — 17.2.21
Gasteig-Encounters, 2020
English
Mit Albert Coers: Gasteig-Encounters erscheint ein Künstlerheft zu JAJA NEINNEIN VIELLEICHT, 15. RischArt_Projekt, im Gasteig München. Coers kombiniert in der Publikation Fotos der postmodernen Architektur des Kulturzentrums mit Bildern aus einem Wörterbuch der Gebärdensprache, erschienen in Ostberlin 1985, zeitgleich zur Eröffnung des Gasteig.
„Gasteig-Encounters, 2020“ weiterlesenSTRASSEN NAMEN LEUCHTEN – ein Denkmal für die Manns, 6.6.2020, Literaturforum Brecht-Haus Berlin
FRIENDS WITH BOOKS, Art Book Fair, Berlin
20.- 22.9.2019
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
www.friendswithbooks.org
RIEGEL, Baeckerei, Berlin
12.4. — 7.6.2019
Baeckerei, Berlin
Domestic Space | Domagk Edition, zweigstelle Berlin
18.- 25.11.2018
DomagkAteliers, Halle 50, München
DU KANNST MEHR ALS DU DENKST, 2018
DU KANNST MEHR ALS DU DENKST, 2018, Video, 2:58 min
„DU KANNST MEHR ALS DU DENKST, 2018“ weiterlesenGarten, Bilder, Zug
Eine Ausstellung in Berlin lebender Künstler in Zug. Wobei viele der„Berliner“ aus der Schweiz, aus Zug selbst stammen. Und andere von woandersher, z.B. wie ich aus Süddeutschland. Also eine Ausstellung, wo verschiedene Identitäten schon von den Teilnehmern mitgebracht werden, der Ortsbezug aber eine Rolle spielt. In einer Stadt, die Reisetätigkeit bereits in ihrem Namen beinhaltet. Was läge näher, als mit dem entsprechenden Verkehrsmittel anzureisen? Das Spiel mit Identitäten und Namen gab dann auch den Ausschlag für die Wahl des Bildmaterials, zusammen mit dem Ausstellungstitel „Secret Garden“ und dem Ort, einem Gartenhaus und –grundstück, am Rande von Zug.
Es erschien naheliegend, mit Bildern aus einem 1985 eben in Berlin (Ost) erschienen Wörterbuch der Gebärdensprache Gehörloser zu arbeiten. Darstellung von Länderidentitäten hatte ich 2016 in Berlin-Moabit im öffentlichen Raum und in der Galerie Soy Capitán gezeigt.
Secret Garden bot Gelegenheit, das Bildmaterial neu zu durchforsten, Zusammenhänge herzustellen, die zunächst kryptischen, reproduzierten Bilder der Gebärdensprache mit der Gegenwart des Gartens und der Stadt zu konfrontieren, sie in ihrer Anordnung nach dem ABC, die der Systematik des Wörterbuches folgt, als eine Art zeichenhafte Wegstrecke hin zum „realen“ Garten am Lüssiweg zu platzieren.
Das Bildmaterial schien auch geeignet, da ein implizites Thema der Ausstellung ja die Überwindung von Grenzen/Barrieren ist: Berlin und Zug liegen zwar im deutschen Sprachraum, aber weit entfernt in unterschiedlichen Ländern, sind auch hinsichtlich Größe, Geschichte, sozialer und ökonomischer Struktur, Bevölkerung, Sprache sehr verschieden. Generell wird von Kunst und Bildern ja gerne erwartet, dass sie Grenzen überwinden. Da schien es interessant, eine Bildersprache zu wählen, die einerseits genau die Überwindung von (sprachlichen) Grenzen verheißt und ermöglicht, andererseits aber auch Grenzen von Kommunikation aufzeigt und damit die Erwartung ein Stück weit unterläuft, durchaus im Sinn des nicht Eindeutigen, allgemein Verständlichen, sondern des Abgegrenzt-Partikularen, das ja in „Secret“ (abgeschieden, geheimnisvoll) steckt. Denn die Gebärdensprache stellt man sich, da es sich ja um eine visuelle Sprache handelt, als genuin international und überall verständlich vor, als eine Art Esperanto, so, wie man sich eben in einem fremden Land, „mit Händen und Füßen“ verständigt. Aber wenn es auch eine internationale Gebärdensprache gibt und Angehörige verschiedener Nationen sich relativ schnell verständigen können, so ist dieser Code doch national und regional sehr ausdifferenziert: Es gibt wie bei gesprochenen Sprachen Dialekte, so etwa eine nord- und eine süddeutsche Variante, und auch kommunale Ausprägungen. Dass ein Berliner und ein Zuger sich problemlos verständigen könnten, ist also unwahrscheinlich. Auch verändert sich die Sprache laufend, je nach sozialer Übereinkunft, wie man etwa am Beispiel ‚Frau’ sehen kann: Da gibt es die Variante mit Andeutung eines Busens, die von den meisten Sprechern als zu offensichtlich auf körperliche Geschlechtsmerkmale bezogen nicht mehr verwendet wird, dann das Greifen zum Ohrläppchen, um Weiblichkeit durch Tragen von Ohrringen auszudrücken, worin sich natürlich auch Stereotype verbergen, schließlich eine noch neutralere Gebärde, ein Wischen mit dem Daumen über die Wange, die bei Sprechern in Süddeutschland die meistgebräuchliche scheint.
Das Bildmaterial des über 30 Jahre alten Lehrbuchs aus Ostberlin gefiel mir gerade wegen seines Kontrastes zur Bildsprache der Gegenwart und seiner ikonischen Qualitäten: Die Darsteller scheinen durch die Wiedergabe in körnigem, oft kontrastreichen Schwarz-Weiß, nach Kleidung und Frisur tatsächlich aus einer ganz anderen, weit zurückliegenden Zeit zu stammen, entfalten aber erstaunliche Präsenz in den knappen, häufig symmetrischen Bildausschnitten, mit ihren Blicken und konzentriert-zeichenhaften Gebärden, nicht zuletzt durch die Einfügung von Bewegungspfeilen, die sie in die Nähe von Piktogrammen und Verkehrszeichen rücken.
Interessant ist dabei, wie Begriffe aus der Botanik visualisiert werden: Manchmal ist es die Andeutung der Form und Größe, häufig jedoch eine Handlung, die mit und an der Pflanze vollzogen wird, etwa durch den Akt des Essens, die Kirsche durch den des Ans-Ohr-Hängens, als Schmuck.
Die Gebärden sind prägnant, doch beim Blättern im Buch fielen einige ähnliche oder gar identische Gebärden auf, die jenseits des Gartenthemas in ganz andere Bereiche führten. Ähnlich wie in einem Projekt mit botanischen Buchtiteln bzw. Autornamen (Biblioteca Botanica, 2006, mit Namen wie Klee, Kiefer, Green) trat dann die Suche nach solchen disparaten, jedoch durch Analogien verbundenen bzw. verbindbaren Begriffen in den Vordergrund.
‚Beere’ und ‚Malta’ sind beides kleine Entitäten; ‚Kohl’ und ‚Welt’ runde Körper, die durch eine Kreisbewegung dargestellt werden, die Schmuck andeutende Gebärde von ‚Kirsche‘ hat Verwandtschaft mit dem Zeichen für ‚Frau‘; pflanzenhaft, von Innen heraus entfaltet sich ‚Kunst‘. Vor allem wenn ein zusätzlicher Kanal, hier die Bewegung der Lippen, fehlt, ist der Kontext, in dem ein Bild/Zeichen verwendet wird, für seine Bedeutung und Lesbarkeit ausschlaggebend.
Diese Doppel- oder besser Mehrdeutigkeit der Zeichen ist dabei kein Merkmal der Gebärdensprache: Im Hebräischen existieren, wenn auf Vokalzeichen verzichtet wird, eine Fülle gleicher Wortbilder, da nur Konsonanten geschrieben werden, im Chinesischen ergeben dieselben Silbenfolgen, mit unterschiedlicher Tonhöhe und Betonung gelesen, ganz andere Bedeutungen. Genauso gibt es im Deutschen Wörter gleicher Schreibung, aber unterschiedlicher Phonetik und damit Bedeutung (‚sie rasten’ – sie rasten’), aber auch Wörter, die bei gleicher Aussprache ein ganzes Bündel von Bedeutungen mit sich bringen. Ein klassisches Beispiel ist der Name der Stadt selbst, in der das Projekt stattfindet, Zug (der sich ja auch auf den Kanton beziehen lässt). Immerhin 16 verschiedene Bedeutungen zählt das Duden-Wörterbuch auf. Bei solchen Begriffen (erinnert man sich an das Spiel „Teekessel“?) wie ‚Zug‘ oder „Hahn“, ist die Polysemie oft auf bildhaft-metaphorische Sprechweise zurückzuführen: bei ‚Zug‘ ist das gemeinsame Moment das der Bewegung, des Ziehens (auch der Fischzug, von dem die Stadt ihren Namen hat), und der (Wasser)hahn steht mit dem gleichnamigen Tier in formassoziativer Beziehung und wurde deshalb nach ihm bezeichnet. Übrigens: Im Lehrbuch der Gebärdensprache findet sich kein Bildzeichen für ‚Zug’. Wahrscheinlich, weil das Wort so mehrdeutig ist.
Garden image, image garden
For an exhibition of Berlin artists in Zug, it was a logical step to work with images from a sign language dictionary published in 1985, also from (East) Berlin. I had shown depictions of countries’ names in public space in Moabit, Berlin and in the gallery Soy Capitán, in 2016.
Secret Garden offers an opportunity to reappraise the material and to create connections that confront the (at times cryptic) reproduced images of the sign language with the garden and the city today. Observing their hairstyles, the style of photography and the images, the protagonists appear to come from a quite different, far away, time, but they produce a remarkable presence with their gazes and concentrated, emblematic, signing.
Botanical concepts are visualized by demonstrations of form and size, but also of culturally determined actions performed with and on plants, such as the act of eating (the apple), preparation (carrots and salad) and of a playful use for other than that of food (cherries as earrings).
Although the gestures are clear, while looking through the book it was noticeable that some similar or even identical signs would re-appear, going beyond the botany to quite different categories. In a similar way as the project Biblioteca Botanica, 2006, which featured botanical book titles and names of authors such as ‘Klee,’ ‘Kiefer’ and ‘Green’ (translators note — the German botanical terms match the artists’ names), here a search was made for equally disparate terms which for which analogue links could be made. A ‘berry’ and ‘Malta’ are both small entities; a ‘cabbage’ and the ‘world’ are round bodies represented by a circular movement, and the jewelry-like sign for ‘cherry’ relates to the sign for ‘woman’; plant-like, ‘art’ unfolds from within. When an additional channel is missing, such as the movement of the lips here, the context in which an image is applied is particularly decisive for its meaning and legibility. For example, the sign featuring a rectangle described with both hands can mean – among other things – ‘picture’.
This ambiguity of the signs however is not a characteristic exclusive to sign language. In Hebrew, if there are no vowels, there is a wealth possible meanings for individual words, since only consonants are written, while in Chinese the same sequence of syllables, with different pitch and emphasis, can have a number of completely different meanings. A classic example in German is this city itself, in which the project takes place, Zug. The Duden dictionary has 16 different meanings (translators note: the Duden dictionary is the official reference for the German language). In words such as Zug (translators note: both the name of the host city, and the word for train, among others) and Hahn, (translators note: the German word for both rooster and tap) the polysemy is due to pictorial-metaphoric forms of speech. In Zug the common moment is in the movement, in draughting (see also the Fischzug (‘fish-draught’) from which the lakeside town takes its name), and the (Wasser)hahn (‘tap’, or ‘water-rooster’), which has an associative relationship with the animal of the same name, which is why it has been named after it. Incidentally, there is no sign for Zug in the textbook of sign language — probably because the word is so ambiguous.
(published in Gartenbilder-Bildergarten, 2017, translation by Oliver Walker)
Domestic Space 2 — Zweigstelle Berlin
Albert Coers, Javis Lauva, Carolin Leyck, Vera Rothamel, Stefan Schröter, Birgitta Weimer, Lawrence Weiner
21.9 — 2.11. 2013
by Stucken Art Consulting
Lehrter Str. 37 | D‑10557 Berlin
Eröffnung Freitag, 20.9., 19 Uhr
Zur Berlin Art Week geöffnet Samstag, 21.9., Sonntag, 22.9. jeweils 11 bis 18 Uhr